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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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und im vorigen Jahrhundert hatte ein gewisser F. L. Gerlach auf seine
Bibliothekszeichen die Warnung stechen lassen: Naneixio rasus sse, usu tuo
Über, ut orauia ins^, ^rmcoruin. Msi tamsn intra. XIV aufs eowinockatui^
rsääicksrint illassuM ale^us imiriaeulatuin, eüio tswxors: rioir dabso, ÄiczAM.
Ob solche Sprüche etwas genützt haben, weiß ich nicht. Heutzutage hat man
im Privatverkehr gegen säumige Entleiher kein anderes Mittel, als ungenirtes
und unermüdliches Mahnen. Kleinere Broschüren und Zeitungsnummern werden
bekanntlich unter deutschen Gelehrten mit einer Gewohnheit, die an Grund¬
sätze streift, dem Entleiher nicht zurückgegeben; wer also so thöricht ist, sie
auszuleihen, verdient nichts besseres, als daß er drnmkvmmt. Oeffentliche
Bibliotheken haben das Zwangsmittel der regelmäßigen sogenannten "Revisionen",
einer Maßregel, die natürlich in erster Linie gegen jene Kunden gekehrt ist,
welche von einer Revision bis zur audern sich immer nur dann auf der
Bibliothek sehen lassen, wenn sie Bücher brauchen, aber nie, um eins zurück¬
zubringen. Nach Ablauf des Revisionstermins findet sich dann regelmäßig
noch ein Päckchen Entleihscheine vor. Sieht man nach den Unterschriften, so
bemerkt man, daß fast genau dieselbe edle Kompagnie sich wieder zusammen¬
gefunden hat, wie das letzte und vorletzte Mal. Es sind das diejenigen Herren,
welche die allgemeine, öffentlich ergangene Aufforderung zur Rückgabe der
Bücher stets "übersehen" und sich dafür -- wie die säumigen Steuerzahler --
die Auszeichnung, persönlich durch einen besonderen Mahnzettel dazu aufge¬
fordert zu werden, durch einige Reichspfennige erkaufen. Und unter diesen
finden sich dann stets wieder zwei oder drei, die wie Mephisto verlangen, daß
man es ihnen "dreimal sage", die nach dreimaliger schriftlicher Aufforderung
die Bücher zurück- nicht bringen, sondern schicken, dann die Geschäftsverbindung
mit der Bibliothek auf einige Wochen tief beleidigt abbrechen, bis es sie endlich
doch wieder zu des Lebens Quellen hinzieht.

Das find "Bibliothekserfahrungen", die man alle berücksichtigen muß, um
die Berechtigung der am Anfange ausgesprochenen Anklage beurtheilen zu
können. Etwas eingeschränkt nun lautet übrigens jene Anklage so: Bibliothe¬
kare behandelten ihr Publikum ungleich, den einen mehr, den andern weniger
zuvorkommend. Dieser Vorwurf, wenn es anders einer ist, soll nicht in Ab¬
rede gestellt werden. Zwischen dem Bibliothekar und jedem seiner Besucher
bildet sich unausgesprochen bald ein bequemes, bald ein weniger bequemes
Verhältniß. Dies richtet sich aber sehr einfach nach den Anliegen des Ein¬
zelnen. Von der Mannichfaltigkeit der Bitten und Wünsche, der Anliegen und
Ansprüche, der Forderungen und Zumuthungen, die vom Publikum auf Biblio¬
theken geäußert werden, hat der einzelne aus der vielköpfigen Masse keine Vor-


Grcnzboten I. 1878, 33

und im vorigen Jahrhundert hatte ein gewisser F. L. Gerlach auf seine
Bibliothekszeichen die Warnung stechen lassen: Naneixio rasus sse, usu tuo
Über, ut orauia ins^, ^rmcoruin. Msi tamsn intra. XIV aufs eowinockatui^
rsääicksrint illassuM ale^us imiriaeulatuin, eüio tswxors: rioir dabso, ÄiczAM.
Ob solche Sprüche etwas genützt haben, weiß ich nicht. Heutzutage hat man
im Privatverkehr gegen säumige Entleiher kein anderes Mittel, als ungenirtes
und unermüdliches Mahnen. Kleinere Broschüren und Zeitungsnummern werden
bekanntlich unter deutschen Gelehrten mit einer Gewohnheit, die an Grund¬
sätze streift, dem Entleiher nicht zurückgegeben; wer also so thöricht ist, sie
auszuleihen, verdient nichts besseres, als daß er drnmkvmmt. Oeffentliche
Bibliotheken haben das Zwangsmittel der regelmäßigen sogenannten „Revisionen",
einer Maßregel, die natürlich in erster Linie gegen jene Kunden gekehrt ist,
welche von einer Revision bis zur audern sich immer nur dann auf der
Bibliothek sehen lassen, wenn sie Bücher brauchen, aber nie, um eins zurück¬
zubringen. Nach Ablauf des Revisionstermins findet sich dann regelmäßig
noch ein Päckchen Entleihscheine vor. Sieht man nach den Unterschriften, so
bemerkt man, daß fast genau dieselbe edle Kompagnie sich wieder zusammen¬
gefunden hat, wie das letzte und vorletzte Mal. Es sind das diejenigen Herren,
welche die allgemeine, öffentlich ergangene Aufforderung zur Rückgabe der
Bücher stets „übersehen" und sich dafür — wie die säumigen Steuerzahler —
die Auszeichnung, persönlich durch einen besonderen Mahnzettel dazu aufge¬
fordert zu werden, durch einige Reichspfennige erkaufen. Und unter diesen
finden sich dann stets wieder zwei oder drei, die wie Mephisto verlangen, daß
man es ihnen „dreimal sage", die nach dreimaliger schriftlicher Aufforderung
die Bücher zurück- nicht bringen, sondern schicken, dann die Geschäftsverbindung
mit der Bibliothek auf einige Wochen tief beleidigt abbrechen, bis es sie endlich
doch wieder zu des Lebens Quellen hinzieht.

Das find „Bibliothekserfahrungen", die man alle berücksichtigen muß, um
die Berechtigung der am Anfange ausgesprochenen Anklage beurtheilen zu
können. Etwas eingeschränkt nun lautet übrigens jene Anklage so: Bibliothe¬
kare behandelten ihr Publikum ungleich, den einen mehr, den andern weniger
zuvorkommend. Dieser Vorwurf, wenn es anders einer ist, soll nicht in Ab¬
rede gestellt werden. Zwischen dem Bibliothekar und jedem seiner Besucher
bildet sich unausgesprochen bald ein bequemes, bald ein weniger bequemes
Verhältniß. Dies richtet sich aber sehr einfach nach den Anliegen des Ein¬
zelnen. Von der Mannichfaltigkeit der Bitten und Wünsche, der Anliegen und
Ansprüche, der Forderungen und Zumuthungen, die vom Publikum auf Biblio¬
theken geäußert werden, hat der einzelne aus der vielköpfigen Masse keine Vor-


Grcnzboten I. 1878, 33
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/265>, abgerufen am 27.09.2024.