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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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alles mit dem Bleistift in der Hand zu lesen, anstatt sich seine Exzerpte sofort
ans ein besonderes Blatt zu machen, erst das ganze Buch mit Strichen und
Notizen oder gar mit geistreichen Randglossen versieht? der andere, um die
Stelle zu markiren, bis zu der er gelesen, anstatt zu einem Buchzeichen zu den
sogencmnnten "Ohren" seine Zuflucht nimmt oder den ersten besten Gegenstand,
der ihm gerade auf dem Arbeitstische zur Hand ist, Messer, Papierscheere,
Lineal oder irgend ein dünneres Buch in das zuzuschlagende Buch hinein¬
klemmt und hierdurch die Bogen aus dem Band sprengt? Ein Glück, wenn
die Bücher überhaupt noch auf diese Weise zugeschlagen werden, wenn der
Leser nicht das ausgeschlagene Buch mit dem Rücken nach oben auf den Tisch
legt--was ziemlich auf dasselbe hinausläuft, als wenn er mit dem Buche den
Tisch reinigte -- oder am Ende gar das Buch wochenlang, ohne es zu brauchen,
aufgeschlagen liegen läßt, bis die obenliegenden Blätter von einer Staubschicht
bedeckt und durch das Licht schön kaffeebraun gefärbt sind. Der letztere Prozeß
vollzieht sich ja namentlich bei den heutigen Papiersorten mit einer Schnellig¬
keit, die uns vor den Wirkungen der Naturkräfte mit eben so großem Stannen
erfüllt, wie vor der Reellität unserer Papierfabrikanten.

Mit der Frage über die Behandlung der Bücher hängt eng zusammen
die über ihre Rückgabe. Auch in diesem Punkte wird der Leser schon im
Privatverkehr unliebsame Erfahrungen gesammelt haben. Brave Leute, welche
eine Geldsumme mit der größten Pünktlichkeit am festgesetzten Tage zurücker¬
statten würden, finden gar nichts darin, ein entliehenes Buch, auch wenn sie
es längst nicht mehr brauchen, monatelang zu Hause zu behalten und, wenn
man sie schließlich darum mahnt, sich zu gebehrden, als wollten sie einem die
Freundschaft aufkündigen. In Geldsachen hört die Gemüthlichkeit sehr schnell
ans, in Büchersachen soll sie womöglich eine unbegrenzte sein. Unsere Vor¬
fahren suchten sich in erfinderischer Weise hier zu helfen. Auf Bibliotheks¬
zeichen, wie sie Büchersammler in früheren Zeiten auf die Innenseite des Ein¬
bandes ihrer sämmtlichen Bücher zu kleben Pflegten, findet man oft hübsche
Sprüchlein, welche den Entleiher bei jedem Anschlägen des Buches an die
Rückgabe desselben mahnen sollten. Christoph Zobel, der bekannte Heraus¬
geber des Sachsenspiegels im l 6. Jahrhundert, führte ans seinem riesigen Biblio¬
thekszeichen in Folio, welches in der Mitte ein Todtengerippe zeigte, das zum
Memento für ihn selber bestimmt war, für seine Freunde unten am Fußeden
Spruch:


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alles mit dem Bleistift in der Hand zu lesen, anstatt sich seine Exzerpte sofort
ans ein besonderes Blatt zu machen, erst das ganze Buch mit Strichen und
Notizen oder gar mit geistreichen Randglossen versieht? der andere, um die
Stelle zu markiren, bis zu der er gelesen, anstatt zu einem Buchzeichen zu den
sogencmnnten „Ohren" seine Zuflucht nimmt oder den ersten besten Gegenstand,
der ihm gerade auf dem Arbeitstische zur Hand ist, Messer, Papierscheere,
Lineal oder irgend ein dünneres Buch in das zuzuschlagende Buch hinein¬
klemmt und hierdurch die Bogen aus dem Band sprengt? Ein Glück, wenn
die Bücher überhaupt noch auf diese Weise zugeschlagen werden, wenn der
Leser nicht das ausgeschlagene Buch mit dem Rücken nach oben auf den Tisch
legt—was ziemlich auf dasselbe hinausläuft, als wenn er mit dem Buche den
Tisch reinigte — oder am Ende gar das Buch wochenlang, ohne es zu brauchen,
aufgeschlagen liegen läßt, bis die obenliegenden Blätter von einer Staubschicht
bedeckt und durch das Licht schön kaffeebraun gefärbt sind. Der letztere Prozeß
vollzieht sich ja namentlich bei den heutigen Papiersorten mit einer Schnellig¬
keit, die uns vor den Wirkungen der Naturkräfte mit eben so großem Stannen
erfüllt, wie vor der Reellität unserer Papierfabrikanten.

Mit der Frage über die Behandlung der Bücher hängt eng zusammen
die über ihre Rückgabe. Auch in diesem Punkte wird der Leser schon im
Privatverkehr unliebsame Erfahrungen gesammelt haben. Brave Leute, welche
eine Geldsumme mit der größten Pünktlichkeit am festgesetzten Tage zurücker¬
statten würden, finden gar nichts darin, ein entliehenes Buch, auch wenn sie
es längst nicht mehr brauchen, monatelang zu Hause zu behalten und, wenn
man sie schließlich darum mahnt, sich zu gebehrden, als wollten sie einem die
Freundschaft aufkündigen. In Geldsachen hört die Gemüthlichkeit sehr schnell
ans, in Büchersachen soll sie womöglich eine unbegrenzte sein. Unsere Vor¬
fahren suchten sich in erfinderischer Weise hier zu helfen. Auf Bibliotheks¬
zeichen, wie sie Büchersammler in früheren Zeiten auf die Innenseite des Ein¬
bandes ihrer sämmtlichen Bücher zu kleben Pflegten, findet man oft hübsche
Sprüchlein, welche den Entleiher bei jedem Anschlägen des Buches an die
Rückgabe desselben mahnen sollten. Christoph Zobel, der bekannte Heraus¬
geber des Sachsenspiegels im l 6. Jahrhundert, führte ans seinem riesigen Biblio¬
thekszeichen in Folio, welches in der Mitte ein Todtengerippe zeigte, das zum
Memento für ihn selber bestimmt war, für seine Freunde unten am Fußeden
Spruch:


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I>s>zö numero sx omni est, ano earuigss vkUm.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/264>, abgerufen am 27.09.2024.