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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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von Kalpe vereinigten sie sich wieder, und dort schlug Xenophon die Truppen
des letzten persischen Satrapen, den er auf seinem Wege hatte. Endlich er¬
reichte man den Bosporos. Dieser Rückzug dauerte ein Jahr; drei Monate
hatte der Hinmarsch von Sardes nach Kunaxa gewährt, so daß in 15 Monaten
780 geogr, Meilen auf diesem Kriegszuge zurückgelegt wurden. Die Zehntau¬
send waren während desselben nur Soldaten, nichts anderes; unter den mannig¬
faltigsten Umständen hatten sie mit meist leicht bewaffneten Gegnern zu kämpfen.
Sie selbst führten von Anfang an mehr leichtes Fußvolk mit sich, als sonst
üblich war, nämlich 2000 Mann. Nun auf dem Marsche, keineswegs in der
Lage, sich die Schlachtfelder aufzusuchen, wie es die Bürgeraufgebote zu thun
pflegten, erkannten sie bald die Einseitigkeit und Schwerfälligkeit des reinen
Hoplitengefechts. Das ihnen aufgenöthigte Terrain verlangte neue Formen;
die Bogen- und Speer-Schützen, die Reiter des Feindes lehrten den Werth
der Leichtbewaffneten kennen. Verbindung der Waffen und Beweglichkeit wurde
die Losung für jene neue Entwickelung der griechischen Taktik, die sich an den
Namen des Xenophon knüpft.

Die Hauptresultate derselben sind:

1) die Befreiung der Hoplitenstellnng von der starren Form der ununter¬
brochenen Phalanx;
2) die mannigfaltige und bewußte Verwendung des leichten Fußvolks.

Unter den ersten Gesichtspunkt fällt der Gebrauch des c'^to? ^ox, d. h.
der Kolonne, und demnächst die absichtsvolle Anordnung von Reservestellungen.

Was zunächst die Kolonnen betrifft, so handelt es sich bei ihrer Anwen¬
dung darum, mit geringen Kräften Raum zu gewinnen und bei Aeußerung
starker Stoßkraft doch den Geguer uoch zu überflügeln. Zu dem Ende gehen
die einzelnen Löcher, durch Zwischenräume von einander getrennt, in Kolonnen
vor. Zum erstenmal hat Xenophon diese Fechtweise den Kolchern gegenüber
angewandt, welche ihm den Paß verlegen wollten. Der Orsios Lochos,
die Kolonne des Xenophon. hat 6 Mann Front bei 16 Mann Tiefe und dürfte
in den meisten Fällen als Epapvge in Enomvtien, d. h. als Zektionskolonne
gebildet worden sein. Man kann diese Formation kurzweg als "Kompagnie¬
kolonne" bezeichnen.

Das Anordnen einer Schlachtreserve zeigt sich zuerst in dem Gefecht,
welches Xenophon bei Kalpe den Truppen des Satrapen Pharnabazos lieferte.

In enger Verbindung mit der freieren Ausgestaltung des Hoplitenkampfes
steht dann der neue Gebrauch der leichten Jnfanterie. Sie erscheint bald vor
der Front, bald auf den Flügeln, bald in den Intervallen der Kompagnie¬
kolonne, und sogar die Reiterei, so schwach sie war und so wenig günstig ihr
seit dem Eintritt der Zehntausend in die kardnchischen Gebirge das Gelände


von Kalpe vereinigten sie sich wieder, und dort schlug Xenophon die Truppen
des letzten persischen Satrapen, den er auf seinem Wege hatte. Endlich er¬
reichte man den Bosporos. Dieser Rückzug dauerte ein Jahr; drei Monate
hatte der Hinmarsch von Sardes nach Kunaxa gewährt, so daß in 15 Monaten
780 geogr, Meilen auf diesem Kriegszuge zurückgelegt wurden. Die Zehntau¬
send waren während desselben nur Soldaten, nichts anderes; unter den mannig¬
faltigsten Umständen hatten sie mit meist leicht bewaffneten Gegnern zu kämpfen.
Sie selbst führten von Anfang an mehr leichtes Fußvolk mit sich, als sonst
üblich war, nämlich 2000 Mann. Nun auf dem Marsche, keineswegs in der
Lage, sich die Schlachtfelder aufzusuchen, wie es die Bürgeraufgebote zu thun
pflegten, erkannten sie bald die Einseitigkeit und Schwerfälligkeit des reinen
Hoplitengefechts. Das ihnen aufgenöthigte Terrain verlangte neue Formen;
die Bogen- und Speer-Schützen, die Reiter des Feindes lehrten den Werth
der Leichtbewaffneten kennen. Verbindung der Waffen und Beweglichkeit wurde
die Losung für jene neue Entwickelung der griechischen Taktik, die sich an den
Namen des Xenophon knüpft.

Die Hauptresultate derselben sind:

1) die Befreiung der Hoplitenstellnng von der starren Form der ununter¬
brochenen Phalanx;
2) die mannigfaltige und bewußte Verwendung des leichten Fußvolks.

Unter den ersten Gesichtspunkt fällt der Gebrauch des c'^to? ^ox, d. h.
der Kolonne, und demnächst die absichtsvolle Anordnung von Reservestellungen.

Was zunächst die Kolonnen betrifft, so handelt es sich bei ihrer Anwen¬
dung darum, mit geringen Kräften Raum zu gewinnen und bei Aeußerung
starker Stoßkraft doch den Geguer uoch zu überflügeln. Zu dem Ende gehen
die einzelnen Löcher, durch Zwischenräume von einander getrennt, in Kolonnen
vor. Zum erstenmal hat Xenophon diese Fechtweise den Kolchern gegenüber
angewandt, welche ihm den Paß verlegen wollten. Der Orsios Lochos,
die Kolonne des Xenophon. hat 6 Mann Front bei 16 Mann Tiefe und dürfte
in den meisten Fällen als Epapvge in Enomvtien, d. h. als Zektionskolonne
gebildet worden sein. Man kann diese Formation kurzweg als „Kompagnie¬
kolonne" bezeichnen.

Das Anordnen einer Schlachtreserve zeigt sich zuerst in dem Gefecht,
welches Xenophon bei Kalpe den Truppen des Satrapen Pharnabazos lieferte.

In enger Verbindung mit der freieren Ausgestaltung des Hoplitenkampfes
steht dann der neue Gebrauch der leichten Jnfanterie. Sie erscheint bald vor
der Front, bald auf den Flügeln, bald in den Intervallen der Kompagnie¬
kolonne, und sogar die Reiterei, so schwach sie war und so wenig günstig ihr
seit dem Eintritt der Zehntausend in die kardnchischen Gebirge das Gelände


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[0252] von Kalpe vereinigten sie sich wieder, und dort schlug Xenophon die Truppen des letzten persischen Satrapen, den er auf seinem Wege hatte. Endlich er¬ reichte man den Bosporos. Dieser Rückzug dauerte ein Jahr; drei Monate hatte der Hinmarsch von Sardes nach Kunaxa gewährt, so daß in 15 Monaten 780 geogr, Meilen auf diesem Kriegszuge zurückgelegt wurden. Die Zehntau¬ send waren während desselben nur Soldaten, nichts anderes; unter den mannig¬ faltigsten Umständen hatten sie mit meist leicht bewaffneten Gegnern zu kämpfen. Sie selbst führten von Anfang an mehr leichtes Fußvolk mit sich, als sonst üblich war, nämlich 2000 Mann. Nun auf dem Marsche, keineswegs in der Lage, sich die Schlachtfelder aufzusuchen, wie es die Bürgeraufgebote zu thun pflegten, erkannten sie bald die Einseitigkeit und Schwerfälligkeit des reinen Hoplitengefechts. Das ihnen aufgenöthigte Terrain verlangte neue Formen; die Bogen- und Speer-Schützen, die Reiter des Feindes lehrten den Werth der Leichtbewaffneten kennen. Verbindung der Waffen und Beweglichkeit wurde die Losung für jene neue Entwickelung der griechischen Taktik, die sich an den Namen des Xenophon knüpft. Die Hauptresultate derselben sind: 1) die Befreiung der Hoplitenstellnng von der starren Form der ununter¬ brochenen Phalanx; 2) die mannigfaltige und bewußte Verwendung des leichten Fußvolks. Unter den ersten Gesichtspunkt fällt der Gebrauch des c'^to? ^ox, d. h. der Kolonne, und demnächst die absichtsvolle Anordnung von Reservestellungen. Was zunächst die Kolonnen betrifft, so handelt es sich bei ihrer Anwen¬ dung darum, mit geringen Kräften Raum zu gewinnen und bei Aeußerung starker Stoßkraft doch den Geguer uoch zu überflügeln. Zu dem Ende gehen die einzelnen Löcher, durch Zwischenräume von einander getrennt, in Kolonnen vor. Zum erstenmal hat Xenophon diese Fechtweise den Kolchern gegenüber angewandt, welche ihm den Paß verlegen wollten. Der Orsios Lochos, die Kolonne des Xenophon. hat 6 Mann Front bei 16 Mann Tiefe und dürfte in den meisten Fällen als Epapvge in Enomvtien, d. h. als Zektionskolonne gebildet worden sein. Man kann diese Formation kurzweg als „Kompagnie¬ kolonne" bezeichnen. Das Anordnen einer Schlachtreserve zeigt sich zuerst in dem Gefecht, welches Xenophon bei Kalpe den Truppen des Satrapen Pharnabazos lieferte. In enger Verbindung mit der freieren Ausgestaltung des Hoplitenkampfes steht dann der neue Gebrauch der leichten Jnfanterie. Sie erscheint bald vor der Front, bald auf den Flügeln, bald in den Intervallen der Kompagnie¬ kolonne, und sogar die Reiterei, so schwach sie war und so wenig günstig ihr seit dem Eintritt der Zehntausend in die kardnchischen Gebirge das Gelände

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/252>, abgerufen am 27.09.2024.