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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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Kaum aber hatten die alten Ansiedler sich der östlichen Macht vollends
erwehrt und sie ans ihrem eigenen Grund und Boden siegreich zurückgedrängt,
als die Gebirgsvölker des Nordwestens neue große Erschütterungen verursachten.
Die Bewegung ging von den Thessaliern aus; der Stamm aber, auf den sie
sich fortsetzte, der der Dorer, gab der Wanderung den entscheidenden Charakter
und den Namen. An die Stelle der früheren Raubzüge setzten die Gebirgs¬
völker jetzt die Eroberung; die bisherigen Inhaber des alten Kulturbodens
wurden zum großen Theile unterjocht und zu Halb- und Unfreien herabge¬
drückt, und die jüngeren rauheren Stämme erhoben sich über ihnen als ein
neuer, blutsverschiedener Kriegsadel. Bald hatten die Dorer das Uevergewicht
in Griechenland, und zumal dem hellenischen Kriegswesen haben sie ihren
Stempel mit großer Schärfe aufgeprägt; gerade in dem, was später als allen
Stämmen gemeinschaftlich erscheint, ist das Kriegswesen ganz wesentlich dori¬
schen Ursprungs, dorischer Natur.

Was wir von der Kriegskunst der heroischen oder achäischen. d. h.
der vor-dorischen Zeit wissen, verdankt man fast ausschließlich den Gesängen
Homers, doch bringt auch seiue Darstellung schon viele Züge, welche unver¬
kennbar vom Dorismus beeinflußt sind und eben deshalb als echt hellenisch auf
uus wirken. "Der Muth und die Tapferkeit der griechischen Helden" sagt Max
Duncker "sind eigenthümlicher Art. Es ist nicht ihre Sache, es mit Jedermann
aufzunehmen; sie besitzen weder die kühle Todesverachtung trotziger und höher
angelegter Volksnaturen noch die wilde Wuth und Raserei, mit welcher bar¬
barische Stämme sich blind in den Kampf stürzen. Die griechischen Helden
werden bisweilen von großer Furcht und Angst befallen; der Uebermacht zu
weichen, ist keine Schmach; Gewandheit und List preisen sie ebensowohl wie
anstürmende Tapferkeit. Als die höchsten Eigenschaften des Kriegers galten
der besonnene Muth, die Geistesgegenwart im Kampfe, und darum ist den
Hellenen Pallas Athene eine bessere Helferin als der ungeschlachte Ares."
Die Züge dieses Bildes, welche die Lieder Homers so deutlich ausgeprägt
haben, werden durch die Geschichte bestätigt. Schon in jenen Epen erhebt sich
der Grieche mit stolzem Selbstgefühl über den Barbaren und zwar mehr noch
in den Künsten des Krieges als in denen des Friedens. Zwar fochten die
Fürsten und Edlen der Griechen ebenso wie die der Troer auf dem Streit¬
wagen und suchen wie diese Entscheidung und Ehre im Zweikampf; aber das
Verhältniß der Führer zu den Massen und das Auftreten der letzteren ist doch
wesentlich anders geartet, und diese Verschiedenheit hebt auch der Dichter mit
Nachdruck hervor. Der Bogen, die Waffe der Inder, Iranier, Aegypter und
ganz Vorderasiens ist schon zu dieser Zeit nicht mehr bevorzugtes Kriegswerk¬
zeug der Griechen. Wohl war er einst die Hauptwaffe des Herakles gewesen,


Kaum aber hatten die alten Ansiedler sich der östlichen Macht vollends
erwehrt und sie ans ihrem eigenen Grund und Boden siegreich zurückgedrängt,
als die Gebirgsvölker des Nordwestens neue große Erschütterungen verursachten.
Die Bewegung ging von den Thessaliern aus; der Stamm aber, auf den sie
sich fortsetzte, der der Dorer, gab der Wanderung den entscheidenden Charakter
und den Namen. An die Stelle der früheren Raubzüge setzten die Gebirgs¬
völker jetzt die Eroberung; die bisherigen Inhaber des alten Kulturbodens
wurden zum großen Theile unterjocht und zu Halb- und Unfreien herabge¬
drückt, und die jüngeren rauheren Stämme erhoben sich über ihnen als ein
neuer, blutsverschiedener Kriegsadel. Bald hatten die Dorer das Uevergewicht
in Griechenland, und zumal dem hellenischen Kriegswesen haben sie ihren
Stempel mit großer Schärfe aufgeprägt; gerade in dem, was später als allen
Stämmen gemeinschaftlich erscheint, ist das Kriegswesen ganz wesentlich dori¬
schen Ursprungs, dorischer Natur.

Was wir von der Kriegskunst der heroischen oder achäischen. d. h.
der vor-dorischen Zeit wissen, verdankt man fast ausschließlich den Gesängen
Homers, doch bringt auch seiue Darstellung schon viele Züge, welche unver¬
kennbar vom Dorismus beeinflußt sind und eben deshalb als echt hellenisch auf
uus wirken. „Der Muth und die Tapferkeit der griechischen Helden" sagt Max
Duncker „sind eigenthümlicher Art. Es ist nicht ihre Sache, es mit Jedermann
aufzunehmen; sie besitzen weder die kühle Todesverachtung trotziger und höher
angelegter Volksnaturen noch die wilde Wuth und Raserei, mit welcher bar¬
barische Stämme sich blind in den Kampf stürzen. Die griechischen Helden
werden bisweilen von großer Furcht und Angst befallen; der Uebermacht zu
weichen, ist keine Schmach; Gewandheit und List preisen sie ebensowohl wie
anstürmende Tapferkeit. Als die höchsten Eigenschaften des Kriegers galten
der besonnene Muth, die Geistesgegenwart im Kampfe, und darum ist den
Hellenen Pallas Athene eine bessere Helferin als der ungeschlachte Ares."
Die Züge dieses Bildes, welche die Lieder Homers so deutlich ausgeprägt
haben, werden durch die Geschichte bestätigt. Schon in jenen Epen erhebt sich
der Grieche mit stolzem Selbstgefühl über den Barbaren und zwar mehr noch
in den Künsten des Krieges als in denen des Friedens. Zwar fochten die
Fürsten und Edlen der Griechen ebenso wie die der Troer auf dem Streit¬
wagen und suchen wie diese Entscheidung und Ehre im Zweikampf; aber das
Verhältniß der Führer zu den Massen und das Auftreten der letzteren ist doch
wesentlich anders geartet, und diese Verschiedenheit hebt auch der Dichter mit
Nachdruck hervor. Der Bogen, die Waffe der Inder, Iranier, Aegypter und
ganz Vorderasiens ist schon zu dieser Zeit nicht mehr bevorzugtes Kriegswerk¬
zeug der Griechen. Wohl war er einst die Hauptwaffe des Herakles gewesen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/15>, abgerufen am 27.09.2024.