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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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einen Gott gibt, in dieser Eigenschaft diesem Gott selbst gleichkommen würde!"
Hier ergötzt er sich damit, ihr zu versichern, daß "sein Leben selbst," infolge
seines politischen Freisinns "auf dem Spiele stehe!" Hier erklärt er, daß er
nie einen Akt der Heuchelei begehen dürfe, "und eben so wenig von der jüdi¬
schen als von der christlichen Religion im Herzen trage" -- das war gewiß
wahr! -- und dann findet er sich bereit, Christ zu werden, wenn ihr Vater es
verlange. Hier spricht er aus: "obschon ich die Menschheit innig liebe, so liebe
ich doch nicht die Individuen, welche heutzutage vorgeben, Menschen zu sein" --
natürlich mit Ausnahme der Russin. Weiter: "ist es kein Jüngling, der mit
Ihnen spricht. Es ist ein gereifter Mann, welcher dem Alter nach nur 35,
den Erfahrungen nach 90 Jahre zählt." "Ich bin ein Revolutionär aus der
Schule Robespierres gewesen (!)" -- eine hübsche Schule -- "der in seiner Kon¬
stitution schrieb: "Soziale Unterdrückung ist es, wenn auch nur ein einziges
Individuum unterdrückt wird."*) "Ich warf mich auf die Anklagebank, nicht
wie ein Mensch, der sich vertheidigen soll, sondern wie ein Sieger" :c. Noch
wüster aber, als diese Symptome von Größenwahn, sind die Herabwürdigungen,
die der Preuße Lassalle sich gegen die Preußische Justiz gestattet. Er beschul¬
digt sie direkt, vou dem Grafen Hatzfeld fortdauernd bestochen zu sein! Daß
so etwas außerhalb der geweihten Sphäre der Sächsischen Ersten Kammer
heutzutage ungerügt ausgesprochen wird, dürfte schwer zu glauben sein. Es
mag daher auch die Verwunderung darüber hier Ausdruck finden, daß diese
Stellen ohne jeden Kommentar in Deutschland abgedruckt werden.

Vielleicht ist es zu hart, wenn wir die Herausgeberin dieser Jndiscretionen
an das Wart Lassalles auf S. 64 erinnern: "Schande dem Menschen, der je
ein solches Vertrauen vergessen könnte." Aber die Mißbilligung über eine
weibliche Taktlosigkeit solcher Art, welche der historischen Forschung irgend eine
Ausbeute nicht gewährt, darf jedenfalls ziemlich kräftige Formen annehmen.


H. B.



5) Die einzige Konstitution, die sich dieser an die Seite stellen läßt, sind wohl jene
von ironischen Menschen entworfenen "Grundrechte" der äußersten Linken des Frankfurter
Parlaments, in denen es u. A. heißt: "Das Betteln ist nur mit bewaffneter Hand erlaubt."
"Die Todesstrafe ist abgeschafft, die Guillotine wird als Vertheidigungsmittel beibehalten"
u. f. w.

einen Gott gibt, in dieser Eigenschaft diesem Gott selbst gleichkommen würde!"
Hier ergötzt er sich damit, ihr zu versichern, daß „sein Leben selbst," infolge
seines politischen Freisinns „auf dem Spiele stehe!" Hier erklärt er, daß er
nie einen Akt der Heuchelei begehen dürfe, „und eben so wenig von der jüdi¬
schen als von der christlichen Religion im Herzen trage" — das war gewiß
wahr! — und dann findet er sich bereit, Christ zu werden, wenn ihr Vater es
verlange. Hier spricht er aus: „obschon ich die Menschheit innig liebe, so liebe
ich doch nicht die Individuen, welche heutzutage vorgeben, Menschen zu sein" —
natürlich mit Ausnahme der Russin. Weiter: „ist es kein Jüngling, der mit
Ihnen spricht. Es ist ein gereifter Mann, welcher dem Alter nach nur 35,
den Erfahrungen nach 90 Jahre zählt." „Ich bin ein Revolutionär aus der
Schule Robespierres gewesen (!)" — eine hübsche Schule — „der in seiner Kon¬
stitution schrieb: „Soziale Unterdrückung ist es, wenn auch nur ein einziges
Individuum unterdrückt wird."*) „Ich warf mich auf die Anklagebank, nicht
wie ein Mensch, der sich vertheidigen soll, sondern wie ein Sieger" :c. Noch
wüster aber, als diese Symptome von Größenwahn, sind die Herabwürdigungen,
die der Preuße Lassalle sich gegen die Preußische Justiz gestattet. Er beschul¬
digt sie direkt, vou dem Grafen Hatzfeld fortdauernd bestochen zu sein! Daß
so etwas außerhalb der geweihten Sphäre der Sächsischen Ersten Kammer
heutzutage ungerügt ausgesprochen wird, dürfte schwer zu glauben sein. Es
mag daher auch die Verwunderung darüber hier Ausdruck finden, daß diese
Stellen ohne jeden Kommentar in Deutschland abgedruckt werden.

Vielleicht ist es zu hart, wenn wir die Herausgeberin dieser Jndiscretionen
an das Wart Lassalles auf S. 64 erinnern: „Schande dem Menschen, der je
ein solches Vertrauen vergessen könnte." Aber die Mißbilligung über eine
weibliche Taktlosigkeit solcher Art, welche der historischen Forschung irgend eine
Ausbeute nicht gewährt, darf jedenfalls ziemlich kräftige Formen annehmen.


H. B.



5) Die einzige Konstitution, die sich dieser an die Seite stellen läßt, sind wohl jene
von ironischen Menschen entworfenen „Grundrechte" der äußersten Linken des Frankfurter
Parlaments, in denen es u. A. heißt: „Das Betteln ist nur mit bewaffneter Hand erlaubt."
„Die Todesstrafe ist abgeschafft, die Guillotine wird als Vertheidigungsmittel beibehalten"
u. f. w.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/127>, abgerufen am 27.09.2024.