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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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des Geranten der "Patrie" unauslöschlich eingegraben. -- Vierzehntägige mühe¬
volle Arbeit! -- Darauf Befreiung aus der Clausur und die Gewißheit, daß
der Gerant in dieser Zeit statt seines Namens sich den -- des andern Bank¬
direktors, Soleil, genan genug eingeprägt, um ihn mit unverkennbarer Mühe
aus dem Gedächtniß nachzuschreiben."

Dann passiren der Reihe nach die Pariser Zeitungen unter dem zweiten
Kaiserreich Revue vor uns, die meisten laufen förmlich Spießruthen. Denn
wenn auch alle guten Seiten und hervorragenden Leistungen jedes Blattes voll¬
kommen gewürdigt werden, ist doch nur zu wahr die ernste Bemerkung, die das
ganze Kapitel einleitet: "Die großen Tage der französischen Journalistik sind
seit Langem vorüber, und mit ihrem Dahinscheiden wurden Ueberzeugungs¬
treue, berechtigter Ehrgeiz und redliches Streben selten in den Reihen der
Pariser Tagesschriftsteller." Am spaßhaftesten ist wohl der Chefredakteur des
eigentlichen Regiernngsorgans unter Napoleon III., des "Constitutionnel", Herr
Paulin Limeyrae gezeichnet mit seinem Factotum Herrn Boniface. Der
letztere gab schließlich, wie Schmock, seinen Namen als Gattungsnamen für
seine Art von Thätigkeit her. Er besorgte für gewöhnlich die "Küche" des
Journals, vertheilte den Stoff, plünderte die Provinz- und auswärtigen Jour¬
nale, fetzte die "dans äivers" zusammen. Er wurde daher auch als "ekel ac
enisins" zum Typus, unsterblich. Seine Nebenfnnktion bestand darin, der
Untergott Limeyrac's zu sein, für Orakel und Offenbarungen zweiten Grades
oder zweifelhafteren Werthes, welche der Chef nicht gern persönlich zeichnen
mochte. Die Orakel von Boniface "logen zwar auch sehr oft amtlich, Ware"
aber noch bei weitem mysteriöser gehalten, als die Offenbarungen Limeyrae's.
Beide verhalten sich zu einander etwa wie das Rauschen des heiligen Hains
zu Dodona zum hysterisch abgebrochenen Schrei der delphischen Jungfrau. In
der letzten Zeit tauchte endlich hier und da noch ein Prophet gar dritten
Ranges auf, Herr C. Piei, der aber im Grunde ebenso wenig zu sagen wußte,
als zu sagen hatte."

An diesen Proben mag es genug sein. Wenn wir die größte Kunst der
Darstellung den ersten beiden Abhandlungen des Buches zusprechen, so ist das
spannende Interesse, das die übrigen einflößen, doch kein geringes. "1,'dnmmo
(?v.irlg.na6" (1.3. Ouerrionniörs) setzt in einem besondern Abschnitt jene Preß-
Plandereien boshaft fort. Die Artikel "Ein Exminister auf der Anklagebank"
(Dnvernois), "Ein Prinzenerzieher" (Frossard) und "Loeui- IsMr" (Ollivier)
bieten uns interessante Einblicke in den Werdegang und den wahren Werth
dreier Mignons des dritten Napoleon. Die Abhandlungen "Das Duell Nanc-
Cassagnae" und "Wie Paris einst wählte" schildern- uns die Häupter der
blauen Republik in einer gerade heute hochinteressanter Weise, während die


des Geranten der „Patrie" unauslöschlich eingegraben. — Vierzehntägige mühe¬
volle Arbeit! — Darauf Befreiung aus der Clausur und die Gewißheit, daß
der Gerant in dieser Zeit statt seines Namens sich den — des andern Bank¬
direktors, Soleil, genan genug eingeprägt, um ihn mit unverkennbarer Mühe
aus dem Gedächtniß nachzuschreiben."

Dann passiren der Reihe nach die Pariser Zeitungen unter dem zweiten
Kaiserreich Revue vor uns, die meisten laufen förmlich Spießruthen. Denn
wenn auch alle guten Seiten und hervorragenden Leistungen jedes Blattes voll¬
kommen gewürdigt werden, ist doch nur zu wahr die ernste Bemerkung, die das
ganze Kapitel einleitet: „Die großen Tage der französischen Journalistik sind
seit Langem vorüber, und mit ihrem Dahinscheiden wurden Ueberzeugungs¬
treue, berechtigter Ehrgeiz und redliches Streben selten in den Reihen der
Pariser Tagesschriftsteller." Am spaßhaftesten ist wohl der Chefredakteur des
eigentlichen Regiernngsorgans unter Napoleon III., des „Constitutionnel", Herr
Paulin Limeyrae gezeichnet mit seinem Factotum Herrn Boniface. Der
letztere gab schließlich, wie Schmock, seinen Namen als Gattungsnamen für
seine Art von Thätigkeit her. Er besorgte für gewöhnlich die „Küche" des
Journals, vertheilte den Stoff, plünderte die Provinz- und auswärtigen Jour¬
nale, fetzte die „dans äivers" zusammen. Er wurde daher auch als „ekel ac
enisins" zum Typus, unsterblich. Seine Nebenfnnktion bestand darin, der
Untergott Limeyrac's zu sein, für Orakel und Offenbarungen zweiten Grades
oder zweifelhafteren Werthes, welche der Chef nicht gern persönlich zeichnen
mochte. Die Orakel von Boniface „logen zwar auch sehr oft amtlich, Ware»
aber noch bei weitem mysteriöser gehalten, als die Offenbarungen Limeyrae's.
Beide verhalten sich zu einander etwa wie das Rauschen des heiligen Hains
zu Dodona zum hysterisch abgebrochenen Schrei der delphischen Jungfrau. In
der letzten Zeit tauchte endlich hier und da noch ein Prophet gar dritten
Ranges auf, Herr C. Piei, der aber im Grunde ebenso wenig zu sagen wußte,
als zu sagen hatte."

An diesen Proben mag es genug sein. Wenn wir die größte Kunst der
Darstellung den ersten beiden Abhandlungen des Buches zusprechen, so ist das
spannende Interesse, das die übrigen einflößen, doch kein geringes. „1,'dnmmo
(?v.irlg.na6" (1.3. Ouerrionniörs) setzt in einem besondern Abschnitt jene Preß-
Plandereien boshaft fort. Die Artikel „Ein Exminister auf der Anklagebank"
(Dnvernois), „Ein Prinzenerzieher" (Frossard) und „Loeui- IsMr" (Ollivier)
bieten uns interessante Einblicke in den Werdegang und den wahren Werth
dreier Mignons des dritten Napoleon. Die Abhandlungen „Das Duell Nanc-
Cassagnae" und „Wie Paris einst wählte" schildern- uns die Häupter der
blauen Republik in einer gerade heute hochinteressanter Weise, während die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/525>, abgerufen am 28.09.2024.