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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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über die amerikanische Unterrichtsmethode und deren Erfolge vernommen. Der
Verfasser des folgendes Aufsatzes hat diese Ansicht niemals getheilt, und er
wurde in seiner Ueberzeugung durch eine soeben erschienene Schrift bestärkt, nach
welcher das Schulwesen der Amerikaner sehr viel zu wünschen übrig läßt und an
jenein staunenswerthen Aufschwunge ihrer Industrie "nur einen sehr geringen,
im Vergleich mit der Wirksamkeit anderer Faktoren vielleicht kaum nennenswerthen
Antheil hat."

Die erwähnte Schrift nennt sich: "Das Unterrichtswesen in den
Vereinigten Staaten" und hat den österreichischen Ministerialrath Dr. F.
Migerka zum Verfasser, der im Auftrage seiner Regierung die Weltausstellung
in Philadelphia besucht hat, um über dieselbe Bericht zu erstattn,. Sie macht,
theils auf eigue Beobachtung, theils auf Aeußerungen amerikanischer Schul-
männer gestützt, durchweg den Eindruck der Gründlichkeit und Glaubwürdig¬
keit, und so werden einige Auszüge aus ihren Hauptabschnitten zur Aufklärung
über den Gegenstand wohl geeignet und Manchem willkommen sein.

Zunächst erfahren wir, daß die Staaten und Gemeinden Nordamerika's
in der That materiell außerordeutlich viel für Zwecke des Unterrichts ausgeben.
Das Schuleigenthum in der gesummten Union betrug im Jahre 1875 nicht
weniger als 174 Millionen, das Einkommen der öffentlichen Schulen fast 90,
die Ausgaben beliefen sich auf beinahe 83 Mill. Dollars. Der Eisenbahnreisende
wird häufig überrascht durch vereinzelt stehende palastähnliche Gebäude, die
das Land weit umher beherrschen, und die bei näherer Betrachtung Colleges,
Aeademies oder Universities sind. An Opfern und Anstrengungen für die
Bildung des Volkes fehlt es also durchaus nicht, die Erfolge aber entsprechen
denselben nur in geringem Maß, und das liegt zum guten Theile im Einflusse der
Prinzipien, auf denen das Gebunde der Union ruht, und nach denen das Volk
der Ausfluß aller Gewalt und der Mandant aller öffentlichen Funktionäre und
ein fast unbeschränktes Selbstbestimmungsrecht des einzelnen Bürgers die Grund¬
lage der gesammten Verwaltung ist. Mit Ausnahme weniger, zur Erhaltung
der Einheit unbedingt nothwendiger Dinge sind die Staaten der Union gegenüber
souverän, und ähnlich ist das Verhältniß der politischen Organismen niederer
Gattung, der Couuties und Townships dem Einzelstaate gegenüber gestaltet.
Demzufolge giebt es kein für den ganzen Bundesstaat gesetzlich gültiges Schul¬
system. Einzelne Staatsmänner waren allerdings der Meinung, das Recht
des Kongresses, Steuern zu nationalen Zwecken auszuschreiben, schließe die
Befugniß ein, das Erziehungswesen der Nation zu regeln, aber diese Ansicht
widerstrebte dem demokratischen Geiste des amerikanischen Volkes, dessen Ideale
Freiheit des Individuums, Autonomie der Gemeinde und Souveränetät des
Einzelstaates sind. Natürlich nahm man, als der Kongreß im Lauf der Zeit


über die amerikanische Unterrichtsmethode und deren Erfolge vernommen. Der
Verfasser des folgendes Aufsatzes hat diese Ansicht niemals getheilt, und er
wurde in seiner Ueberzeugung durch eine soeben erschienene Schrift bestärkt, nach
welcher das Schulwesen der Amerikaner sehr viel zu wünschen übrig läßt und an
jenein staunenswerthen Aufschwunge ihrer Industrie „nur einen sehr geringen,
im Vergleich mit der Wirksamkeit anderer Faktoren vielleicht kaum nennenswerthen
Antheil hat."

Die erwähnte Schrift nennt sich: „Das Unterrichtswesen in den
Vereinigten Staaten" und hat den österreichischen Ministerialrath Dr. F.
Migerka zum Verfasser, der im Auftrage seiner Regierung die Weltausstellung
in Philadelphia besucht hat, um über dieselbe Bericht zu erstattn,. Sie macht,
theils auf eigue Beobachtung, theils auf Aeußerungen amerikanischer Schul-
männer gestützt, durchweg den Eindruck der Gründlichkeit und Glaubwürdig¬
keit, und so werden einige Auszüge aus ihren Hauptabschnitten zur Aufklärung
über den Gegenstand wohl geeignet und Manchem willkommen sein.

Zunächst erfahren wir, daß die Staaten und Gemeinden Nordamerika's
in der That materiell außerordeutlich viel für Zwecke des Unterrichts ausgeben.
Das Schuleigenthum in der gesummten Union betrug im Jahre 1875 nicht
weniger als 174 Millionen, das Einkommen der öffentlichen Schulen fast 90,
die Ausgaben beliefen sich auf beinahe 83 Mill. Dollars. Der Eisenbahnreisende
wird häufig überrascht durch vereinzelt stehende palastähnliche Gebäude, die
das Land weit umher beherrschen, und die bei näherer Betrachtung Colleges,
Aeademies oder Universities sind. An Opfern und Anstrengungen für die
Bildung des Volkes fehlt es also durchaus nicht, die Erfolge aber entsprechen
denselben nur in geringem Maß, und das liegt zum guten Theile im Einflusse der
Prinzipien, auf denen das Gebunde der Union ruht, und nach denen das Volk
der Ausfluß aller Gewalt und der Mandant aller öffentlichen Funktionäre und
ein fast unbeschränktes Selbstbestimmungsrecht des einzelnen Bürgers die Grund¬
lage der gesammten Verwaltung ist. Mit Ausnahme weniger, zur Erhaltung
der Einheit unbedingt nothwendiger Dinge sind die Staaten der Union gegenüber
souverän, und ähnlich ist das Verhältniß der politischen Organismen niederer
Gattung, der Couuties und Townships dem Einzelstaate gegenüber gestaltet.
Demzufolge giebt es kein für den ganzen Bundesstaat gesetzlich gültiges Schul¬
system. Einzelne Staatsmänner waren allerdings der Meinung, das Recht
des Kongresses, Steuern zu nationalen Zwecken auszuschreiben, schließe die
Befugniß ein, das Erziehungswesen der Nation zu regeln, aber diese Ansicht
widerstrebte dem demokratischen Geiste des amerikanischen Volkes, dessen Ideale
Freiheit des Individuums, Autonomie der Gemeinde und Souveränetät des
Einzelstaates sind. Natürlich nahm man, als der Kongreß im Lauf der Zeit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/501>, abgerufen am 28.09.2024.