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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Ile Jerliannung des Harlekin vom deutschen Weater.*)

Gegen Ende des 17. Jahrhunderts wurde auf der deutschen Volksbühne
die althergebrachte Figur des "Hanswurst", nachdem ihr schon um die Mitte
des Jahrhunderts in dem wohl aus Holland importirten "Pickelhäring" ein
Konkurrent erstanden war, durch den aus der italienischen Volkskomödie herüber-
genvmmenen "Harlekin" und dessen zahlreiche Spielarten verdrängt. Die Herr¬
schaft des fremden Eindringlings blieb jedoch anch nicht lange unangefochten.
Als in den zwanziger Jahren des 18. Jahrhunderts durch den Streit der
Leipziger und der Schweizer in weiteren Kreisen Interesse für literarische Fragen
Zwecke wurde und die bis dahin gänzlich verwahrloste und von den Gebildeten
geradezu ignorirte Volksbühne mit den neu erwachten literarischen Bestrebungen
Fühlung suchte, da erschien die Beseitigung der "lustigen Person" und ihrer derben
Späße sehr bald als erste Bedingung jeder weiteren gegenseitigen Annäherung.

Es ist bekannt, daß Gottsched im Bunde mit der Reuber'schen Schauspieler-
^'nppe, nachdem sie längere Zeit schon gemeinschaftlich an der Verdrängung
des Harlekin gearbeitet, ihm schließlich in demoustrativer Weise den Abschied
gegeben haben sollen. Weniger bekannt dürfte es sein, daß über diesen Vorgang
>A'el wesentlich von einander abweichende Ueberlieferungen existiren. Die
^vo'hnliche Darstellung, wie wir sie z. B. in Blümner's "Geschichte des Theaters
"l Leipzig", in Devrient's "Geschichte der deutschen Schauspielkunst", in den



*) Einige Anhaltepunkte zu der nachstehenden Darstellung haben zwei vor kurzem er¬
schienene Bücher geboten, auf welche wir hiermit die Aufmerksamkeit unsrer Leser zugleich
hinlenken möchten: 1) Materialien zu G. E. Less ing 's H ambnrgischer Dra mntnrgic.
Ausführlicher Commentar nebst Einleitung, Anhang und Register zusammengestellt von
W. Cosack. (Paderborn, Schöningh, 187<!.) 2) Lessing's Hamburgische Dramaturgie
Für die oberste Klasse höherer Lehranstalten und den weiteren Kreis der Gebildeten erläutert
von F. Schröter und R. Thiele. (Erste Hälfte. Halle, Buchhandlung des Waisenhauses,
'l"77.) Alls beide Echhcinnngcn gedenken wir, sobald die zweite erst vollständig vorliegen
^ird, in einer eingehenden vergleichenden Besprechung zurückzukommen.
Grcnzbote" lit. 1877.
Ile Jerliannung des Harlekin vom deutschen Weater.*)

Gegen Ende des 17. Jahrhunderts wurde auf der deutschen Volksbühne
die althergebrachte Figur des „Hanswurst", nachdem ihr schon um die Mitte
des Jahrhunderts in dem wohl aus Holland importirten „Pickelhäring" ein
Konkurrent erstanden war, durch den aus der italienischen Volkskomödie herüber-
genvmmenen „Harlekin" und dessen zahlreiche Spielarten verdrängt. Die Herr¬
schaft des fremden Eindringlings blieb jedoch anch nicht lange unangefochten.
Als in den zwanziger Jahren des 18. Jahrhunderts durch den Streit der
Leipziger und der Schweizer in weiteren Kreisen Interesse für literarische Fragen
Zwecke wurde und die bis dahin gänzlich verwahrloste und von den Gebildeten
geradezu ignorirte Volksbühne mit den neu erwachten literarischen Bestrebungen
Fühlung suchte, da erschien die Beseitigung der „lustigen Person" und ihrer derben
Späße sehr bald als erste Bedingung jeder weiteren gegenseitigen Annäherung.

Es ist bekannt, daß Gottsched im Bunde mit der Reuber'schen Schauspieler-
^'nppe, nachdem sie längere Zeit schon gemeinschaftlich an der Verdrängung
des Harlekin gearbeitet, ihm schließlich in demoustrativer Weise den Abschied
gegeben haben sollen. Weniger bekannt dürfte es sein, daß über diesen Vorgang
>A'el wesentlich von einander abweichende Ueberlieferungen existiren. Die
^vo'hnliche Darstellung, wie wir sie z. B. in Blümner's „Geschichte des Theaters
"l Leipzig", in Devrient's „Geschichte der deutschen Schauspielkunst", in den



*) Einige Anhaltepunkte zu der nachstehenden Darstellung haben zwei vor kurzem er¬
schienene Bücher geboten, auf welche wir hiermit die Aufmerksamkeit unsrer Leser zugleich
hinlenken möchten: 1) Materialien zu G. E. Less ing 's H ambnrgischer Dra mntnrgic.
Ausführlicher Commentar nebst Einleitung, Anhang und Register zusammengestellt von
W. Cosack. (Paderborn, Schöningh, 187<!.) 2) Lessing's Hamburgische Dramaturgie
Für die oberste Klasse höherer Lehranstalten und den weiteren Kreis der Gebildeten erläutert
von F. Schröter und R. Thiele. (Erste Hälfte. Halle, Buchhandlung des Waisenhauses,
'l"77.) Alls beide Echhcinnngcn gedenken wir, sobald die zweite erst vollständig vorliegen
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[0489] Ile Jerliannung des Harlekin vom deutschen Weater.*) Gegen Ende des 17. Jahrhunderts wurde auf der deutschen Volksbühne die althergebrachte Figur des „Hanswurst", nachdem ihr schon um die Mitte des Jahrhunderts in dem wohl aus Holland importirten „Pickelhäring" ein Konkurrent erstanden war, durch den aus der italienischen Volkskomödie herüber- genvmmenen „Harlekin" und dessen zahlreiche Spielarten verdrängt. Die Herr¬ schaft des fremden Eindringlings blieb jedoch anch nicht lange unangefochten. Als in den zwanziger Jahren des 18. Jahrhunderts durch den Streit der Leipziger und der Schweizer in weiteren Kreisen Interesse für literarische Fragen Zwecke wurde und die bis dahin gänzlich verwahrloste und von den Gebildeten geradezu ignorirte Volksbühne mit den neu erwachten literarischen Bestrebungen Fühlung suchte, da erschien die Beseitigung der „lustigen Person" und ihrer derben Späße sehr bald als erste Bedingung jeder weiteren gegenseitigen Annäherung. Es ist bekannt, daß Gottsched im Bunde mit der Reuber'schen Schauspieler- ^'nppe, nachdem sie längere Zeit schon gemeinschaftlich an der Verdrängung des Harlekin gearbeitet, ihm schließlich in demoustrativer Weise den Abschied gegeben haben sollen. Weniger bekannt dürfte es sein, daß über diesen Vorgang >A'el wesentlich von einander abweichende Ueberlieferungen existiren. Die ^vo'hnliche Darstellung, wie wir sie z. B. in Blümner's „Geschichte des Theaters "l Leipzig", in Devrient's „Geschichte der deutschen Schauspielkunst", in den *) Einige Anhaltepunkte zu der nachstehenden Darstellung haben zwei vor kurzem er¬ schienene Bücher geboten, auf welche wir hiermit die Aufmerksamkeit unsrer Leser zugleich hinlenken möchten: 1) Materialien zu G. E. Less ing 's H ambnrgischer Dra mntnrgic. Ausführlicher Commentar nebst Einleitung, Anhang und Register zusammengestellt von W. Cosack. (Paderborn, Schöningh, 187<!.) 2) Lessing's Hamburgische Dramaturgie Für die oberste Klasse höherer Lehranstalten und den weiteren Kreis der Gebildeten erläutert von F. Schröter und R. Thiele. (Erste Hälfte. Halle, Buchhandlung des Waisenhauses, 'l"77.) Alls beide Echhcinnngcn gedenken wir, sobald die zweite erst vollständig vorliegen ^ird, in einer eingehenden vergleichenden Besprechung zurückzukommen. Grcnzbote» lit. 1877.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/489>, abgerufen am 28.09.2024.