Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

glauben und überzeugt sein, irgendwo auf dem Grnnde der Seele blieb ihnen
aber doch ein unbehaglicher Rest vou Bewußtsein, daß ihre Sache durch Un¬
wahrheit verfochten werde. Daher die Scheu vor der Öffentlichkeit. So lange
sie sich nicht entschließen konnten, mit dem Prinzip zu brechen, standen sie den
beschränkten und gewissenlosen aus den eignen Reihen, die keine solchen Be¬
denken hatten oder sich leichten Herzens darüber wegzusetzen verstanden, beinahe
wehrlos gegenüber. Ja sie waren in vielen Fällen genöthigt, gegen besseres
Wissen offenbare Dummheiten anderer zu vertheidigen, offenbare Schlechtigkeiten
anderer zu beschönigen, damit nur keine Spaltung eintrete, damit nur die Laien¬
welt nicht eine Verschiedenheit der Ansichten gewahr werde und an der Einheit,
Unwandelbarkeit und Unfehlbarkeit der Kirche zu zweifeln beginne.

Auch nachdem 'die liberale Partei an's Ruder gekommen, finden wir noch
dieselbe Scheu, Nachtheiliges über das Kloster oder einzelne Mitglieder desselben
in die Öffentlichkeit dringen zu lasse", dasselbe ängstliche Bestreben, wenigstens
den Schein zu retten, wenn die Dinge nicht so waren, wie sie sein sollten,
dieselbe Zaghaftigkeit in der Vertretung von Ueberzeugungen, sowie damit auch
nur von ferne die Gefahr verbunden war, daß die Ueberzeugungstreue zu
einem Skandale oder zu einem Konflikte mit irgend welchen kirchlichen Auto¬
ritäten führen könne. Als die oben erwähnten Vorgänge bei der Wahl eines
neuen Abtes im Sommer 1787 ein paar Jahre später durch irgend welche
Indiskretion bekannt wurden und in den Zeitungen ansingen besprochen zu
werden, da hatte man im Kloster nichts eiligeres zu thun, als, soweit es sich
thun ließ, ohne direkt zu lügen, die Sache in Abrede zu stellen. Einige kleine
Unrichtigkeiten, die sich in die Zeitungsberichte eingeschlichen hatten, ermöglichten
es, ein Dementi zu geben, ohne daß es nöthig gewesen wäre, die Grundsätze,
nach denen man gehandelt hatte, geradezu zu verläugnen.

Unsere Neresheimer Freunde haben als wackere und gebildete Männer
durch persönliche Einwirkung auf ihre Umgebung ohne Zweifel vielen Nutzen
gestiftet und den Samen manches Guten ausgestrent. Für eine dauernde Reform
des Klosterwesens haben sie nichts geleistet, und weder sie, noch ihre vielen
Gesinnungsgenossen im Klerus haben den wohlthätigen Einfluß auf die Ent¬
wickelung der katholischen Kirche geübt, den sie ihrer Intelligenz und sonstigen
guten Eigenschaften nach sehr wohl hätten üben können. Wo der freie, rück¬
sichtslose Muth der Wahrheit fehlt, da wird auch Bildung vereint mit ge¬
diegenem Wissen selbst bei dem redlichsten Wollen nur wenig ausrichten; da
werden auf die Dauer doch immer beschränkter Sinn und Gewissenlosigkeit mit
maßgebender Hand am Ruder stehen.




glauben und überzeugt sein, irgendwo auf dem Grnnde der Seele blieb ihnen
aber doch ein unbehaglicher Rest vou Bewußtsein, daß ihre Sache durch Un¬
wahrheit verfochten werde. Daher die Scheu vor der Öffentlichkeit. So lange
sie sich nicht entschließen konnten, mit dem Prinzip zu brechen, standen sie den
beschränkten und gewissenlosen aus den eignen Reihen, die keine solchen Be¬
denken hatten oder sich leichten Herzens darüber wegzusetzen verstanden, beinahe
wehrlos gegenüber. Ja sie waren in vielen Fällen genöthigt, gegen besseres
Wissen offenbare Dummheiten anderer zu vertheidigen, offenbare Schlechtigkeiten
anderer zu beschönigen, damit nur keine Spaltung eintrete, damit nur die Laien¬
welt nicht eine Verschiedenheit der Ansichten gewahr werde und an der Einheit,
Unwandelbarkeit und Unfehlbarkeit der Kirche zu zweifeln beginne.

Auch nachdem 'die liberale Partei an's Ruder gekommen, finden wir noch
dieselbe Scheu, Nachtheiliges über das Kloster oder einzelne Mitglieder desselben
in die Öffentlichkeit dringen zu lasse», dasselbe ängstliche Bestreben, wenigstens
den Schein zu retten, wenn die Dinge nicht so waren, wie sie sein sollten,
dieselbe Zaghaftigkeit in der Vertretung von Ueberzeugungen, sowie damit auch
nur von ferne die Gefahr verbunden war, daß die Ueberzeugungstreue zu
einem Skandale oder zu einem Konflikte mit irgend welchen kirchlichen Auto¬
ritäten führen könne. Als die oben erwähnten Vorgänge bei der Wahl eines
neuen Abtes im Sommer 1787 ein paar Jahre später durch irgend welche
Indiskretion bekannt wurden und in den Zeitungen ansingen besprochen zu
werden, da hatte man im Kloster nichts eiligeres zu thun, als, soweit es sich
thun ließ, ohne direkt zu lügen, die Sache in Abrede zu stellen. Einige kleine
Unrichtigkeiten, die sich in die Zeitungsberichte eingeschlichen hatten, ermöglichten
es, ein Dementi zu geben, ohne daß es nöthig gewesen wäre, die Grundsätze,
nach denen man gehandelt hatte, geradezu zu verläugnen.

Unsere Neresheimer Freunde haben als wackere und gebildete Männer
durch persönliche Einwirkung auf ihre Umgebung ohne Zweifel vielen Nutzen
gestiftet und den Samen manches Guten ausgestrent. Für eine dauernde Reform
des Klosterwesens haben sie nichts geleistet, und weder sie, noch ihre vielen
Gesinnungsgenossen im Klerus haben den wohlthätigen Einfluß auf die Ent¬
wickelung der katholischen Kirche geübt, den sie ihrer Intelligenz und sonstigen
guten Eigenschaften nach sehr wohl hätten üben können. Wo der freie, rück¬
sichtslose Muth der Wahrheit fehlt, da wird auch Bildung vereint mit ge¬
diegenem Wissen selbst bei dem redlichsten Wollen nur wenig ausrichten; da
werden auf die Dauer doch immer beschränkter Sinn und Gewissenlosigkeit mit
maßgebender Hand am Ruder stehen.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0471" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/138702"/>
          <p xml:id="ID_1447" prev="#ID_1446"> glauben und überzeugt sein, irgendwo auf dem Grnnde der Seele blieb ihnen<lb/>
aber doch ein unbehaglicher Rest vou Bewußtsein, daß ihre Sache durch Un¬<lb/>
wahrheit verfochten werde. Daher die Scheu vor der Öffentlichkeit. So lange<lb/>
sie sich nicht entschließen konnten, mit dem Prinzip zu brechen, standen sie den<lb/>
beschränkten und gewissenlosen aus den eignen Reihen, die keine solchen Be¬<lb/>
denken hatten oder sich leichten Herzens darüber wegzusetzen verstanden, beinahe<lb/>
wehrlos gegenüber. Ja sie waren in vielen Fällen genöthigt, gegen besseres<lb/>
Wissen offenbare Dummheiten anderer zu vertheidigen, offenbare Schlechtigkeiten<lb/>
anderer zu beschönigen, damit nur keine Spaltung eintrete, damit nur die Laien¬<lb/>
welt nicht eine Verschiedenheit der Ansichten gewahr werde und an der Einheit,<lb/>
Unwandelbarkeit und Unfehlbarkeit der Kirche zu zweifeln beginne.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1448"> Auch nachdem 'die liberale Partei an's Ruder gekommen, finden wir noch<lb/>
dieselbe Scheu, Nachtheiliges über das Kloster oder einzelne Mitglieder desselben<lb/>
in die Öffentlichkeit dringen zu lasse», dasselbe ängstliche Bestreben, wenigstens<lb/>
den Schein zu retten, wenn die Dinge nicht so waren, wie sie sein sollten,<lb/>
dieselbe Zaghaftigkeit in der Vertretung von Ueberzeugungen, sowie damit auch<lb/>
nur von ferne die Gefahr verbunden war, daß die Ueberzeugungstreue zu<lb/>
einem Skandale oder zu einem Konflikte mit irgend welchen kirchlichen Auto¬<lb/>
ritäten führen könne. Als die oben erwähnten Vorgänge bei der Wahl eines<lb/>
neuen Abtes im Sommer 1787 ein paar Jahre später durch irgend welche<lb/>
Indiskretion bekannt wurden und in den Zeitungen ansingen besprochen zu<lb/>
werden, da hatte man im Kloster nichts eiligeres zu thun, als, soweit es sich<lb/>
thun ließ, ohne direkt zu lügen, die Sache in Abrede zu stellen. Einige kleine<lb/>
Unrichtigkeiten, die sich in die Zeitungsberichte eingeschlichen hatten, ermöglichten<lb/>
es, ein Dementi zu geben, ohne daß es nöthig gewesen wäre, die Grundsätze,<lb/>
nach denen man gehandelt hatte, geradezu zu verläugnen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1449"> Unsere Neresheimer Freunde haben als wackere und gebildete Männer<lb/>
durch persönliche Einwirkung auf ihre Umgebung ohne Zweifel vielen Nutzen<lb/>
gestiftet und den Samen manches Guten ausgestrent. Für eine dauernde Reform<lb/>
des Klosterwesens haben sie nichts geleistet, und weder sie, noch ihre vielen<lb/>
Gesinnungsgenossen im Klerus haben den wohlthätigen Einfluß auf die Ent¬<lb/>
wickelung der katholischen Kirche geübt, den sie ihrer Intelligenz und sonstigen<lb/>
guten Eigenschaften nach sehr wohl hätten üben können. Wo der freie, rück¬<lb/>
sichtslose Muth der Wahrheit fehlt, da wird auch Bildung vereint mit ge¬<lb/>
diegenem Wissen selbst bei dem redlichsten Wollen nur wenig ausrichten; da<lb/>
werden auf die Dauer doch immer beschränkter Sinn und Gewissenlosigkeit mit<lb/>
maßgebender Hand am Ruder stehen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0471] glauben und überzeugt sein, irgendwo auf dem Grnnde der Seele blieb ihnen aber doch ein unbehaglicher Rest vou Bewußtsein, daß ihre Sache durch Un¬ wahrheit verfochten werde. Daher die Scheu vor der Öffentlichkeit. So lange sie sich nicht entschließen konnten, mit dem Prinzip zu brechen, standen sie den beschränkten und gewissenlosen aus den eignen Reihen, die keine solchen Be¬ denken hatten oder sich leichten Herzens darüber wegzusetzen verstanden, beinahe wehrlos gegenüber. Ja sie waren in vielen Fällen genöthigt, gegen besseres Wissen offenbare Dummheiten anderer zu vertheidigen, offenbare Schlechtigkeiten anderer zu beschönigen, damit nur keine Spaltung eintrete, damit nur die Laien¬ welt nicht eine Verschiedenheit der Ansichten gewahr werde und an der Einheit, Unwandelbarkeit und Unfehlbarkeit der Kirche zu zweifeln beginne. Auch nachdem 'die liberale Partei an's Ruder gekommen, finden wir noch dieselbe Scheu, Nachtheiliges über das Kloster oder einzelne Mitglieder desselben in die Öffentlichkeit dringen zu lasse», dasselbe ängstliche Bestreben, wenigstens den Schein zu retten, wenn die Dinge nicht so waren, wie sie sein sollten, dieselbe Zaghaftigkeit in der Vertretung von Ueberzeugungen, sowie damit auch nur von ferne die Gefahr verbunden war, daß die Ueberzeugungstreue zu einem Skandale oder zu einem Konflikte mit irgend welchen kirchlichen Auto¬ ritäten führen könne. Als die oben erwähnten Vorgänge bei der Wahl eines neuen Abtes im Sommer 1787 ein paar Jahre später durch irgend welche Indiskretion bekannt wurden und in den Zeitungen ansingen besprochen zu werden, da hatte man im Kloster nichts eiligeres zu thun, als, soweit es sich thun ließ, ohne direkt zu lügen, die Sache in Abrede zu stellen. Einige kleine Unrichtigkeiten, die sich in die Zeitungsberichte eingeschlichen hatten, ermöglichten es, ein Dementi zu geben, ohne daß es nöthig gewesen wäre, die Grundsätze, nach denen man gehandelt hatte, geradezu zu verläugnen. Unsere Neresheimer Freunde haben als wackere und gebildete Männer durch persönliche Einwirkung auf ihre Umgebung ohne Zweifel vielen Nutzen gestiftet und den Samen manches Guten ausgestrent. Für eine dauernde Reform des Klosterwesens haben sie nichts geleistet, und weder sie, noch ihre vielen Gesinnungsgenossen im Klerus haben den wohlthätigen Einfluß auf die Ent¬ wickelung der katholischen Kirche geübt, den sie ihrer Intelligenz und sonstigen guten Eigenschaften nach sehr wohl hätten üben können. Wo der freie, rück¬ sichtslose Muth der Wahrheit fehlt, da wird auch Bildung vereint mit ge¬ diegenem Wissen selbst bei dem redlichsten Wollen nur wenig ausrichten; da werden auf die Dauer doch immer beschränkter Sinn und Gewissenlosigkeit mit maßgebender Hand am Ruder stehen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/471
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/471>, abgerufen am 28.09.2024.