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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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schüttete" ihren Kummer in das Tagebuch aus und gehorchten im übrigen den
Befehlen ihres Herren. Zum Handeln kam es selten. Es war eigentlich nur
einmal, daß die ehrwürdigen Väter Muth und Entschlossenheit genug zu einem
offnen und nicht alsbald wieder erlöschenden Widerstande zusammenrafften.
Den äußeren Anlaß dazu gab die plötzliche, und ohne Angabe eines Grundes
-- "da ich eine Abänderung machen will", heißt es in einem betreffenden
Dekrete -- erfolgte Entlassung des bei dem gauzeu Kapitel beliebten, ersten
weltlichen Beamten des Klosters, des Oberamtmanns Köberle. Es geschah im
Angust 1777, und wie es scheint, gab das Ereigniß unserm Freunde nack den
ersten Anstoß zur regelmäßigen Führung eines Tagebuches. Die eigenmächtige
Handlung des Prälaten erregte allgemeine Erbitterung; selbst die furchtsameren
Gemüther ernannten sich, und für den Augenblick schien der ganze Konvent
einig zur Abwehr dieser Unbill. Anstifter und Leiter der Bewegung waren
natürlich die freisinnigeren Köpfe. Eine Majorität der Kapitularen hielt
mehrere Monate in geschlossenem, allerdings mehr passivem als aktiven Wider¬
stande aus; sie weigerten sich, die Absetzung des Oberamtmannes anzuerkennen,
sie überflutheten ihren Gebieter mit Beschwerdeschriften und appellirten zuletzt
an den Bischof. Es scheint sogar von einem Rekurse an den Kaiser die Rede
gewesen zu sein. Sie bestritten dein Abte das Recht, höhere Beamte lediglich
nach eigenem Belieben zu entlassen. Im weiteren Verlaufe des Streites kamen
denn auch seiue sonstigen Uebergriffe und Rechtsverletzungen, sowie die üble
Behandlung, die er allen ohne Ausnahme hätte angedeihen lassen, zur Sprache;
unter anderem auch die Klage cle kdrvMto xow xomoricliavo. Es war auch
nicht bloß Abstellung einiger Mißbräuche, worauf die Beschwerdeführer hin¬
arbeiteten, ihr Bestreben ging vielmehr darauf aus, überhaupt dem Konvente
einen größeren Einfluß auf den Gang der Dinge im Kloster zu verschaffen,
Und sie suchten die Rechtmäßigst ihres Verlangens historisch und philosophisch
zu begründen. Bei einigen mag wohl anch im Hintergründe der Gedanke ge¬
standen haben, die Absetzung des Tyrannen zu erwirken, sowie dieser selbst in
früherer Zeit die Haupttriebfeder der erzwungenen Abdankung seines Vor¬
gängers gewesen.

Die Quellen über diesen Verfassungsstreit fließen sehr reichlich. Fast von
komischer Wirkung ist der Gegensatz zwischen den gefühlseligen rhetorisirenden
Ergüssen der Konventualen und der derben, kurz angebundenen Sprache des
Prälaten. "Thränenden Auges" treten die ersteren vor ihren Gebieter und be¬
schwören ihn, doch endlich einmal ein Vater zu sein, nicht immer blos den
Herren herauszukehren. Sie reden von Tugend und Religion, von christlicher
Liebe, von Humanität und allgemeinen Menschenrechten. "Wer ist der Un¬
mensch", rufen sie, ihre Parteinahme für den Oberamtmann entschuldigend, "der


schüttete» ihren Kummer in das Tagebuch aus und gehorchten im übrigen den
Befehlen ihres Herren. Zum Handeln kam es selten. Es war eigentlich nur
einmal, daß die ehrwürdigen Väter Muth und Entschlossenheit genug zu einem
offnen und nicht alsbald wieder erlöschenden Widerstande zusammenrafften.
Den äußeren Anlaß dazu gab die plötzliche, und ohne Angabe eines Grundes
— „da ich eine Abänderung machen will", heißt es in einem betreffenden
Dekrete — erfolgte Entlassung des bei dem gauzeu Kapitel beliebten, ersten
weltlichen Beamten des Klosters, des Oberamtmanns Köberle. Es geschah im
Angust 1777, und wie es scheint, gab das Ereigniß unserm Freunde nack den
ersten Anstoß zur regelmäßigen Führung eines Tagebuches. Die eigenmächtige
Handlung des Prälaten erregte allgemeine Erbitterung; selbst die furchtsameren
Gemüther ernannten sich, und für den Augenblick schien der ganze Konvent
einig zur Abwehr dieser Unbill. Anstifter und Leiter der Bewegung waren
natürlich die freisinnigeren Köpfe. Eine Majorität der Kapitularen hielt
mehrere Monate in geschlossenem, allerdings mehr passivem als aktiven Wider¬
stande aus; sie weigerten sich, die Absetzung des Oberamtmannes anzuerkennen,
sie überflutheten ihren Gebieter mit Beschwerdeschriften und appellirten zuletzt
an den Bischof. Es scheint sogar von einem Rekurse an den Kaiser die Rede
gewesen zu sein. Sie bestritten dein Abte das Recht, höhere Beamte lediglich
nach eigenem Belieben zu entlassen. Im weiteren Verlaufe des Streites kamen
denn auch seiue sonstigen Uebergriffe und Rechtsverletzungen, sowie die üble
Behandlung, die er allen ohne Ausnahme hätte angedeihen lassen, zur Sprache;
unter anderem auch die Klage cle kdrvMto xow xomoricliavo. Es war auch
nicht bloß Abstellung einiger Mißbräuche, worauf die Beschwerdeführer hin¬
arbeiteten, ihr Bestreben ging vielmehr darauf aus, überhaupt dem Konvente
einen größeren Einfluß auf den Gang der Dinge im Kloster zu verschaffen,
Und sie suchten die Rechtmäßigst ihres Verlangens historisch und philosophisch
zu begründen. Bei einigen mag wohl anch im Hintergründe der Gedanke ge¬
standen haben, die Absetzung des Tyrannen zu erwirken, sowie dieser selbst in
früherer Zeit die Haupttriebfeder der erzwungenen Abdankung seines Vor¬
gängers gewesen.

Die Quellen über diesen Verfassungsstreit fließen sehr reichlich. Fast von
komischer Wirkung ist der Gegensatz zwischen den gefühlseligen rhetorisirenden
Ergüssen der Konventualen und der derben, kurz angebundenen Sprache des
Prälaten. „Thränenden Auges" treten die ersteren vor ihren Gebieter und be¬
schwören ihn, doch endlich einmal ein Vater zu sein, nicht immer blos den
Herren herauszukehren. Sie reden von Tugend und Religion, von christlicher
Liebe, von Humanität und allgemeinen Menschenrechten. „Wer ist der Un¬
mensch", rufen sie, ihre Parteinahme für den Oberamtmann entschuldigend, „der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/463>, abgerufen am 29.09.2024.