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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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in seinem Kloster schwer geschädigt. Dein Eindringen freierer Meinungen mag
dies manchen Vorschub geleistet haben.

Nach seiner erzwungenen Abdankung wurde einstimmig sein Hauptgegner,
der Führer der Opposition, zum Abte gewählt; es war der schon erwähnte
Benedikt Maria Angern, eine merkwürdige und höchst originelle Persönlichkeit.
Er war zu Hagenwil in der Schweiz 1720 geboren, erhielt seine Erziehung
in Se. Gallen, trat 1741 in das Reichsstift Neresheim ein und regierte dort
von 1755 bis 1787. In den süddeutschen Klöstern gab man ihm allgemein
den Beinamen "der schwäbische Soliman", und in der That war er ein
Despot im vollsten Sinne des Wortes, ein Mann von unbeugsamen Charakter,
vou eiserner Willenskraft, in der Wahl der Mittel wenig skrupulös, doch nichts
weniger als ein Intrigant. Es lag keineswegs in seiner Art, durch schlaues,
berechnendes Plauen seiue Zwecke anzustreben, energisches Handeln sagte ihm
viel mehr zu. Die kleinen Listen, deren er sich bediente, sind leicht zu durch¬
schauen. Seine Politik ist die eines Kindes: Ohne Besinnen schlägt er den
Weg ein, der ihm als der kürzeste und bequemste zum Ziele zu führen erscheint;
und wenn ihm im nächsten Augenblicke der entgegengesetzte besser gefällt, so
so geht er ebenso unbedenklich den entgegengesetzten. Ob er sich dabei wider¬
spricht, ob er heute lobt, was er gestern tadelte, oder umgekehrt, kümmert ihn
nicht. Ob er dabei Andern Unrecht thut, ob sein Handeln mit dem Sittenge¬
setze stimmt oder nicht, darüber denkt er nicht nach. Was andere von ihm
halten, darnach fragt er nichts. Von den Fehlern seines Vorgängers scheint
er sich aber frei gehalten zu haben, und überhaupt kann ihm Mißbrauch seiner
Stellung für persönliche Zwecke nicht zur Last gelegt werden. Die Interessen
des Stifts, freilich wie er sie verstand, bildeten das Ziel seiner kainpfesfrohen
Thätigkeit.

Das unter einem solchen Obern die Untergebenen, mochten sie sich auf¬
führen, wie sie wollten, ein hartes Leben haben mußten, ist natürlich. In
einer 1777 an den Kurfürsten Clemens Wenzeslans von Trier, als Bischof
von Augsburg, gerichteten Beschwerdeschrift des Konventes heißt es unter an¬
derem: "Gerechter Richter! Hier wäre der Ort den Vorhang vor so vielen
Auftritten hinwegzunehmen, die so oft in den Klöstern gespielt werden. O! da
herrscht oftmals der Despotismus weit verderblicher als in dem unglücklichen
Asien selbst. Da wird nicht selten die Ehre, der Ruhm, das Vergnügen, die
Ruhe der rechtschaffensten Geistlichen das Opfer der Rache, der Uebereilung
oder wohl gar des Humors."

Es waren nun freilich keine großen Dinge, in denen sich die tyrannischen
Launen des "gnädigen Herrn" äußerten. Wir hören nichts von Mord und
Todschlag; es wird niemand vergiftet, lebendig eingemauert, oder auch nur


in seinem Kloster schwer geschädigt. Dein Eindringen freierer Meinungen mag
dies manchen Vorschub geleistet haben.

Nach seiner erzwungenen Abdankung wurde einstimmig sein Hauptgegner,
der Führer der Opposition, zum Abte gewählt; es war der schon erwähnte
Benedikt Maria Angern, eine merkwürdige und höchst originelle Persönlichkeit.
Er war zu Hagenwil in der Schweiz 1720 geboren, erhielt seine Erziehung
in Se. Gallen, trat 1741 in das Reichsstift Neresheim ein und regierte dort
von 1755 bis 1787. In den süddeutschen Klöstern gab man ihm allgemein
den Beinamen „der schwäbische Soliman", und in der That war er ein
Despot im vollsten Sinne des Wortes, ein Mann von unbeugsamen Charakter,
vou eiserner Willenskraft, in der Wahl der Mittel wenig skrupulös, doch nichts
weniger als ein Intrigant. Es lag keineswegs in seiner Art, durch schlaues,
berechnendes Plauen seiue Zwecke anzustreben, energisches Handeln sagte ihm
viel mehr zu. Die kleinen Listen, deren er sich bediente, sind leicht zu durch¬
schauen. Seine Politik ist die eines Kindes: Ohne Besinnen schlägt er den
Weg ein, der ihm als der kürzeste und bequemste zum Ziele zu führen erscheint;
und wenn ihm im nächsten Augenblicke der entgegengesetzte besser gefällt, so
so geht er ebenso unbedenklich den entgegengesetzten. Ob er sich dabei wider¬
spricht, ob er heute lobt, was er gestern tadelte, oder umgekehrt, kümmert ihn
nicht. Ob er dabei Andern Unrecht thut, ob sein Handeln mit dem Sittenge¬
setze stimmt oder nicht, darüber denkt er nicht nach. Was andere von ihm
halten, darnach fragt er nichts. Von den Fehlern seines Vorgängers scheint
er sich aber frei gehalten zu haben, und überhaupt kann ihm Mißbrauch seiner
Stellung für persönliche Zwecke nicht zur Last gelegt werden. Die Interessen
des Stifts, freilich wie er sie verstand, bildeten das Ziel seiner kainpfesfrohen
Thätigkeit.

Das unter einem solchen Obern die Untergebenen, mochten sie sich auf¬
führen, wie sie wollten, ein hartes Leben haben mußten, ist natürlich. In
einer 1777 an den Kurfürsten Clemens Wenzeslans von Trier, als Bischof
von Augsburg, gerichteten Beschwerdeschrift des Konventes heißt es unter an¬
derem: „Gerechter Richter! Hier wäre der Ort den Vorhang vor so vielen
Auftritten hinwegzunehmen, die so oft in den Klöstern gespielt werden. O! da
herrscht oftmals der Despotismus weit verderblicher als in dem unglücklichen
Asien selbst. Da wird nicht selten die Ehre, der Ruhm, das Vergnügen, die
Ruhe der rechtschaffensten Geistlichen das Opfer der Rache, der Uebereilung
oder wohl gar des Humors."

Es waren nun freilich keine großen Dinge, in denen sich die tyrannischen
Launen des „gnädigen Herrn" äußerten. Wir hören nichts von Mord und
Todschlag; es wird niemand vergiftet, lebendig eingemauert, oder auch nur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/431>, abgerufen am 29.09.2024.