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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Genugthuung: Vei den im April 1791 angestellten Prüfungen leisteten die
Schulkinder "allenthalben sowohl in Religionssachen als in Sprachgegenstünden
vollkommenes Genügen. Am allervortrefflichsten aber fiel die Sache in Groß-
e'neben aus, wo die Kinder die ganze Priifung gesprächsweise untereinander selbst
anstellten und ihre Rolle unvergleichlich spielten."

Theologie, Philosophie, Sprachkunde und Geschichte waren natürlich die¬
jenigen Studien, mit denen sich die geistlichen Herren vorzugsweise beschäftigten.
Doch blieben ihnen auch Mathematik und Naturwissenschaften keineswegs fremd.
Zur Anschaffung von phhsikalischen Instrumenten war alljährlich eine gewisse
Summe bestimmt (200 si.); neue Erfindungen ans diesem Gebiete wurden der
ganzen Nachbarschaft in der Regel durch das Kloster vermittelt. Der Magnus
Fars war weit und breit als Elektriseur bekannt. Er war es auch, der in
der Gegend die Blitzableiter einführte, und man suchte von nah und fern
seine Hilfe bei Aufstellung derselben. Im Anfang der neunziger Jahre legte
man im Kloster eine Druckerei nu, damit man die Bnchhändlerrechnungen in
Augsburg und Dillingen, im Betrage von etwa 5 bis K00 si. das Jahr, in
Zukunft mit Waare, d. h. mit zu Neresheim gedruckten Büchern bezahlen könne.
Man versprach sich große Vortheile davon; der Erfolg war aber, wie es bei
dergleichen wirthschnftlichen Difteleieu zu gehen Pflegt: nachdem man einige Zeit
mit Verlust gearbeitet hatte, schlief die Sache wieder ein.

Das gewaltige Ringen der Geister uach Licht und Freiheit der Bewegung,
von dem ganz Deutschland, ja das ganze civilisirte Europa in der zweiten Hülste
des 18. Jahrhunderts ergriffen war, machte sich auch hinter den Kloster-
mallern von Neresheim fühlbar. Wie draußen in der Welt, so wurde auch
hier manch harter Strauß um diese köstlichen Güter ausgefochten. Indeß die
eigenthümliche Verfassung der klösterlichen Genossenschaft, der eigenthümliche
Bildungsgang und die eigenthümliche Denkart der Mönche geben diesen
.Kämpfen doch etwas ganz eigenartiges. Mau wird in weltlichen Staateil und
Stäätchen schwerlich vollkommene Parallelen dazu finden. Auch hierüber bieten
uns, neben anderen Dokumenten, namentlich nack's Tagebücher reichlichen und
dankenswerthen Aufschluß. .Karl nack gehörte zu den aufgeklärtesten unter den
Neresheimer Benediktinern, und so enthalten seine Tagebücher gewissermaßen
auch die Leidensgeschichte der Partei des Fortschritts im Kloster.

Wann zuerst liberale Ideen in Neresheim Fuß gefaßt, ist ungewiß; aus
der Zeit vor 1777 haben wir keine Nachricht darüber. Unter dem drittletzten
Abte Aurelius Braisch waren die freisiniligereu Regungen vermuthlich uoch
sehr unbedeutend, doch hat dieser durch sein sittenloses Leben das eigene An¬
sehen und damit ohne Zweifel auch die Autorität eines Prälaten überhaupt


Genugthuung: Vei den im April 1791 angestellten Prüfungen leisteten die
Schulkinder „allenthalben sowohl in Religionssachen als in Sprachgegenstünden
vollkommenes Genügen. Am allervortrefflichsten aber fiel die Sache in Groß-
e'neben aus, wo die Kinder die ganze Priifung gesprächsweise untereinander selbst
anstellten und ihre Rolle unvergleichlich spielten."

Theologie, Philosophie, Sprachkunde und Geschichte waren natürlich die¬
jenigen Studien, mit denen sich die geistlichen Herren vorzugsweise beschäftigten.
Doch blieben ihnen auch Mathematik und Naturwissenschaften keineswegs fremd.
Zur Anschaffung von phhsikalischen Instrumenten war alljährlich eine gewisse
Summe bestimmt (200 si.); neue Erfindungen ans diesem Gebiete wurden der
ganzen Nachbarschaft in der Regel durch das Kloster vermittelt. Der Magnus
Fars war weit und breit als Elektriseur bekannt. Er war es auch, der in
der Gegend die Blitzableiter einführte, und man suchte von nah und fern
seine Hilfe bei Aufstellung derselben. Im Anfang der neunziger Jahre legte
man im Kloster eine Druckerei nu, damit man die Bnchhändlerrechnungen in
Augsburg und Dillingen, im Betrage von etwa 5 bis K00 si. das Jahr, in
Zukunft mit Waare, d. h. mit zu Neresheim gedruckten Büchern bezahlen könne.
Man versprach sich große Vortheile davon; der Erfolg war aber, wie es bei
dergleichen wirthschnftlichen Difteleieu zu gehen Pflegt: nachdem man einige Zeit
mit Verlust gearbeitet hatte, schlief die Sache wieder ein.

Das gewaltige Ringen der Geister uach Licht und Freiheit der Bewegung,
von dem ganz Deutschland, ja das ganze civilisirte Europa in der zweiten Hülste
des 18. Jahrhunderts ergriffen war, machte sich auch hinter den Kloster-
mallern von Neresheim fühlbar. Wie draußen in der Welt, so wurde auch
hier manch harter Strauß um diese köstlichen Güter ausgefochten. Indeß die
eigenthümliche Verfassung der klösterlichen Genossenschaft, der eigenthümliche
Bildungsgang und die eigenthümliche Denkart der Mönche geben diesen
.Kämpfen doch etwas ganz eigenartiges. Mau wird in weltlichen Staateil und
Stäätchen schwerlich vollkommene Parallelen dazu finden. Auch hierüber bieten
uns, neben anderen Dokumenten, namentlich nack's Tagebücher reichlichen und
dankenswerthen Aufschluß. .Karl nack gehörte zu den aufgeklärtesten unter den
Neresheimer Benediktinern, und so enthalten seine Tagebücher gewissermaßen
auch die Leidensgeschichte der Partei des Fortschritts im Kloster.

Wann zuerst liberale Ideen in Neresheim Fuß gefaßt, ist ungewiß; aus
der Zeit vor 1777 haben wir keine Nachricht darüber. Unter dem drittletzten
Abte Aurelius Braisch waren die freisiniligereu Regungen vermuthlich uoch
sehr unbedeutend, doch hat dieser durch sein sittenloses Leben das eigene An¬
sehen und damit ohne Zweifel auch die Autorität eines Prälaten überhaupt


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[0430] Genugthuung: Vei den im April 1791 angestellten Prüfungen leisteten die Schulkinder „allenthalben sowohl in Religionssachen als in Sprachgegenstünden vollkommenes Genügen. Am allervortrefflichsten aber fiel die Sache in Groß- e'neben aus, wo die Kinder die ganze Priifung gesprächsweise untereinander selbst anstellten und ihre Rolle unvergleichlich spielten." Theologie, Philosophie, Sprachkunde und Geschichte waren natürlich die¬ jenigen Studien, mit denen sich die geistlichen Herren vorzugsweise beschäftigten. Doch blieben ihnen auch Mathematik und Naturwissenschaften keineswegs fremd. Zur Anschaffung von phhsikalischen Instrumenten war alljährlich eine gewisse Summe bestimmt (200 si.); neue Erfindungen ans diesem Gebiete wurden der ganzen Nachbarschaft in der Regel durch das Kloster vermittelt. Der Magnus Fars war weit und breit als Elektriseur bekannt. Er war es auch, der in der Gegend die Blitzableiter einführte, und man suchte von nah und fern seine Hilfe bei Aufstellung derselben. Im Anfang der neunziger Jahre legte man im Kloster eine Druckerei nu, damit man die Bnchhändlerrechnungen in Augsburg und Dillingen, im Betrage von etwa 5 bis K00 si. das Jahr, in Zukunft mit Waare, d. h. mit zu Neresheim gedruckten Büchern bezahlen könne. Man versprach sich große Vortheile davon; der Erfolg war aber, wie es bei dergleichen wirthschnftlichen Difteleieu zu gehen Pflegt: nachdem man einige Zeit mit Verlust gearbeitet hatte, schlief die Sache wieder ein. Das gewaltige Ringen der Geister uach Licht und Freiheit der Bewegung, von dem ganz Deutschland, ja das ganze civilisirte Europa in der zweiten Hülste des 18. Jahrhunderts ergriffen war, machte sich auch hinter den Kloster- mallern von Neresheim fühlbar. Wie draußen in der Welt, so wurde auch hier manch harter Strauß um diese köstlichen Güter ausgefochten. Indeß die eigenthümliche Verfassung der klösterlichen Genossenschaft, der eigenthümliche Bildungsgang und die eigenthümliche Denkart der Mönche geben diesen .Kämpfen doch etwas ganz eigenartiges. Mau wird in weltlichen Staateil und Stäätchen schwerlich vollkommene Parallelen dazu finden. Auch hierüber bieten uns, neben anderen Dokumenten, namentlich nack's Tagebücher reichlichen und dankenswerthen Aufschluß. .Karl nack gehörte zu den aufgeklärtesten unter den Neresheimer Benediktinern, und so enthalten seine Tagebücher gewissermaßen auch die Leidensgeschichte der Partei des Fortschritts im Kloster. Wann zuerst liberale Ideen in Neresheim Fuß gefaßt, ist ungewiß; aus der Zeit vor 1777 haben wir keine Nachricht darüber. Unter dem drittletzten Abte Aurelius Braisch waren die freisiniligereu Regungen vermuthlich uoch sehr unbedeutend, doch hat dieser durch sein sittenloses Leben das eigene An¬ sehen und damit ohne Zweifel auch die Autorität eines Prälaten überhaupt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/430>, abgerufen am 29.09.2024.