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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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es aber auch ernsthaftere Ursachen zu Sorge und Unruhe für unsere Mönche.
Die Weltbegebenheiten in der zweiten Hälfte und besonders gegen Ende des
vorigen Jahrhunderts trieben ihre Wellen auch nach Neresheim. Als im
November 17<>2 die Kunde kam, der "preus" sei im Anzüge ans Nürnberg,
da lief, wie wir ans der schon ernährten, lateinisch und deutsch durcheinander
geschriebenen Chronik des ?. Urbik Fanlhaber ersehen, ein panischer Schrecken
dnrch das Kloster. Man glaubte nicht anders, als die Armee des ketzerischen
Königs habe es auf die fetten schwäbischen Reichsstifter abgesehen. Silber und
andere Kostbarkeiten wurden gepackt, um auf der Stelle geflüchtet werden zu
können; einen Theil des Silberzeugs hatte man sogar, um es sicher zu stellen,
schon das Jahr zuvor nach Se. Gallen geschafft, wo der damalige Abt von
Neresheim, Benedikt Maria, erzogen worden war. Man schickte reitende Kund¬
schafter aus, um bei Zeiten von dem Herannahen der Feinde in Kenntniß
gesetzt zu werden. Alles war zur sofortigen Flucht gerüstet. Doch kam man
mit dem bloßen Schrecken davon: Die Preußen kehrten wieder um. Viel
schlimmer fuhr man in den neunziger Jahren mit den Franzosen; sie kamen,
nachdem ein paarmal ihretwegen blinder Lärm geschlagen und ohne Grund
zur Flucht gepackt worden war, am Ende wirklich -- zuerst 1796 --, und es half
nichts, daß man dem "General Moro" vorzustellen suchte, das Kloster Neresheim
sei neutral. Es wurde als Feind behandelt und mußte zahlen, um schlimmeren
zu entgehen, und damit verhinderte man noch nicht, daß der gemeine Mann stahl
und raubte, wo er konnte. Sogar das Kirchenwachs war nicht sicher vor den
Händen der republikanischen Helden, und die nahe bei Neresheim gelegene
Wallfahrtskapelle Maria Elch wurde geplündert und niedergebrannt. Im Ganzen
aber kamen die geistlichen Herren noch leidlich davon; ihre Person wurde
wenigstens nicht angetastet. Den Bauern in den umliegenden Ortschaften dagegen
wurde nicht bloß ihr Eigenthum geschädigt und zerstört, sondern sie waren auch
in eigener Person und besonders in der Person ihrer Weiber und Töchter den
schnödesten Mißhandlungen ausgesetzt. Haarsträubende Scheußlichkeiten werden
darüber berichtet.

Bei dieser Lage der Dinge wurde natürlich die Ankunft der Oestreicher
mit Freuden begrüßt, obwohl man sonst auch sie lieber weit weg gewünscht
hätte. Nach dem, was wir gelegentlich über die Beschaffenheit ihres Soldaten¬
materials hören, kann es kaum Wunder nehmen, daß auch sie gerade keine gern
gesehenen Gäste waren. Einmal marschirte ein ganzer Zug, truppweise in
Eisen aneinander geschlossen, vorbei; es waren Stäflinge, die als Soldaten in
den Krieg geführt wurden. Aehnlich verfuhr man übrigens auch in dem Stifte,
um das Kontingent zusammenzubringen, welches man sür die Reichsarmee zu
stellen hatte. Zuerst griff mau unes den Sträflingen: und wenn sich niemand


es aber auch ernsthaftere Ursachen zu Sorge und Unruhe für unsere Mönche.
Die Weltbegebenheiten in der zweiten Hälfte und besonders gegen Ende des
vorigen Jahrhunderts trieben ihre Wellen auch nach Neresheim. Als im
November 17<>2 die Kunde kam, der „preus" sei im Anzüge ans Nürnberg,
da lief, wie wir ans der schon ernährten, lateinisch und deutsch durcheinander
geschriebenen Chronik des ?. Urbik Fanlhaber ersehen, ein panischer Schrecken
dnrch das Kloster. Man glaubte nicht anders, als die Armee des ketzerischen
Königs habe es auf die fetten schwäbischen Reichsstifter abgesehen. Silber und
andere Kostbarkeiten wurden gepackt, um auf der Stelle geflüchtet werden zu
können; einen Theil des Silberzeugs hatte man sogar, um es sicher zu stellen,
schon das Jahr zuvor nach Se. Gallen geschafft, wo der damalige Abt von
Neresheim, Benedikt Maria, erzogen worden war. Man schickte reitende Kund¬
schafter aus, um bei Zeiten von dem Herannahen der Feinde in Kenntniß
gesetzt zu werden. Alles war zur sofortigen Flucht gerüstet. Doch kam man
mit dem bloßen Schrecken davon: Die Preußen kehrten wieder um. Viel
schlimmer fuhr man in den neunziger Jahren mit den Franzosen; sie kamen,
nachdem ein paarmal ihretwegen blinder Lärm geschlagen und ohne Grund
zur Flucht gepackt worden war, am Ende wirklich — zuerst 1796 —, und es half
nichts, daß man dem „General Moro" vorzustellen suchte, das Kloster Neresheim
sei neutral. Es wurde als Feind behandelt und mußte zahlen, um schlimmeren
zu entgehen, und damit verhinderte man noch nicht, daß der gemeine Mann stahl
und raubte, wo er konnte. Sogar das Kirchenwachs war nicht sicher vor den
Händen der republikanischen Helden, und die nahe bei Neresheim gelegene
Wallfahrtskapelle Maria Elch wurde geplündert und niedergebrannt. Im Ganzen
aber kamen die geistlichen Herren noch leidlich davon; ihre Person wurde
wenigstens nicht angetastet. Den Bauern in den umliegenden Ortschaften dagegen
wurde nicht bloß ihr Eigenthum geschädigt und zerstört, sondern sie waren auch
in eigener Person und besonders in der Person ihrer Weiber und Töchter den
schnödesten Mißhandlungen ausgesetzt. Haarsträubende Scheußlichkeiten werden
darüber berichtet.

Bei dieser Lage der Dinge wurde natürlich die Ankunft der Oestreicher
mit Freuden begrüßt, obwohl man sonst auch sie lieber weit weg gewünscht
hätte. Nach dem, was wir gelegentlich über die Beschaffenheit ihres Soldaten¬
materials hören, kann es kaum Wunder nehmen, daß auch sie gerade keine gern
gesehenen Gäste waren. Einmal marschirte ein ganzer Zug, truppweise in
Eisen aneinander geschlossen, vorbei; es waren Stäflinge, die als Soldaten in
den Krieg geführt wurden. Aehnlich verfuhr man übrigens auch in dem Stifte,
um das Kontingent zusammenzubringen, welches man sür die Reichsarmee zu
stellen hatte. Zuerst griff mau unes den Sträflingen: und wenn sich niemand


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/427>, abgerufen am 29.09.2024.