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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Ereignisse waren keineswegs zu geringfügig, um im Tagebuche vereinigt zu
werden.

Wein und Bier waren übrigens nicht die einzigen Getränke, durch deren
Entziehung die Herren Patres in der Enthaltsamkeit geübt wurden; auch im
Kaffee wurden sie gelegentlich verkürzt, und auch darüber gab es lebhafte Er¬
örterungen. "Den 26sten Hornung 1781, schreibt Placidus Calligari, am Fast¬
nachtsmontag ließ ?. Küchelmeister bei ?. Prior wegen dem Kaffee für's
Konvent anfragen. Es wurde abgeschlagen, mit dem Anfügen, es könnte mit
dem Kaffee gehen wie mit den ehemaligen Vespertrüuken, man möchte nämlich
eine Gewohnheit daraus machen. 1^. Subprior versetzte hierauf ganz eifrig:
Prior nimmt sich selbst alle Tage einen oder mehrere Vespertrünke, nußer
dem Konveute, in dem Gastbau, hat also gut reden." ?. Prior wurde durch
diese Dreistigkeit so sehr überrascht, daß er sogleich Kaffee für's Konvent an¬
schasste, machte sich aber fast im nämlichen Augenblicke aus dem Stande in
seinen Gastbau zum spielen, und ließ sich vor Abend nicht mehr sehen."

In den Freuden der Liebe scheint man mehr Enthaltsamkeit geübt zu haben.
Nicht daß man sich ängstlich vor jeder Berührung mit dem schönen Geschlechte
zurückgezogen hätte; im Gegentheil, es waren fortwährend weibliche Gäste im
Kloster, jüngere und ältere, vornehmen und geringeren Standes, und es werden
auch mitunter "s^ulu., wetus iiliMäivi und sonstige verbetene conversationes
und die für diese Verbrechen auferlegten Bußen erwähnt. Im Ganzen jedoch
blieb der Verkehr in den Grenzen des Anstandes. Gröberer Excesse haben sich,
soweit wir sehen, nur einzelne Persönlichkeiten schuldig gemacht, wie der ge-
nannte Abt Aurelius Braisch und einige andere.

Es wäre aber eine unrichtige Vorstellung, wenn man glauben wollte, die
Insassen des Klosters hätten sich nichts anderes angelegen sein lassen als die
Befriedigung ihrer leiblichen Bedürfnisse. Daß es zu keinem ungestörten Ge¬
nusse derselben kam, dafür sorgten schou die Nachbarn, vor allen das Haus
Oettingen, mit dem es fortwährend Händel und Prozesse gab. Oettingischer-
seits beanspruchte mau eine gewisse Oberhoheit über das Stift; der Abt be¬
hauptete volle Reichsuumittelbarkeit. Fast ein halbes Jahrtausend hindurch
übte dieses Verhältniß einen hervorragenden Einfluß auf die Neresheimische
Geschichte, und gerade in den letzten 50 Jahren scheint es sich mehr und mehr
verbittert zu haben. Zwar wurde 1764 zwischen dem Kloster und Oettingen-
Wallerstein, als nächstem Nachbarn und Hauptbetheiligten, ein Vergleich abge¬
schlossen, dem zu Folge gegen Abtretung eines Theils von seinem Gebiete der
Abt als reichsunmittelbar anerkannt wurde. Allein bald fing der Streit von
neuem an und dauerte noch fort, als 1803 die allgemeine Säkularisation aller
geistlichen Stifter stattfand. Die beiden Feinde thaten sich gegenseitig jeden


Grenzboten III. 1S77. 52

Ereignisse waren keineswegs zu geringfügig, um im Tagebuche vereinigt zu
werden.

Wein und Bier waren übrigens nicht die einzigen Getränke, durch deren
Entziehung die Herren Patres in der Enthaltsamkeit geübt wurden; auch im
Kaffee wurden sie gelegentlich verkürzt, und auch darüber gab es lebhafte Er¬
örterungen. „Den 26sten Hornung 1781, schreibt Placidus Calligari, am Fast¬
nachtsmontag ließ ?. Küchelmeister bei ?. Prior wegen dem Kaffee für's
Konvent anfragen. Es wurde abgeschlagen, mit dem Anfügen, es könnte mit
dem Kaffee gehen wie mit den ehemaligen Vespertrüuken, man möchte nämlich
eine Gewohnheit daraus machen. 1^. Subprior versetzte hierauf ganz eifrig:
Prior nimmt sich selbst alle Tage einen oder mehrere Vespertrünke, nußer
dem Konveute, in dem Gastbau, hat also gut reden." ?. Prior wurde durch
diese Dreistigkeit so sehr überrascht, daß er sogleich Kaffee für's Konvent an¬
schasste, machte sich aber fast im nämlichen Augenblicke aus dem Stande in
seinen Gastbau zum spielen, und ließ sich vor Abend nicht mehr sehen."

In den Freuden der Liebe scheint man mehr Enthaltsamkeit geübt zu haben.
Nicht daß man sich ängstlich vor jeder Berührung mit dem schönen Geschlechte
zurückgezogen hätte; im Gegentheil, es waren fortwährend weibliche Gäste im
Kloster, jüngere und ältere, vornehmen und geringeren Standes, und es werden
auch mitunter «s^ulu., wetus iiliMäivi und sonstige verbetene conversationes
und die für diese Verbrechen auferlegten Bußen erwähnt. Im Ganzen jedoch
blieb der Verkehr in den Grenzen des Anstandes. Gröberer Excesse haben sich,
soweit wir sehen, nur einzelne Persönlichkeiten schuldig gemacht, wie der ge-
nannte Abt Aurelius Braisch und einige andere.

Es wäre aber eine unrichtige Vorstellung, wenn man glauben wollte, die
Insassen des Klosters hätten sich nichts anderes angelegen sein lassen als die
Befriedigung ihrer leiblichen Bedürfnisse. Daß es zu keinem ungestörten Ge¬
nusse derselben kam, dafür sorgten schou die Nachbarn, vor allen das Haus
Oettingen, mit dem es fortwährend Händel und Prozesse gab. Oettingischer-
seits beanspruchte mau eine gewisse Oberhoheit über das Stift; der Abt be¬
hauptete volle Reichsuumittelbarkeit. Fast ein halbes Jahrtausend hindurch
übte dieses Verhältniß einen hervorragenden Einfluß auf die Neresheimische
Geschichte, und gerade in den letzten 50 Jahren scheint es sich mehr und mehr
verbittert zu haben. Zwar wurde 1764 zwischen dem Kloster und Oettingen-
Wallerstein, als nächstem Nachbarn und Hauptbetheiligten, ein Vergleich abge¬
schlossen, dem zu Folge gegen Abtretung eines Theils von seinem Gebiete der
Abt als reichsunmittelbar anerkannt wurde. Allein bald fing der Streit von
neuem an und dauerte noch fort, als 1803 die allgemeine Säkularisation aller
geistlichen Stifter stattfand. Die beiden Feinde thaten sich gegenseitig jeden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/425>, abgerufen am 29.09.2024.