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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Eine Biographie Chopins, dieses in seiner Art einzigen Künstlers,
der, eine Virtuosenlanfbahn im gewöhnlichen Sinne verschmähend, mit der
großen Welt nnr wenig in Berührung kam, in ihr fast fremd und un¬
bekannt blieb, muß hochwillkomner geheißen werde". Sein Landsmann,
Moritz Karasowski, suchte seiner Aufgabe mit Liebe und Begeiste¬
rung gerecht zu werden. Die von ihm geschriebenen, ein- und überleitenden
Kapitel sind allerdings der schwächere Theil seines Buches geblieben. Ungemein
anziehend dagegen ist alles das, was über Chopin selbst, seine Persönlichkeit,
seine Studien, seine Beziehungen zu Eltern, Freunden und Kunstgenossen mit¬
getheilt ist, die Perlen der Darstellung aber bilden doch Chopins Briefe, und
unendlich zu beklagen ist es, daß nur wenige derselben in unsere Tage herüber
gerettet werden konnten.^) Diese Schriftstücke athmen durchweg eine edle, noble,
ächt künstlerische Gesinnung; sie lassen einen tiefen Blick in ein kindlich
heiteres, liebenswürdiges und für diejenigen, die seineZuneignng einmal gewonnen,
liebeerfülltes Gemüth thun. Mit aufrichtiger Bescheidenheit eint sich in ihnen
ein nie verletzendes Selbstbewußtsein und ein mildes, zurückhaltendes Urtheil
über Andere, besonders aber überrascht es, in den Briefen aus der Jugendzeit
einem durchaus muntern, zu Scherz und Muthwillen stets aufgelegten, auch
sonst vielseitig begabten Gesellen zu begegnen, einem völlig anderen, als es der
spätere Komponist Chopin ist, dessen Walzer sogar aus Thränen lächeln nud
dessen Mazurken mit seinem Herzblute geschrieben scheinen. Wahrhaft rührend
ist seine Liebe zu Eltern, Geschwistern und Jugendgespielen, seine glühende
Anhänglichkeit an sein unglückliches, vernichtetes Vaterland und seine in der
Verbannung umherirrenden Landsleute. Sein durchweg edles Denken ünßert
sich aber in der verschämten Zartheit, mit der er sich über die Dame, die seine
erste Zuneigung gewonnen, und über das Verhältniß zu ihr ausspricht.

Der Vater unseres Künstlers, Nikolaus Chopin, ein Franzose aus Nancy,
kam im Jahre 1787 gerade zur Zeit, da in Polen, in Folge des von König
Stanislaus II. August (Poniatowski) zum Zwecke beabsichtigter wichtiger
Reformen zusammenberufenen Landtages, außergewöhnliche Aufregung herrschte,
nach Warschau. Mit Staunen sah der junge Mann auf das bunte, lebendige
Treiben, das, ein Ausfluß der politischen Bewegung, damals die Straßen der
Hauptstadt belebte, die verschwenderische, üppiche Pracht der Großen des
Landes und das Elend des verkümmerten Volkes. Er war der Starostiu
Laezynska als Lehrer in ihr Hans nach Warschau gefolgt, fand als solcher



Leider hat der Herausgeber diese Briefe nur in deutscher Ueversetzung mit¬
getheilt! Das Buch würde nach unserm Dafürhalten zehnmal so werthvoll sein, wenn die
Anm. d. Red. Originale vorgelegt worden wären.

Eine Biographie Chopins, dieses in seiner Art einzigen Künstlers,
der, eine Virtuosenlanfbahn im gewöhnlichen Sinne verschmähend, mit der
großen Welt nnr wenig in Berührung kam, in ihr fast fremd und un¬
bekannt blieb, muß hochwillkomner geheißen werde». Sein Landsmann,
Moritz Karasowski, suchte seiner Aufgabe mit Liebe und Begeiste¬
rung gerecht zu werden. Die von ihm geschriebenen, ein- und überleitenden
Kapitel sind allerdings der schwächere Theil seines Buches geblieben. Ungemein
anziehend dagegen ist alles das, was über Chopin selbst, seine Persönlichkeit,
seine Studien, seine Beziehungen zu Eltern, Freunden und Kunstgenossen mit¬
getheilt ist, die Perlen der Darstellung aber bilden doch Chopins Briefe, und
unendlich zu beklagen ist es, daß nur wenige derselben in unsere Tage herüber
gerettet werden konnten.^) Diese Schriftstücke athmen durchweg eine edle, noble,
ächt künstlerische Gesinnung; sie lassen einen tiefen Blick in ein kindlich
heiteres, liebenswürdiges und für diejenigen, die seineZuneignng einmal gewonnen,
liebeerfülltes Gemüth thun. Mit aufrichtiger Bescheidenheit eint sich in ihnen
ein nie verletzendes Selbstbewußtsein und ein mildes, zurückhaltendes Urtheil
über Andere, besonders aber überrascht es, in den Briefen aus der Jugendzeit
einem durchaus muntern, zu Scherz und Muthwillen stets aufgelegten, auch
sonst vielseitig begabten Gesellen zu begegnen, einem völlig anderen, als es der
spätere Komponist Chopin ist, dessen Walzer sogar aus Thränen lächeln nud
dessen Mazurken mit seinem Herzblute geschrieben scheinen. Wahrhaft rührend
ist seine Liebe zu Eltern, Geschwistern und Jugendgespielen, seine glühende
Anhänglichkeit an sein unglückliches, vernichtetes Vaterland und seine in der
Verbannung umherirrenden Landsleute. Sein durchweg edles Denken ünßert
sich aber in der verschämten Zartheit, mit der er sich über die Dame, die seine
erste Zuneigung gewonnen, und über das Verhältniß zu ihr ausspricht.

Der Vater unseres Künstlers, Nikolaus Chopin, ein Franzose aus Nancy,
kam im Jahre 1787 gerade zur Zeit, da in Polen, in Folge des von König
Stanislaus II. August (Poniatowski) zum Zwecke beabsichtigter wichtiger
Reformen zusammenberufenen Landtages, außergewöhnliche Aufregung herrschte,
nach Warschau. Mit Staunen sah der junge Mann auf das bunte, lebendige
Treiben, das, ein Ausfluß der politischen Bewegung, damals die Straßen der
Hauptstadt belebte, die verschwenderische, üppiche Pracht der Großen des
Landes und das Elend des verkümmerten Volkes. Er war der Starostiu
Laezynska als Lehrer in ihr Hans nach Warschau gefolgt, fand als solcher



Leider hat der Herausgeber diese Briefe nur in deutscher Ueversetzung mit¬
getheilt! Das Buch würde nach unserm Dafürhalten zehnmal so werthvoll sein, wenn die
Anm. d. Red. Originale vorgelegt worden wären.
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[0412] Eine Biographie Chopins, dieses in seiner Art einzigen Künstlers, der, eine Virtuosenlanfbahn im gewöhnlichen Sinne verschmähend, mit der großen Welt nnr wenig in Berührung kam, in ihr fast fremd und un¬ bekannt blieb, muß hochwillkomner geheißen werde». Sein Landsmann, Moritz Karasowski, suchte seiner Aufgabe mit Liebe und Begeiste¬ rung gerecht zu werden. Die von ihm geschriebenen, ein- und überleitenden Kapitel sind allerdings der schwächere Theil seines Buches geblieben. Ungemein anziehend dagegen ist alles das, was über Chopin selbst, seine Persönlichkeit, seine Studien, seine Beziehungen zu Eltern, Freunden und Kunstgenossen mit¬ getheilt ist, die Perlen der Darstellung aber bilden doch Chopins Briefe, und unendlich zu beklagen ist es, daß nur wenige derselben in unsere Tage herüber gerettet werden konnten.^) Diese Schriftstücke athmen durchweg eine edle, noble, ächt künstlerische Gesinnung; sie lassen einen tiefen Blick in ein kindlich heiteres, liebenswürdiges und für diejenigen, die seineZuneignng einmal gewonnen, liebeerfülltes Gemüth thun. Mit aufrichtiger Bescheidenheit eint sich in ihnen ein nie verletzendes Selbstbewußtsein und ein mildes, zurückhaltendes Urtheil über Andere, besonders aber überrascht es, in den Briefen aus der Jugendzeit einem durchaus muntern, zu Scherz und Muthwillen stets aufgelegten, auch sonst vielseitig begabten Gesellen zu begegnen, einem völlig anderen, als es der spätere Komponist Chopin ist, dessen Walzer sogar aus Thränen lächeln nud dessen Mazurken mit seinem Herzblute geschrieben scheinen. Wahrhaft rührend ist seine Liebe zu Eltern, Geschwistern und Jugendgespielen, seine glühende Anhänglichkeit an sein unglückliches, vernichtetes Vaterland und seine in der Verbannung umherirrenden Landsleute. Sein durchweg edles Denken ünßert sich aber in der verschämten Zartheit, mit der er sich über die Dame, die seine erste Zuneigung gewonnen, und über das Verhältniß zu ihr ausspricht. Der Vater unseres Künstlers, Nikolaus Chopin, ein Franzose aus Nancy, kam im Jahre 1787 gerade zur Zeit, da in Polen, in Folge des von König Stanislaus II. August (Poniatowski) zum Zwecke beabsichtigter wichtiger Reformen zusammenberufenen Landtages, außergewöhnliche Aufregung herrschte, nach Warschau. Mit Staunen sah der junge Mann auf das bunte, lebendige Treiben, das, ein Ausfluß der politischen Bewegung, damals die Straßen der Hauptstadt belebte, die verschwenderische, üppiche Pracht der Großen des Landes und das Elend des verkümmerten Volkes. Er war der Starostiu Laezynska als Lehrer in ihr Hans nach Warschau gefolgt, fand als solcher Leider hat der Herausgeber diese Briefe nur in deutscher Ueversetzung mit¬ getheilt! Das Buch würde nach unserm Dafürhalten zehnmal so werthvoll sein, wenn die Anm. d. Red. Originale vorgelegt worden wären.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/412>, abgerufen am 29.09.2024.