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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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selbe, wo der Knorkeller steht. Neben dein Karren schritten vier Mann von
der bürgerlichen Schaarwache mit Harnisch, Eisensande und Spieß, auch einige
Schergen mit kurzen blauen und rothen Mäntelchen. An der Richtstütte hielt
das Gericht zu Roß. War der Zug dort angelangt, so rief einer der Schergen
der Menge mit lauter Stimme dreimal zu: "Stillo!" und verbot ihr bei Leib
und Leben, an den Scharfrichter Hand anzulegen, falls ihm sein Amt mi߬
lingen sollte.

Die Schaarwache bildete einen Theil der bürgerlichen Miliz. Diese be¬
stand aus 100 Mann Reiterei, 550 Mann Infanterie und 100 Mann Artillerie.
Als Kopfbedeckung trugen alle den Dreispitz: den Naupenhelm führte erst der
von Karl Theodor zum Reichsgrafen Rumford erhobene Engländer Benjamin
Thomson zu Ende des Jahrhunderts ein.

Natürlich besaß die Residenz und Landeshauptstadt eine aus kurfürstlichem^
Militär gebildete Garnison. Diese war aber in der Regel sehr schwach. Die
Kavallerie war in der Kaserne auf der Kohleniusel, die Infanterie in jener
untergebracht, die nächst dem Neuhauserthor begann und sich den Zwinger ent¬
lang fast bis zum Sendlingerthor erstreckte. Der stehen gebliebene Theil am
Karlsthor dient jetzt als Militärgefängniß.

In alter Zeit hatte München eine an Zahl nicht unerhebliche Judenge¬
meinde besessen. Seit der letzten Vertreibung aus ganz Baiern waren die
Juden bis in die Regierungsjahre Maximilian's III. hinein noch mit Eintritts¬
verboten, Leibzöllen, Pflasterzöllen und Geleitgeldern verfolgt, und selbst die
Feier des Laubhütteufestes war ihnen streng verboten. Maximilian III. ver¬
besserte zwar ihre Lage, aber gleichwohl blieb der Leibzoll von 5 Kreuzern
(15 Pf.) täglich fortbestehen. Auch durfte keine Judenfran in München ihre>
Wochen halten. So kam es, daß die Zahl der vor hundert Jahren daselbst
wohnenden Juden kaum 50 betrug. Die meisten von ihnen wohnten im Thal.
Eine Synagoge, Rabbinerwohnuug und eine eigene Grabstätte besaßen sie
nicht. Ihre Todten brachten sie deshalb nach Kriegshaber bei Augsburg.

Haben wir uns bis jetzt fast ausschließend mit dem durch Graben und
Mauern eingefriedeten Theile der Stadt beschäftigt, so wollen wir uns schlie߬
lich auch noch vor den Thoren umsehen, soweit das Terrain davor zum Burg¬
frieden der Stadt gehörte.

Vom Jsarthore gelangte man über den Stadtgraben mit dem Laumerbach
an drei Wachen vorüber zum Rothen Thurm dicht am linken Jsarufer, den¬
selben, um welchen in der Christnacht 1705 die Oberländer Bauern mit den
Oesterreichern siegreich gerungen. Er wurde im Jahre 1796 von den Oester¬
reichern, welche den Gasteig besetzt hielten, zusammengeschossen und hierauf
ganz abgetragen. Die innere Jsarbrücke steht noch heute in ihrer damaligen


selbe, wo der Knorkeller steht. Neben dein Karren schritten vier Mann von
der bürgerlichen Schaarwache mit Harnisch, Eisensande und Spieß, auch einige
Schergen mit kurzen blauen und rothen Mäntelchen. An der Richtstütte hielt
das Gericht zu Roß. War der Zug dort angelangt, so rief einer der Schergen
der Menge mit lauter Stimme dreimal zu: „Stillo!" und verbot ihr bei Leib
und Leben, an den Scharfrichter Hand anzulegen, falls ihm sein Amt mi߬
lingen sollte.

Die Schaarwache bildete einen Theil der bürgerlichen Miliz. Diese be¬
stand aus 100 Mann Reiterei, 550 Mann Infanterie und 100 Mann Artillerie.
Als Kopfbedeckung trugen alle den Dreispitz: den Naupenhelm führte erst der
von Karl Theodor zum Reichsgrafen Rumford erhobene Engländer Benjamin
Thomson zu Ende des Jahrhunderts ein.

Natürlich besaß die Residenz und Landeshauptstadt eine aus kurfürstlichem^
Militär gebildete Garnison. Diese war aber in der Regel sehr schwach. Die
Kavallerie war in der Kaserne auf der Kohleniusel, die Infanterie in jener
untergebracht, die nächst dem Neuhauserthor begann und sich den Zwinger ent¬
lang fast bis zum Sendlingerthor erstreckte. Der stehen gebliebene Theil am
Karlsthor dient jetzt als Militärgefängniß.

In alter Zeit hatte München eine an Zahl nicht unerhebliche Judenge¬
meinde besessen. Seit der letzten Vertreibung aus ganz Baiern waren die
Juden bis in die Regierungsjahre Maximilian's III. hinein noch mit Eintritts¬
verboten, Leibzöllen, Pflasterzöllen und Geleitgeldern verfolgt, und selbst die
Feier des Laubhütteufestes war ihnen streng verboten. Maximilian III. ver¬
besserte zwar ihre Lage, aber gleichwohl blieb der Leibzoll von 5 Kreuzern
(15 Pf.) täglich fortbestehen. Auch durfte keine Judenfran in München ihre>
Wochen halten. So kam es, daß die Zahl der vor hundert Jahren daselbst
wohnenden Juden kaum 50 betrug. Die meisten von ihnen wohnten im Thal.
Eine Synagoge, Rabbinerwohnuug und eine eigene Grabstätte besaßen sie
nicht. Ihre Todten brachten sie deshalb nach Kriegshaber bei Augsburg.

Haben wir uns bis jetzt fast ausschließend mit dem durch Graben und
Mauern eingefriedeten Theile der Stadt beschäftigt, so wollen wir uns schlie߬
lich auch noch vor den Thoren umsehen, soweit das Terrain davor zum Burg¬
frieden der Stadt gehörte.

Vom Jsarthore gelangte man über den Stadtgraben mit dem Laumerbach
an drei Wachen vorüber zum Rothen Thurm dicht am linken Jsarufer, den¬
selben, um welchen in der Christnacht 1705 die Oberländer Bauern mit den
Oesterreichern siegreich gerungen. Er wurde im Jahre 1796 von den Oester¬
reichern, welche den Gasteig besetzt hielten, zusammengeschossen und hierauf
ganz abgetragen. Die innere Jsarbrücke steht noch heute in ihrer damaligen


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[0386] selbe, wo der Knorkeller steht. Neben dein Karren schritten vier Mann von der bürgerlichen Schaarwache mit Harnisch, Eisensande und Spieß, auch einige Schergen mit kurzen blauen und rothen Mäntelchen. An der Richtstütte hielt das Gericht zu Roß. War der Zug dort angelangt, so rief einer der Schergen der Menge mit lauter Stimme dreimal zu: „Stillo!" und verbot ihr bei Leib und Leben, an den Scharfrichter Hand anzulegen, falls ihm sein Amt mi߬ lingen sollte. Die Schaarwache bildete einen Theil der bürgerlichen Miliz. Diese be¬ stand aus 100 Mann Reiterei, 550 Mann Infanterie und 100 Mann Artillerie. Als Kopfbedeckung trugen alle den Dreispitz: den Naupenhelm führte erst der von Karl Theodor zum Reichsgrafen Rumford erhobene Engländer Benjamin Thomson zu Ende des Jahrhunderts ein. Natürlich besaß die Residenz und Landeshauptstadt eine aus kurfürstlichem^ Militär gebildete Garnison. Diese war aber in der Regel sehr schwach. Die Kavallerie war in der Kaserne auf der Kohleniusel, die Infanterie in jener untergebracht, die nächst dem Neuhauserthor begann und sich den Zwinger ent¬ lang fast bis zum Sendlingerthor erstreckte. Der stehen gebliebene Theil am Karlsthor dient jetzt als Militärgefängniß. In alter Zeit hatte München eine an Zahl nicht unerhebliche Judenge¬ meinde besessen. Seit der letzten Vertreibung aus ganz Baiern waren die Juden bis in die Regierungsjahre Maximilian's III. hinein noch mit Eintritts¬ verboten, Leibzöllen, Pflasterzöllen und Geleitgeldern verfolgt, und selbst die Feier des Laubhütteufestes war ihnen streng verboten. Maximilian III. ver¬ besserte zwar ihre Lage, aber gleichwohl blieb der Leibzoll von 5 Kreuzern (15 Pf.) täglich fortbestehen. Auch durfte keine Judenfran in München ihre> Wochen halten. So kam es, daß die Zahl der vor hundert Jahren daselbst wohnenden Juden kaum 50 betrug. Die meisten von ihnen wohnten im Thal. Eine Synagoge, Rabbinerwohnuug und eine eigene Grabstätte besaßen sie nicht. Ihre Todten brachten sie deshalb nach Kriegshaber bei Augsburg. Haben wir uns bis jetzt fast ausschließend mit dem durch Graben und Mauern eingefriedeten Theile der Stadt beschäftigt, so wollen wir uns schlie߬ lich auch noch vor den Thoren umsehen, soweit das Terrain davor zum Burg¬ frieden der Stadt gehörte. Vom Jsarthore gelangte man über den Stadtgraben mit dem Laumerbach an drei Wachen vorüber zum Rothen Thurm dicht am linken Jsarufer, den¬ selben, um welchen in der Christnacht 1705 die Oberländer Bauern mit den Oesterreichern siegreich gerungen. Er wurde im Jahre 1796 von den Oester¬ reichern, welche den Gasteig besetzt hielten, zusammengeschossen und hierauf ganz abgetragen. Die innere Jsarbrücke steht noch heute in ihrer damaligen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/386>, abgerufen am 28.09.2024.