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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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legten Kleider i"l Bediirfnißfalle bequem zur Hand zu haben, hing man sie an
Thüre oder Wand, und an ersterer fand jeder Hausgenosse auch ein langes,
schmales Handtuch zu beliebigem Gebrauche. Die Kost war, wenn auch uicht
lecker, doch jedenfalls gut und reichlich, und auch auf des Kleinbürgers Tisch
stand wenigstens zweimal in der Woche Kalbsbraten. Auch tüchtige Knötel
durften nicht fehlen. Die Wirthshäuser waren weniger gefüllt als in unseren
Tagen: der weniger Bemittelte fand sich in der Regel nur Sonntags dort
ein, an Werktagen ließ er sich sein Bier nach Hause holen und trank es im
Kreise der Seinen und mit ihnen. Das häusliche Behagen erhöhte die sorg¬
same Hausfrau, sofern es die Verhältnisse erlaubten, durch Einrichten einer
Staatsstnbe. Da fand sich der bessere Hausrath und Werthvolleres an Zum,
Porzellan, Steingut oder Glas, auf Tisch und Schrank zierlich aufgestellt.
Daneben aber ruhten in wohlversperrten Kästen Staatskleider und Wäsche aller
Art sammt mächtigen Stücken Leinwand, darunter manches aus eigenem Gespinnste.

Das Leben der bürgerlichen Hansfrau war viel enger abgegrenzt als
heute. Die Wochentage wurden von häuslichen Beschäftigungen ausgefüllt,
die dem Besuch des Frühgvttesdienstes sich anreihten, und so erschien die Frau
nur des Sonntags mit ihrem Manne auf der Straße, sei eA um zur Kirche,
sei es um ans den Bierkeller zu gehen oder einen Spaziergang oder Ausflug über
Land zu machen, an dem dann auch die Kinder Theil nehmen durften. Von
Kaffeevisiten und Theaterbesuch war kaum die Rede. Dagegen fanden ver¬
wandtschaftliche und schwägerschaftliche Beziehungen die weitestgehende Pflege.
Man liebte so gewissermaßen die engbegrenztc Häuslichkeit zu erweitern, dabei
ward denn auch die Theilnahme an gewissen Ereignissen in Familienkreisen eine leb¬
haftere, und Geburten, Hochzeiten und Todesfälle gewannen erhöhte Bedeutung.
War ein Kind geboren, so fanden sich am neunten Tage danach der Familie
verwandte, verschwägerte oder sonst befreundete Frauen zum Besuche ein, von
denen jede ein dem Ereignisse und ihren eigenen Vermögensverhältnissen ange¬
messenes Geschenk, "Weisel" genannt und meist ans Kaffee, Kandiszucker, seinem
Mehl bestehend, überbrachte, gleichsam eiuen Beitrag für den nnn vergrößerten
Haushalt. Hochzeiten wurden in bürgerlichen Kreisen regelmäßig in einem
Wirthshause gefeiert. Auch dabei fehlte es an Geschenken der geladenen Gäste
nicht, während sich an dem Tauze wohl auch Andere betheiligen durften.
Während des Hochzeitszuges'zur und ans der Kirche schmetterten, wenn die
Trauung in der Peterskirche stattfand, Trompeten und Hörner vom Thurm.
Auch Sterbefälle fanden in weiteren Kreisen Beachtung. Leichenhänser gab es
noch nicht. Kinderleichen wurden noch vor Ablauf eines Tages in einer Mieth¬
kutsche ans den Friedhof gebracht und sofort beerdigt; die Leichen Erwachsener
aber erst nach 36 oder 48 Stunden dahin getragen. So lange die Leiche im


legten Kleider i»l Bediirfnißfalle bequem zur Hand zu haben, hing man sie an
Thüre oder Wand, und an ersterer fand jeder Hausgenosse auch ein langes,
schmales Handtuch zu beliebigem Gebrauche. Die Kost war, wenn auch uicht
lecker, doch jedenfalls gut und reichlich, und auch auf des Kleinbürgers Tisch
stand wenigstens zweimal in der Woche Kalbsbraten. Auch tüchtige Knötel
durften nicht fehlen. Die Wirthshäuser waren weniger gefüllt als in unseren
Tagen: der weniger Bemittelte fand sich in der Regel nur Sonntags dort
ein, an Werktagen ließ er sich sein Bier nach Hause holen und trank es im
Kreise der Seinen und mit ihnen. Das häusliche Behagen erhöhte die sorg¬
same Hausfrau, sofern es die Verhältnisse erlaubten, durch Einrichten einer
Staatsstnbe. Da fand sich der bessere Hausrath und Werthvolleres an Zum,
Porzellan, Steingut oder Glas, auf Tisch und Schrank zierlich aufgestellt.
Daneben aber ruhten in wohlversperrten Kästen Staatskleider und Wäsche aller
Art sammt mächtigen Stücken Leinwand, darunter manches aus eigenem Gespinnste.

Das Leben der bürgerlichen Hansfrau war viel enger abgegrenzt als
heute. Die Wochentage wurden von häuslichen Beschäftigungen ausgefüllt,
die dem Besuch des Frühgvttesdienstes sich anreihten, und so erschien die Frau
nur des Sonntags mit ihrem Manne auf der Straße, sei eA um zur Kirche,
sei es um ans den Bierkeller zu gehen oder einen Spaziergang oder Ausflug über
Land zu machen, an dem dann auch die Kinder Theil nehmen durften. Von
Kaffeevisiten und Theaterbesuch war kaum die Rede. Dagegen fanden ver¬
wandtschaftliche und schwägerschaftliche Beziehungen die weitestgehende Pflege.
Man liebte so gewissermaßen die engbegrenztc Häuslichkeit zu erweitern, dabei
ward denn auch die Theilnahme an gewissen Ereignissen in Familienkreisen eine leb¬
haftere, und Geburten, Hochzeiten und Todesfälle gewannen erhöhte Bedeutung.
War ein Kind geboren, so fanden sich am neunten Tage danach der Familie
verwandte, verschwägerte oder sonst befreundete Frauen zum Besuche ein, von
denen jede ein dem Ereignisse und ihren eigenen Vermögensverhältnissen ange¬
messenes Geschenk, „Weisel" genannt und meist ans Kaffee, Kandiszucker, seinem
Mehl bestehend, überbrachte, gleichsam eiuen Beitrag für den nnn vergrößerten
Haushalt. Hochzeiten wurden in bürgerlichen Kreisen regelmäßig in einem
Wirthshause gefeiert. Auch dabei fehlte es an Geschenken der geladenen Gäste
nicht, während sich an dem Tauze wohl auch Andere betheiligen durften.
Während des Hochzeitszuges'zur und ans der Kirche schmetterten, wenn die
Trauung in der Peterskirche stattfand, Trompeten und Hörner vom Thurm.
Auch Sterbefälle fanden in weiteren Kreisen Beachtung. Leichenhänser gab es
noch nicht. Kinderleichen wurden noch vor Ablauf eines Tages in einer Mieth¬
kutsche ans den Friedhof gebracht und sofort beerdigt; die Leichen Erwachsener
aber erst nach 36 oder 48 Stunden dahin getragen. So lange die Leiche im


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/379>, abgerufen am 29.09.2024.