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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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versehen, durch die das in Flechten gelegte Haar heraustrat, bei beiden aber
über und über mit echten oder auch wohl mit unechten Perlen bedeckt.

Die Fürsorge Max' III. für das Unterrichtswesen im Lande kam vor
allem der Hauptstadt zu Gute: die fünf Normalschulen, sowie die beiden Gym¬
nasien standen nicht mehr unter geistlicher Leitung, und an den letzteren lehrten
weltliche neben geistlichen Professoren. Ein Schulzwang bestand noch nicht;
es war vielmehr jedermann überlassen, seine Kinder nach eigenem Gutdünken
unterrichten zu lassen. Die öffentlichen Schulen aber waren theils "gymna¬
stische", theils "Trivialschulen." Die ersteren waren 10 an der Zahl: 2 Real¬
schulen, 4 humanistische Schulen, worin Grammatik, Poesie und Rhetorik, und
4 lyceistische, in denen Philosophie und Theologie gelehrt wurde. Die Anzahl
der Studirenden belief sich auf etwa 550. Der Besuch der gymnastischen
Schulen war ein unentgeltlicher. Das Schuljahr dauerte 10 Monate.

Unter den 13 öffentlichen normal- oder Trivialschulen befanden sich zwei,
welche zugleich als lateinische Vorbereitungsschuleu dienten. Als Preise wurden
einige Medaillen vertheilt, welche die kurfürstlichen Kommissäre den Kindern
in Gegenwart von Deputirten der Stadt an rothen und blauen Bändern um
den Hals hingen. Im Jahre 1770 wurde der Kanonikus Heinrich Braun
vom Kurfürsten mit der Reorganisation der Stadt- und Landschulen betraut
und löste diese Aufgabe zum Segen Baierns. Auch seine Thätigkeit kam natürlich
zunächst der Hauptstadt zu Gute, und so wurden die Münchener Volksschulen
zur Norm für die anderen; daher auch ihr Name "Normalschulen."

Auch eine Tagespresse hatte München vor hundert Jahren aufzweisen.
Dahin gehörte das seit 1765 und zwar ursprünglich von der Akademie heraus¬
gegebene, vom nächsten Jahre an von einem Privaten redigirte "Jntelligenz-
oder eigentliche Adreß-Comtoir", meist merkantilischen Inhalts, und die seit
der Regierung Kaiser Karls VII. erscheinende Staatszeitung: "Münchener
Zeitungen von denen Kriegs-, Friedens,- Staats- und anderen Begebenheiten
in und außerhalb Landes", später Ordinarie Münchner Zeitungen", die mit
kaiserlichen und kurfürstlichen Privilegien wöchentlich 2, dann 3, endlich 4 Mal
in einem sehr kleinen und sehr schmutzigen Oktavblatte ausgegeben wurde.

Die Gemäldegallerie, welche jetzt so viele Fremde nach München zieht,
bestand vor hundert Jahren noch nicht; die Meisterwerke, welche sie heute auf¬
weist, befanden sich bis 1783 theils in der Residenz, theils in den nahen Lust¬
schlössern Schleißheim und Nymphenburg. Die heutige k. Hof- und Staats¬
bibliothek war seit 1774 im ersten Stocke des ehedem Fuggerischen Hauses an
der Theatinerstraße aufgestellt. Bis dahin war sie in einem Dachraum des
alten Hofes kläglich genug untergebracht gewesen. Bücher wurden nur in
wichtigen Fällen ausgeliehen. Im erwähnten Fuggerischen Hause befand sich


versehen, durch die das in Flechten gelegte Haar heraustrat, bei beiden aber
über und über mit echten oder auch wohl mit unechten Perlen bedeckt.

Die Fürsorge Max' III. für das Unterrichtswesen im Lande kam vor
allem der Hauptstadt zu Gute: die fünf Normalschulen, sowie die beiden Gym¬
nasien standen nicht mehr unter geistlicher Leitung, und an den letzteren lehrten
weltliche neben geistlichen Professoren. Ein Schulzwang bestand noch nicht;
es war vielmehr jedermann überlassen, seine Kinder nach eigenem Gutdünken
unterrichten zu lassen. Die öffentlichen Schulen aber waren theils „gymna¬
stische", theils „Trivialschulen." Die ersteren waren 10 an der Zahl: 2 Real¬
schulen, 4 humanistische Schulen, worin Grammatik, Poesie und Rhetorik, und
4 lyceistische, in denen Philosophie und Theologie gelehrt wurde. Die Anzahl
der Studirenden belief sich auf etwa 550. Der Besuch der gymnastischen
Schulen war ein unentgeltlicher. Das Schuljahr dauerte 10 Monate.

Unter den 13 öffentlichen normal- oder Trivialschulen befanden sich zwei,
welche zugleich als lateinische Vorbereitungsschuleu dienten. Als Preise wurden
einige Medaillen vertheilt, welche die kurfürstlichen Kommissäre den Kindern
in Gegenwart von Deputirten der Stadt an rothen und blauen Bändern um
den Hals hingen. Im Jahre 1770 wurde der Kanonikus Heinrich Braun
vom Kurfürsten mit der Reorganisation der Stadt- und Landschulen betraut
und löste diese Aufgabe zum Segen Baierns. Auch seine Thätigkeit kam natürlich
zunächst der Hauptstadt zu Gute, und so wurden die Münchener Volksschulen
zur Norm für die anderen; daher auch ihr Name „Normalschulen."

Auch eine Tagespresse hatte München vor hundert Jahren aufzweisen.
Dahin gehörte das seit 1765 und zwar ursprünglich von der Akademie heraus¬
gegebene, vom nächsten Jahre an von einem Privaten redigirte „Jntelligenz-
oder eigentliche Adreß-Comtoir", meist merkantilischen Inhalts, und die seit
der Regierung Kaiser Karls VII. erscheinende Staatszeitung: „Münchener
Zeitungen von denen Kriegs-, Friedens,- Staats- und anderen Begebenheiten
in und außerhalb Landes", später Ordinarie Münchner Zeitungen", die mit
kaiserlichen und kurfürstlichen Privilegien wöchentlich 2, dann 3, endlich 4 Mal
in einem sehr kleinen und sehr schmutzigen Oktavblatte ausgegeben wurde.

Die Gemäldegallerie, welche jetzt so viele Fremde nach München zieht,
bestand vor hundert Jahren noch nicht; die Meisterwerke, welche sie heute auf¬
weist, befanden sich bis 1783 theils in der Residenz, theils in den nahen Lust¬
schlössern Schleißheim und Nymphenburg. Die heutige k. Hof- und Staats¬
bibliothek war seit 1774 im ersten Stocke des ehedem Fuggerischen Hauses an
der Theatinerstraße aufgestellt. Bis dahin war sie in einem Dachraum des
alten Hofes kläglich genug untergebracht gewesen. Bücher wurden nur in
wichtigen Fällen ausgeliehen. Im erwähnten Fuggerischen Hause befand sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/376>, abgerufen am 29.09.2024.