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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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sollen sie außer ihrem Jahrestribut eine näher zu bestimmende Pauschalsumme
bezahlen. Die vollkommenste Handels- und Schifffahrtsfreiheit wird ihnen
zugesichert. Ein neues Verwaltnngsreglement, welches nach den Wünschen der
Notabelnversammlungen während der russischen Occupation verfaßt worden ist,
wird von der Pforte gut geheißen.

Nachdem die türkischen Bevollmächtigten den Friedensvertrag am l4.
September unterzeichnet hatten, übersandte Roher das wichtige Aktenstück dnrch
seinen Legationssekretär Brassier de Se. Simon nach Constantinopel. Er
selbst reiste am 15. ab, und zwar nach einen: ihm von Diebitsch dargebotenen
feierlichen Mahle, bei welchem man unter dem Donner aller Kanonen Adrianvpels
die Gesundheit des Kaisers Nikolaus und des Königs Friedrich Wilhelm getrunken
hatte. Zu Rodosto wurde Royer von deu Behörden und der Bevölkerung als
Retter des Staates begeistert empfangen. Kühler, wenn auch fehr anerkennend,
sprachen der Sultan, die Minister und die westmächtlichen Botschafter ihre
Dankbarkeit aus. Die letzteren waren von der Beibehaltung des zehnten
Artikels, nach welchem Rußland die schließliche Ablösung Griechenlands von
der Türkenherrschaft durchgesetzt hatte, schmerzlich berührt. Um die russischen
Verträge von einem solchen Artikel frei zu halten, hatten die Westmächte anderthalb
Jahre die schwersten Opfer gebracht, und nun stand er dennoch da!

Wie die Botschafter, so ließen auch die Kabinette den Frieden von Adrianopel,
obwohl sie voraushaben, daß Rußland durch ihn zu überwiegenden Einflüsse
in der Türkei gelangen würde, als etwas Unabwendbares über sich ergehen.
Die öffentliche Meinung in Europa aber war ihm keineswegs ungünstig. Die
Freiheit der Griechen, für welche Viele begeistert geschwärmt hatten, war nunmehr
vollkommen gesichert, und wer weiter sah und sich, wie sichs gehört, für
Praktisches interessirte, was ganz Europa und somit auch sein eignes Land anging,
der fand an dem Erfolge der Russen viel mehr Erfreuliches. Die größte
Verkehrsader Mitteleuropas, die Donau, war unter dem Einfluß des stumpfen
trägen Türkenthums in ihrem ganzen untern Laufe fast zum Sumpfe geworden,
die reichen Länder an ihren Ufern erstickten im Fette. Der Friede von
Adrianopel machte dieser Wirthschaft ein Ende. Er hat ferner die Schätze der
Landschaften am schwarzen Meere dem Welthandel geöffnet, und mag auch die
Erschließung der beiden Meeresengen Konstantinopels für die freie Schiffahrt
den Werth der Eroberungen Katharinas verdreifacht haben, sie hat andrerseits die
natürliche Handelsstraße von Europa nach Mittelasien wieder hergestellt, sie
ist nicht, wie der englische Botschafter damals prophezeite, verderblich für die
Türkei geworden, sondern eine reiche Quelle von Wohlstand nicht blos für diese,
sondern auch für England.




sollen sie außer ihrem Jahrestribut eine näher zu bestimmende Pauschalsumme
bezahlen. Die vollkommenste Handels- und Schifffahrtsfreiheit wird ihnen
zugesichert. Ein neues Verwaltnngsreglement, welches nach den Wünschen der
Notabelnversammlungen während der russischen Occupation verfaßt worden ist,
wird von der Pforte gut geheißen.

Nachdem die türkischen Bevollmächtigten den Friedensvertrag am l4.
September unterzeichnet hatten, übersandte Roher das wichtige Aktenstück dnrch
seinen Legationssekretär Brassier de Se. Simon nach Constantinopel. Er
selbst reiste am 15. ab, und zwar nach einen: ihm von Diebitsch dargebotenen
feierlichen Mahle, bei welchem man unter dem Donner aller Kanonen Adrianvpels
die Gesundheit des Kaisers Nikolaus und des Königs Friedrich Wilhelm getrunken
hatte. Zu Rodosto wurde Royer von deu Behörden und der Bevölkerung als
Retter des Staates begeistert empfangen. Kühler, wenn auch fehr anerkennend,
sprachen der Sultan, die Minister und die westmächtlichen Botschafter ihre
Dankbarkeit aus. Die letzteren waren von der Beibehaltung des zehnten
Artikels, nach welchem Rußland die schließliche Ablösung Griechenlands von
der Türkenherrschaft durchgesetzt hatte, schmerzlich berührt. Um die russischen
Verträge von einem solchen Artikel frei zu halten, hatten die Westmächte anderthalb
Jahre die schwersten Opfer gebracht, und nun stand er dennoch da!

Wie die Botschafter, so ließen auch die Kabinette den Frieden von Adrianopel,
obwohl sie voraushaben, daß Rußland durch ihn zu überwiegenden Einflüsse
in der Türkei gelangen würde, als etwas Unabwendbares über sich ergehen.
Die öffentliche Meinung in Europa aber war ihm keineswegs ungünstig. Die
Freiheit der Griechen, für welche Viele begeistert geschwärmt hatten, war nunmehr
vollkommen gesichert, und wer weiter sah und sich, wie sichs gehört, für
Praktisches interessirte, was ganz Europa und somit auch sein eignes Land anging,
der fand an dem Erfolge der Russen viel mehr Erfreuliches. Die größte
Verkehrsader Mitteleuropas, die Donau, war unter dem Einfluß des stumpfen
trägen Türkenthums in ihrem ganzen untern Laufe fast zum Sumpfe geworden,
die reichen Länder an ihren Ufern erstickten im Fette. Der Friede von
Adrianopel machte dieser Wirthschaft ein Ende. Er hat ferner die Schätze der
Landschaften am schwarzen Meere dem Welthandel geöffnet, und mag auch die
Erschließung der beiden Meeresengen Konstantinopels für die freie Schiffahrt
den Werth der Eroberungen Katharinas verdreifacht haben, sie hat andrerseits die
natürliche Handelsstraße von Europa nach Mittelasien wieder hergestellt, sie
ist nicht, wie der englische Botschafter damals prophezeite, verderblich für die
Türkei geworden, sondern eine reiche Quelle von Wohlstand nicht blos für diese,
sondern auch für England.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/367>, abgerufen am 28.09.2024.