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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Konstantinopel wäre die Frage mehr militärischer Natur und daher schwierig,
in Petersburg werde sie eine rein politische und folglich leichter zu lösen sein.
Die Botschafter unterstützten diesen Vorschlag, und auch die Türken nannten
ihn vortrefflich. Indessen meinten sie, daß ihnen damit doch erst in unbestimmter
Zukunft geholfen werde, während die Gegenwart dränge: die Bestimmung, welche
das Aufhören der Feindseligkeiten an den Austausch der Ratificationen knüpfe,
verlängere nutzlos den für die Pforte so verderblichen Krieg, und der Artikel,
welcher eine für sie unerschwingliche Entschädigung verlange, würde das ohnehin
zur Empörung geneigte Volk in solche Verzweifelung bringen, daß es zu deu
schlimmsten Ausschreitungen kommen werde. Der alte Seraskier Chosrev Pascha,
welcher der Besprechung beiwohnte, richtete darauf an Royer die Bitte, um
des vom Könige von Preußen dem Sultan durch die Absendung Müfflings
bezeigten Wohlwollens willen sowie im Interesse der Menschlichkeit und des
Friedens die Mission nach dem russischen Hauptquartier zu unternehmen. Da
die beiden Botschafter sich dieser Bitte anschlössen, und sie noch denselben
Abend im Namen des Sultans dnrch ein offizielles Schreiben wiederholt wurde,
so glaubte der Vertreter Preußens den von ihm verlangten Dienst um so
weniger ablehnen zu dürfen, als von den türkischen Ministern gleichzeitig die
sofortige Unterzeichnung des Friedens-Dokumentes zugesagt wurde. Zwei
Tage später reiste Royer ab, um erstens das Aufhören der Feindseligkeiten
nach Unterzeichnung des Friedenstraktats durch die Türken und zweitens die
Unterdrückung des Nennwerthes der Kriegskosten, welche die Pforte zu zahlen
haben sollte, bei Diebitsch zu befürworten.

Es war Gefahr im Verzüge. Nur noch drei Tage, und die von Diebitsch
gewährte Frist war verstrichen: am 13. September sollten die russischen
Heeressäuleu sich gegen Konstantinopel in Marsch setzen. Ein Regierungsdampfer
brachte Royer in der Nacht auf den 10. nach Rodosto, von wo ein Reiter
bis nach Adrianopel noch 24 Stunden hat. Ein vorangeschickter Dragoman
legte diese Strecke in einem Tage zurück und konnte noch am Abend des 10.
dem russischen Oberfeldherrn seine Depeschen übergeben. Dieser hatte inzwischen
in der Ueberzeugung, daß die Türken ihn nur mit Redensarten von Friedens¬
schluß hinhielten, die von ihm selbst gewährte Frist nicht beachtet und seine
Truppen vorrücken lassen. Airs die erhaltene Mittheilung aber Wirte er sofort
diese Bewegung und erwartete Royer, der am 11. September eintraf.

So schroff der russische General die Einwendungen der türkischen Bevoll¬
mächtigen zurückgewiesen hatte, um so zuvorkommender zeigte er sich gegen
den preußischen Fürsprecher. Dieser erklärte ihm, nicht als Unterhändler,
sondern als Bittsteller zu kommen, und bekam die Antwort: "Um dein Könige
von Preußen meine Ergebenheit zu beweisen, werde ich nichts, was in meiner


Konstantinopel wäre die Frage mehr militärischer Natur und daher schwierig,
in Petersburg werde sie eine rein politische und folglich leichter zu lösen sein.
Die Botschafter unterstützten diesen Vorschlag, und auch die Türken nannten
ihn vortrefflich. Indessen meinten sie, daß ihnen damit doch erst in unbestimmter
Zukunft geholfen werde, während die Gegenwart dränge: die Bestimmung, welche
das Aufhören der Feindseligkeiten an den Austausch der Ratificationen knüpfe,
verlängere nutzlos den für die Pforte so verderblichen Krieg, und der Artikel,
welcher eine für sie unerschwingliche Entschädigung verlange, würde das ohnehin
zur Empörung geneigte Volk in solche Verzweifelung bringen, daß es zu deu
schlimmsten Ausschreitungen kommen werde. Der alte Seraskier Chosrev Pascha,
welcher der Besprechung beiwohnte, richtete darauf an Royer die Bitte, um
des vom Könige von Preußen dem Sultan durch die Absendung Müfflings
bezeigten Wohlwollens willen sowie im Interesse der Menschlichkeit und des
Friedens die Mission nach dem russischen Hauptquartier zu unternehmen. Da
die beiden Botschafter sich dieser Bitte anschlössen, und sie noch denselben
Abend im Namen des Sultans dnrch ein offizielles Schreiben wiederholt wurde,
so glaubte der Vertreter Preußens den von ihm verlangten Dienst um so
weniger ablehnen zu dürfen, als von den türkischen Ministern gleichzeitig die
sofortige Unterzeichnung des Friedens-Dokumentes zugesagt wurde. Zwei
Tage später reiste Royer ab, um erstens das Aufhören der Feindseligkeiten
nach Unterzeichnung des Friedenstraktats durch die Türken und zweitens die
Unterdrückung des Nennwerthes der Kriegskosten, welche die Pforte zu zahlen
haben sollte, bei Diebitsch zu befürworten.

Es war Gefahr im Verzüge. Nur noch drei Tage, und die von Diebitsch
gewährte Frist war verstrichen: am 13. September sollten die russischen
Heeressäuleu sich gegen Konstantinopel in Marsch setzen. Ein Regierungsdampfer
brachte Royer in der Nacht auf den 10. nach Rodosto, von wo ein Reiter
bis nach Adrianopel noch 24 Stunden hat. Ein vorangeschickter Dragoman
legte diese Strecke in einem Tage zurück und konnte noch am Abend des 10.
dem russischen Oberfeldherrn seine Depeschen übergeben. Dieser hatte inzwischen
in der Ueberzeugung, daß die Türken ihn nur mit Redensarten von Friedens¬
schluß hinhielten, die von ihm selbst gewährte Frist nicht beachtet und seine
Truppen vorrücken lassen. Airs die erhaltene Mittheilung aber Wirte er sofort
diese Bewegung und erwartete Royer, der am 11. September eintraf.

So schroff der russische General die Einwendungen der türkischen Bevoll¬
mächtigen zurückgewiesen hatte, um so zuvorkommender zeigte er sich gegen
den preußischen Fürsprecher. Dieser erklärte ihm, nicht als Unterhändler,
sondern als Bittsteller zu kommen, und bekam die Antwort: „Um dein Könige
von Preußen meine Ergebenheit zu beweisen, werde ich nichts, was in meiner


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[0365] Konstantinopel wäre die Frage mehr militärischer Natur und daher schwierig, in Petersburg werde sie eine rein politische und folglich leichter zu lösen sein. Die Botschafter unterstützten diesen Vorschlag, und auch die Türken nannten ihn vortrefflich. Indessen meinten sie, daß ihnen damit doch erst in unbestimmter Zukunft geholfen werde, während die Gegenwart dränge: die Bestimmung, welche das Aufhören der Feindseligkeiten an den Austausch der Ratificationen knüpfe, verlängere nutzlos den für die Pforte so verderblichen Krieg, und der Artikel, welcher eine für sie unerschwingliche Entschädigung verlange, würde das ohnehin zur Empörung geneigte Volk in solche Verzweifelung bringen, daß es zu deu schlimmsten Ausschreitungen kommen werde. Der alte Seraskier Chosrev Pascha, welcher der Besprechung beiwohnte, richtete darauf an Royer die Bitte, um des vom Könige von Preußen dem Sultan durch die Absendung Müfflings bezeigten Wohlwollens willen sowie im Interesse der Menschlichkeit und des Friedens die Mission nach dem russischen Hauptquartier zu unternehmen. Da die beiden Botschafter sich dieser Bitte anschlössen, und sie noch denselben Abend im Namen des Sultans dnrch ein offizielles Schreiben wiederholt wurde, so glaubte der Vertreter Preußens den von ihm verlangten Dienst um so weniger ablehnen zu dürfen, als von den türkischen Ministern gleichzeitig die sofortige Unterzeichnung des Friedens-Dokumentes zugesagt wurde. Zwei Tage später reiste Royer ab, um erstens das Aufhören der Feindseligkeiten nach Unterzeichnung des Friedenstraktats durch die Türken und zweitens die Unterdrückung des Nennwerthes der Kriegskosten, welche die Pforte zu zahlen haben sollte, bei Diebitsch zu befürworten. Es war Gefahr im Verzüge. Nur noch drei Tage, und die von Diebitsch gewährte Frist war verstrichen: am 13. September sollten die russischen Heeressäuleu sich gegen Konstantinopel in Marsch setzen. Ein Regierungsdampfer brachte Royer in der Nacht auf den 10. nach Rodosto, von wo ein Reiter bis nach Adrianopel noch 24 Stunden hat. Ein vorangeschickter Dragoman legte diese Strecke in einem Tage zurück und konnte noch am Abend des 10. dem russischen Oberfeldherrn seine Depeschen übergeben. Dieser hatte inzwischen in der Ueberzeugung, daß die Türken ihn nur mit Redensarten von Friedens¬ schluß hinhielten, die von ihm selbst gewährte Frist nicht beachtet und seine Truppen vorrücken lassen. Airs die erhaltene Mittheilung aber Wirte er sofort diese Bewegung und erwartete Royer, der am 11. September eintraf. So schroff der russische General die Einwendungen der türkischen Bevoll¬ mächtigen zurückgewiesen hatte, um so zuvorkommender zeigte er sich gegen den preußischen Fürsprecher. Dieser erklärte ihm, nicht als Unterhändler, sondern als Bittsteller zu kommen, und bekam die Antwort: „Um dein Könige von Preußen meine Ergebenheit zu beweisen, werde ich nichts, was in meiner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/365>, abgerufen am 28.09.2024.