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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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dem Doctor Gefler und sagte: "Mein Herr, auf den Hieb für Jahre Einfälle!"
Kann war ich in der Stellung, als ich ritterlich drauflos hieb, es setzte Staub
und schlüge, Gefler hielt sich auch brav, bis der Fechtmeister kam und uns
anseinanderbrachte. Die Fahnen wurden nun uoch höher und ansehnlicher
gemacht, und dabei blieb es."

Nun ging es an die Einrichtung des sogenannten Stabes, das waren
der Redner, die zwölf Marschälle und der Trüger des Gedichtes, welches dem
Gegenstände des Festaufzuges überreicht werden sollte. Zum Redner wählte
man den Theologen Lischke aus Meißen, welcher der längste der damaligen
leipziger Musensöhne war und eine gewaltige Baßstimme besaß, die durch
ihren Donner sich vortrefflich zur Vertreterin der tausend Zungen hinter ihr
eignete. Das Gedicht sollte ein Herr v. Exter aus Hamburg auf einem reich
mit Goldfransen geschmückten rothen Sammetkissen tragen. Es nannte sich
"Emil", war vou Clodius verfaßt und auf Silberglace gedruckt, v. Exter
ließ sich, um seine Rolle recht würdig zu spielen, ein feines Scharlachkleid,
das mit Goldtressen besetzt war, dazu bauen und vergaß uicht, sich einen
langen Degen dazu anzuschaffen. Der Inhalt des Gedichts aber war eine
"moralische Erzählung", in welcher der Emil des Poeten, durch jugendlichen
Leichtsinn und Leidenschaft verführt, seinen ihn davor warnenden Lehrer, einen
würdigen Greis, mit entblößtem Degen umzubringen trachtete. Der betagte
Mentor aber ließ sich nicht irre machen, sondern betete für den Verirrten, und
so bereute dieser und fiel seinem Ernährer weinend und um Verzeihung
bittend um den Hals. Darauf hieß es zum Schlüsse: "So hast auch du, v
Burscher, für uns gebetet und gewacht und so viel Gutes gethan, daß wir
dir einmüthig ein Opfer des Dankes und der Empfindung bringen." Wir
meinen, der wackere Clodius Hütte am Ende etwas weniger Geschmackloses
liefern können, und erwähnen nnr noch, daß der Zug im November 1782
wirklich vor sich ging, daß er sich mit seinen Marschällen, Musikchören, Fahnen¬
trägern und Adjutanten sehr stattlich aufnahm, daß man erst dem Stadt¬
kommandanten, einem Grafen Vitzthum, dann dem Bürgermeister, Kriegsrath
Müller, und dann dem Doctor Burscher die Honneurs erwies, der uicht recht
wußte, was der von Rousseau geborgte Emil mit ihm zu thun hatte, aber
trotzdem "sehr erschüttert, betroffen und bewegt" war, daß man die Fackeln zu¬
letzt auf dem Thomaskirchhofe verbrannte, und daß die ganze Feierlichkeit,
Dank den aufgestellten "Häschern" mit ihren gefürchteten Wurfstaugen, ohne
alle Störung verlief.

Einige Mouate darauf verließ unser Berichterstatter die Universität, um
nach einem Besuche Dresdens über Lübeck zur See nach Hause zurück¬
zukehren. Vorher aber machte er in Leipzig noch die Bekanntschaft der


Grenzboten III. 1877. 40

dem Doctor Gefler und sagte: „Mein Herr, auf den Hieb für Jahre Einfälle!"
Kann war ich in der Stellung, als ich ritterlich drauflos hieb, es setzte Staub
und schlüge, Gefler hielt sich auch brav, bis der Fechtmeister kam und uns
anseinanderbrachte. Die Fahnen wurden nun uoch höher und ansehnlicher
gemacht, und dabei blieb es."

Nun ging es an die Einrichtung des sogenannten Stabes, das waren
der Redner, die zwölf Marschälle und der Trüger des Gedichtes, welches dem
Gegenstände des Festaufzuges überreicht werden sollte. Zum Redner wählte
man den Theologen Lischke aus Meißen, welcher der längste der damaligen
leipziger Musensöhne war und eine gewaltige Baßstimme besaß, die durch
ihren Donner sich vortrefflich zur Vertreterin der tausend Zungen hinter ihr
eignete. Das Gedicht sollte ein Herr v. Exter aus Hamburg auf einem reich
mit Goldfransen geschmückten rothen Sammetkissen tragen. Es nannte sich
„Emil", war vou Clodius verfaßt und auf Silberglace gedruckt, v. Exter
ließ sich, um seine Rolle recht würdig zu spielen, ein feines Scharlachkleid,
das mit Goldtressen besetzt war, dazu bauen und vergaß uicht, sich einen
langen Degen dazu anzuschaffen. Der Inhalt des Gedichts aber war eine
„moralische Erzählung", in welcher der Emil des Poeten, durch jugendlichen
Leichtsinn und Leidenschaft verführt, seinen ihn davor warnenden Lehrer, einen
würdigen Greis, mit entblößtem Degen umzubringen trachtete. Der betagte
Mentor aber ließ sich nicht irre machen, sondern betete für den Verirrten, und
so bereute dieser und fiel seinem Ernährer weinend und um Verzeihung
bittend um den Hals. Darauf hieß es zum Schlüsse: „So hast auch du, v
Burscher, für uns gebetet und gewacht und so viel Gutes gethan, daß wir
dir einmüthig ein Opfer des Dankes und der Empfindung bringen." Wir
meinen, der wackere Clodius Hütte am Ende etwas weniger Geschmackloses
liefern können, und erwähnen nnr noch, daß der Zug im November 1782
wirklich vor sich ging, daß er sich mit seinen Marschällen, Musikchören, Fahnen¬
trägern und Adjutanten sehr stattlich aufnahm, daß man erst dem Stadt¬
kommandanten, einem Grafen Vitzthum, dann dem Bürgermeister, Kriegsrath
Müller, und dann dem Doctor Burscher die Honneurs erwies, der uicht recht
wußte, was der von Rousseau geborgte Emil mit ihm zu thun hatte, aber
trotzdem „sehr erschüttert, betroffen und bewegt" war, daß man die Fackeln zu¬
letzt auf dem Thomaskirchhofe verbrannte, und daß die ganze Feierlichkeit,
Dank den aufgestellten „Häschern" mit ihren gefürchteten Wurfstaugen, ohne
alle Störung verlief.

Einige Mouate darauf verließ unser Berichterstatter die Universität, um
nach einem Besuche Dresdens über Lübeck zur See nach Hause zurück¬
zukehren. Vorher aber machte er in Leipzig noch die Bekanntschaft der


Grenzboten III. 1877. 40
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[0321] dem Doctor Gefler und sagte: „Mein Herr, auf den Hieb für Jahre Einfälle!" Kann war ich in der Stellung, als ich ritterlich drauflos hieb, es setzte Staub und schlüge, Gefler hielt sich auch brav, bis der Fechtmeister kam und uns anseinanderbrachte. Die Fahnen wurden nun uoch höher und ansehnlicher gemacht, und dabei blieb es." Nun ging es an die Einrichtung des sogenannten Stabes, das waren der Redner, die zwölf Marschälle und der Trüger des Gedichtes, welches dem Gegenstände des Festaufzuges überreicht werden sollte. Zum Redner wählte man den Theologen Lischke aus Meißen, welcher der längste der damaligen leipziger Musensöhne war und eine gewaltige Baßstimme besaß, die durch ihren Donner sich vortrefflich zur Vertreterin der tausend Zungen hinter ihr eignete. Das Gedicht sollte ein Herr v. Exter aus Hamburg auf einem reich mit Goldfransen geschmückten rothen Sammetkissen tragen. Es nannte sich „Emil", war vou Clodius verfaßt und auf Silberglace gedruckt, v. Exter ließ sich, um seine Rolle recht würdig zu spielen, ein feines Scharlachkleid, das mit Goldtressen besetzt war, dazu bauen und vergaß uicht, sich einen langen Degen dazu anzuschaffen. Der Inhalt des Gedichts aber war eine „moralische Erzählung", in welcher der Emil des Poeten, durch jugendlichen Leichtsinn und Leidenschaft verführt, seinen ihn davor warnenden Lehrer, einen würdigen Greis, mit entblößtem Degen umzubringen trachtete. Der betagte Mentor aber ließ sich nicht irre machen, sondern betete für den Verirrten, und so bereute dieser und fiel seinem Ernährer weinend und um Verzeihung bittend um den Hals. Darauf hieß es zum Schlüsse: „So hast auch du, v Burscher, für uns gebetet und gewacht und so viel Gutes gethan, daß wir dir einmüthig ein Opfer des Dankes und der Empfindung bringen." Wir meinen, der wackere Clodius Hütte am Ende etwas weniger Geschmackloses liefern können, und erwähnen nnr noch, daß der Zug im November 1782 wirklich vor sich ging, daß er sich mit seinen Marschällen, Musikchören, Fahnen¬ trägern und Adjutanten sehr stattlich aufnahm, daß man erst dem Stadt¬ kommandanten, einem Grafen Vitzthum, dann dem Bürgermeister, Kriegsrath Müller, und dann dem Doctor Burscher die Honneurs erwies, der uicht recht wußte, was der von Rousseau geborgte Emil mit ihm zu thun hatte, aber trotzdem „sehr erschüttert, betroffen und bewegt" war, daß man die Fackeln zu¬ letzt auf dem Thomaskirchhofe verbrannte, und daß die ganze Feierlichkeit, Dank den aufgestellten „Häschern" mit ihren gefürchteten Wurfstaugen, ohne alle Störung verlief. Einige Mouate darauf verließ unser Berichterstatter die Universität, um nach einem Besuche Dresdens über Lübeck zur See nach Hause zurück¬ zukehren. Vorher aber machte er in Leipzig noch die Bekanntschaft der Grenzboten III. 1877. 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/321>, abgerufen am 28.09.2024.