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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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berief durch Anschlag am schwarzen Brete eine Versammlung in den großen
Saal des Fürstenkvllegs, die von etwa tausend Studenten besucht war, legte
ihnen die anonymen Drohbriefe vor, forderte die Verfasser ans, sich zu nennen,
ließ sie, als niemand sich meldete, durch ein donnerndes Pereat als Nieder¬
trächtige verurtheilen, entwickelte dann, wie wohlgemeint und angebracht das
Unternehmen sei, und wie harmlos es sich gestalten lasse, und schlug vor, zu
versuchen, das Mandat der Negierung rückgängig zu machen. "1''j!it>, er>,t,!"
antwortete die Menge, und darauf beantragte Rosen, "da die leipziger Uni¬
versität ursprünglich eine Ritterakademie gewesen wäre und von so vielen Aus-
ländern besucht würde, möge mau zwei Deputirte wählen, welche sich mit
einer Supplik unmittelbar an den Kurfürsten wenden und rin Bewilligung des
feierlichen Auszugs, zu welchem der Friedrichstag gewählt sei, bitten sollten."
Kaum war dies gesprochen, so erscholl mit vieltöniger starker Stimme der
Ruf: "Vivat Rosen, unser Gesandter nach Dresden!" Der Genannte nahm
den Auftrag an und schlug nur vor, ihm einen Herrn Mie, der aus einer an¬
gesehenen Hamburger Familie stammte, zum Begleiter mitzugeben, was sofort
bewilligt wurde. Nachdem noch ein Herr v. Bielfeld, der Sohn eines preußi¬
schen Gesandten, eine Sammlung zur Bestreitung der Reisekosten veranstaltet,
ging die Versammlung auseinander, und die beiden Ambassadeure schickten sich
an, mit einem Creditiv, welches in einer von alleil Ausländern unter der
Studentenschaft unterschriebenen Bittschrift an den Kurfürsten Friedrich August
bestehen sollte, abzureisen.

Die Sache machte das größte Aufsehen in Leipzig, und "Platner wun¬
derte sich" -- wir lassen Rosen jetzt größtentheils selbst weiter erzählen --
"daß ich am schwarzen Brete tausend Studenten habe zusammenbringen können,
da er selten mehr als hundert auf feine Einladung erscheinen sehe. Ueberall
wünschte mau mir Glück, doch zweifelte man sehr, daß wir durchdringen wür¬
den, und Clodius sagte mir: "Hören Sie, Rosen, Sie haben viel unternommen,
und Sie werden, in Dresden einen schweren Stand haben." "Sollte mir die
Vertretung unserer guten Sache mißlingen", erwiderte ich, "dann sind Rosen
und viele gute Männer nicht mehr in Leipzig." -- Wie sollte nun aber die
große Supplik abgefaßt werden? Ich schlug vor, uns deshalb an Dr. Seeger
zu wenden, und wir gingen zu ihm. Er nahm uns bei einer Tasse Chokolade
freundlich auf, lehnte jedoch unsern Antrag mit den Worten ab: "Sie thun
am Besten, meine Herren, wenn Sie Ihre Supplik selbst anfertigen; denn
weder ich noch irgend ein in einem sächsischen Amte Stehender wird sich in
eine solche Sache mengen." Wir gingen davon. Unterwegs sagte ich: "Seeger
hat Recht, ich setze die Supplik auf, und damit Holla!" Gesagt, gethan. Der
Supplik wurden andere Bogen angeheftet, auf denen sich die Studenten in


berief durch Anschlag am schwarzen Brete eine Versammlung in den großen
Saal des Fürstenkvllegs, die von etwa tausend Studenten besucht war, legte
ihnen die anonymen Drohbriefe vor, forderte die Verfasser ans, sich zu nennen,
ließ sie, als niemand sich meldete, durch ein donnerndes Pereat als Nieder¬
trächtige verurtheilen, entwickelte dann, wie wohlgemeint und angebracht das
Unternehmen sei, und wie harmlos es sich gestalten lasse, und schlug vor, zu
versuchen, das Mandat der Negierung rückgängig zu machen. „1''j!it>, er>,t,!"
antwortete die Menge, und darauf beantragte Rosen, „da die leipziger Uni¬
versität ursprünglich eine Ritterakademie gewesen wäre und von so vielen Aus-
ländern besucht würde, möge mau zwei Deputirte wählen, welche sich mit
einer Supplik unmittelbar an den Kurfürsten wenden und rin Bewilligung des
feierlichen Auszugs, zu welchem der Friedrichstag gewählt sei, bitten sollten."
Kaum war dies gesprochen, so erscholl mit vieltöniger starker Stimme der
Ruf: „Vivat Rosen, unser Gesandter nach Dresden!" Der Genannte nahm
den Auftrag an und schlug nur vor, ihm einen Herrn Mie, der aus einer an¬
gesehenen Hamburger Familie stammte, zum Begleiter mitzugeben, was sofort
bewilligt wurde. Nachdem noch ein Herr v. Bielfeld, der Sohn eines preußi¬
schen Gesandten, eine Sammlung zur Bestreitung der Reisekosten veranstaltet,
ging die Versammlung auseinander, und die beiden Ambassadeure schickten sich
an, mit einem Creditiv, welches in einer von alleil Ausländern unter der
Studentenschaft unterschriebenen Bittschrift an den Kurfürsten Friedrich August
bestehen sollte, abzureisen.

Die Sache machte das größte Aufsehen in Leipzig, und „Platner wun¬
derte sich" — wir lassen Rosen jetzt größtentheils selbst weiter erzählen —
„daß ich am schwarzen Brete tausend Studenten habe zusammenbringen können,
da er selten mehr als hundert auf feine Einladung erscheinen sehe. Ueberall
wünschte mau mir Glück, doch zweifelte man sehr, daß wir durchdringen wür¬
den, und Clodius sagte mir: „Hören Sie, Rosen, Sie haben viel unternommen,
und Sie werden, in Dresden einen schweren Stand haben." „Sollte mir die
Vertretung unserer guten Sache mißlingen", erwiderte ich, „dann sind Rosen
und viele gute Männer nicht mehr in Leipzig." — Wie sollte nun aber die
große Supplik abgefaßt werden? Ich schlug vor, uns deshalb an Dr. Seeger
zu wenden, und wir gingen zu ihm. Er nahm uns bei einer Tasse Chokolade
freundlich auf, lehnte jedoch unsern Antrag mit den Worten ab: „Sie thun
am Besten, meine Herren, wenn Sie Ihre Supplik selbst anfertigen; denn
weder ich noch irgend ein in einem sächsischen Amte Stehender wird sich in
eine solche Sache mengen." Wir gingen davon. Unterwegs sagte ich: „Seeger
hat Recht, ich setze die Supplik auf, und damit Holla!" Gesagt, gethan. Der
Supplik wurden andere Bogen angeheftet, auf denen sich die Studenten in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/318>, abgerufen am 29.09.2024.