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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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gewöhnlich damit, daß Gnndliug den Kürzeren zog und dann öffentlich zu hören
bekam: "Das hast Du schlecht gemacht, Guudling; pfui, schäme Dich -- ut ita,
äitÄM." Wegen seiner Grobheit im Disputiren war ihm gerichtlich untersagt
worden, bei öffentlichen Promotionen und akademischen Versammlungen gleich
den übrigen Professoren' sich vernehmen zu lassen. Die Veranlassung zu diesem
Verbot war eine Disputation über eine Dissertation gewesen, in der ein Doctor
Bachmann sich über das pretium afketiouis verbreitet hatte. Bachmann ver¬
theidigte diesen selbstgeschaffenen Werth einer Sache, Sammt verwarf ihn. Es
kam zu Anzüglichkeiten und wenig verhüllten Beleidigungen. Bachmanns
Vater war ein biedrer Schneider gewesen, und Sammt meinte mit Bezug
hierauf könne man nach den Grundsätzen seines Gegners auch einer Nähnadel
besonderen Werth beilegen. "O ja", erwiderte Bachmann, "so gut wie einer
alten Patrontasche." Das Ende dieses harten Kampfes, in welchem der alte
Kriegsknecht, vom Beifall der Studenten getragen, die Oberhand behielt, war,
daß Bachmann sich, als er nach Hause kam, vor Verdruß und Aerger so an¬
gegriffen fühlte, daß er sich zu Bett legte und nach einigen Tagen den Geist
aufgab. Man konnte indeß dem rauhen Alten seinen Werth nicht absprechen.
Hatte ihn doch, wie er in seinem Ins publicum zu erzählen pflegte, die Kaiserin
Katharina die Zweite einst nach Petersburg berufen, um sich von ihm bei der
Anfertigung eines neuen Gesetzbuchs helfen zu lassen, ein Ruf, dem Folge zu
leisten, ihn nur ein plötzlich eintretender ungewöhnlich strenger Winter abge¬
halten hatte. Schwerlich hätte dieser rechthaberische alte Herr -- er war ein
Siebziger -- sich in Rußland mit seinen Vorgesetzten vertragen, und so that
er besser, in seinem langen grünen Talar auf dem leipziger Katheder zu bleiben
und lieber die Louisd'or seiner Zuhörer als einen sehr getheilten Beifall der
Petersburger Staatsräthe zu erstreben. Traf es sich, daß einer der Collegen
die Stunde, in welcher er las, mit einem Publikum besetzte, so schimpfte er nicht
blos auf diesen Professor, sondern auch über den Autor, den er behandelte,
und so mußte Clodius sich gefallen lassen, daß er Cieero einen ausgemachten
Windbeutel schalt und alle Poeten für Narren erklärte, weil jener in der für
Saumes Vorlesungen bestimmten Zeit über diese alten Römer zu lesen gewagt
hatte. Ueber Sachsen und die sächsische Regierung äußerte er sich mit dem
größten Freimuth. "Ganz Sachsen ist wie ein offener Garten, wo der Feind
beliebig herein und hinaufspazieren kann, wie es ihm beliebt, und wie man es in
einem öffentlichen Hause zu sehen pflegt," ließ er sich vernehmen. Die Advokaten
waren ihm "sächsische Mauerkröten." "Wer mir meinen Meem exterinun
stört, den prügle ich qug.ut.um Wels est in intiniwm fort", sagte er, vermuth¬
lich der einst von ihm geführten Fuchtel eingedenk, vom Katheder herab. Vieles
aber, was er vorbrachte, war von Werth als die Frucht großer Belesenheit,


Grenzboten III. 1877. 39

gewöhnlich damit, daß Gnndliug den Kürzeren zog und dann öffentlich zu hören
bekam: „Das hast Du schlecht gemacht, Guudling; pfui, schäme Dich — ut ita,
äitÄM." Wegen seiner Grobheit im Disputiren war ihm gerichtlich untersagt
worden, bei öffentlichen Promotionen und akademischen Versammlungen gleich
den übrigen Professoren' sich vernehmen zu lassen. Die Veranlassung zu diesem
Verbot war eine Disputation über eine Dissertation gewesen, in der ein Doctor
Bachmann sich über das pretium afketiouis verbreitet hatte. Bachmann ver¬
theidigte diesen selbstgeschaffenen Werth einer Sache, Sammt verwarf ihn. Es
kam zu Anzüglichkeiten und wenig verhüllten Beleidigungen. Bachmanns
Vater war ein biedrer Schneider gewesen, und Sammt meinte mit Bezug
hierauf könne man nach den Grundsätzen seines Gegners auch einer Nähnadel
besonderen Werth beilegen. „O ja", erwiderte Bachmann, „so gut wie einer
alten Patrontasche." Das Ende dieses harten Kampfes, in welchem der alte
Kriegsknecht, vom Beifall der Studenten getragen, die Oberhand behielt, war,
daß Bachmann sich, als er nach Hause kam, vor Verdruß und Aerger so an¬
gegriffen fühlte, daß er sich zu Bett legte und nach einigen Tagen den Geist
aufgab. Man konnte indeß dem rauhen Alten seinen Werth nicht absprechen.
Hatte ihn doch, wie er in seinem Ins publicum zu erzählen pflegte, die Kaiserin
Katharina die Zweite einst nach Petersburg berufen, um sich von ihm bei der
Anfertigung eines neuen Gesetzbuchs helfen zu lassen, ein Ruf, dem Folge zu
leisten, ihn nur ein plötzlich eintretender ungewöhnlich strenger Winter abge¬
halten hatte. Schwerlich hätte dieser rechthaberische alte Herr — er war ein
Siebziger — sich in Rußland mit seinen Vorgesetzten vertragen, und so that
er besser, in seinem langen grünen Talar auf dem leipziger Katheder zu bleiben
und lieber die Louisd'or seiner Zuhörer als einen sehr getheilten Beifall der
Petersburger Staatsräthe zu erstreben. Traf es sich, daß einer der Collegen
die Stunde, in welcher er las, mit einem Publikum besetzte, so schimpfte er nicht
blos auf diesen Professor, sondern auch über den Autor, den er behandelte,
und so mußte Clodius sich gefallen lassen, daß er Cieero einen ausgemachten
Windbeutel schalt und alle Poeten für Narren erklärte, weil jener in der für
Saumes Vorlesungen bestimmten Zeit über diese alten Römer zu lesen gewagt
hatte. Ueber Sachsen und die sächsische Regierung äußerte er sich mit dem
größten Freimuth. „Ganz Sachsen ist wie ein offener Garten, wo der Feind
beliebig herein und hinaufspazieren kann, wie es ihm beliebt, und wie man es in
einem öffentlichen Hause zu sehen pflegt," ließ er sich vernehmen. Die Advokaten
waren ihm „sächsische Mauerkröten." „Wer mir meinen Meem exterinun
stört, den prügle ich qug.ut.um Wels est in intiniwm fort", sagte er, vermuth¬
lich der einst von ihm geführten Fuchtel eingedenk, vom Katheder herab. Vieles
aber, was er vorbrachte, war von Werth als die Frucht großer Belesenheit,


Grenzboten III. 1877. 39
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/313>, abgerufen am 29.09.2024.