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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Ein Jährlein ich sie dir gerne leis'
So kann ich erproben des Teufels Treu',
Sie werden wohl nicht zerplatzen
An deinen dürren Tatzen,

Freiwillig gibt er als" dein Geiste einen Theil seiner ritterlichen Rüstung
und damit -- Gewalt über sich selbst; gleich darauf erfährt er, daß er nach
Ablauf des Jahres selbst zum wilden Heere gehören werde. Die zweite Ab¬
weichung, die augenscheinlich demselben Zwecke dient, betrifft die Todesart
Rechberger's. Anstatt des willkürlichen und zufälligen Streites mit dem Stall¬
buben schuf Uhland einen Ausgang, der aus dem Vorhergehenden mit einer
Art dichterischer Nothwendigkeit folgt; er läßt den Junker durch dasselbe
Geisterroß sterben, welches das Jahr zuvor den todverkündenden Knappen
trug:


Am Tag, da selbiges Jahr sich schloß.
Da in ufte der Abt ein schwarz wild Roß;
Rechberger sollt' es zäumen,
Doch es that sich stellen und bäumen;
Es schlug den Junker mitten aufs Herz,
Daß er sank in bitterem Todesschmerz.

Eine wichtige und ergiebige Quelle für die "schwäbischen" Balladen Uhland's
wurde die lateinisch geschriebene schwäbische Chronik des Tübinger Professors und
Historikers M. Crusius, die^iivlilös Lueviei (Frankfurt 1595 fg.). Aus diesem Werke
stammt ohne Zweifel die köstliche Dichtung: "sah w äbifch e Kund e". In wört¬
licher deutscher Uebersetzung lautet die Erzählung bei Crusius: "Auf diesen:
Zuge (dein Kreuzzuge Friedrich Barbarossa's) soll ein Alemanne, der mit
gewaltigem Leibe und unbesiegbarer Kraft begabt war, eine lange Strecke hinter
feinen Landsleuten zurückgeblieben und langsam seines Wegs gegangen sein,
indem er sein Pferd, das vom Marsche ermüdet war, nachschleppte. Da wurde
er von fünfzig Sarazenen aus der Ferne mit Pfeilen angegriffen, setzte aber
nichtsdestoweniger, da er durch seinen Schild und seinen festen Harnisch ge¬
deckt war, ruhigen Gemüthes seinen Weg fort. Als aber einer von den
Feinden dreister wurde, heranritt und mit dem Schwerte auf ihn einHieb, da
schlug jener Alleinanne mit starker und heldenhafter Hand dein feindlichen
Pferde beide Vorderfüße mit einem Schlage ab. Als darauf das Pferd nieder¬
stürzte, durchhieb er dem Reiter, der noch darauf faß, den Kopf, die Brust, den
Bauch, ja selbst den Sattel des Pferdes mit einem Schwertstreich, so daß er
auch den Rücken des Thieres noch mit verwundet hatte. So steht beim
Choniaten zu lesen." Der "Choniate," auf den sich Crusius hier bezieht, ist
der byzantinische Schriftsteller Niketcis ans Chvnae, dessen Darstellung man
in der That, ehe auf die "Schwäbischen Annalen" aufmerksam gemacht worden


Ein Jährlein ich sie dir gerne leis'
So kann ich erproben des Teufels Treu',
Sie werden wohl nicht zerplatzen
An deinen dürren Tatzen,

Freiwillig gibt er als» dein Geiste einen Theil seiner ritterlichen Rüstung
und damit — Gewalt über sich selbst; gleich darauf erfährt er, daß er nach
Ablauf des Jahres selbst zum wilden Heere gehören werde. Die zweite Ab¬
weichung, die augenscheinlich demselben Zwecke dient, betrifft die Todesart
Rechberger's. Anstatt des willkürlichen und zufälligen Streites mit dem Stall¬
buben schuf Uhland einen Ausgang, der aus dem Vorhergehenden mit einer
Art dichterischer Nothwendigkeit folgt; er läßt den Junker durch dasselbe
Geisterroß sterben, welches das Jahr zuvor den todverkündenden Knappen
trug:


Am Tag, da selbiges Jahr sich schloß.
Da in ufte der Abt ein schwarz wild Roß;
Rechberger sollt' es zäumen,
Doch es that sich stellen und bäumen;
Es schlug den Junker mitten aufs Herz,
Daß er sank in bitterem Todesschmerz.

Eine wichtige und ergiebige Quelle für die „schwäbischen" Balladen Uhland's
wurde die lateinisch geschriebene schwäbische Chronik des Tübinger Professors und
Historikers M. Crusius, die^iivlilös Lueviei (Frankfurt 1595 fg.). Aus diesem Werke
stammt ohne Zweifel die köstliche Dichtung: „sah w äbifch e Kund e". In wört¬
licher deutscher Uebersetzung lautet die Erzählung bei Crusius: „Auf diesen:
Zuge (dein Kreuzzuge Friedrich Barbarossa's) soll ein Alemanne, der mit
gewaltigem Leibe und unbesiegbarer Kraft begabt war, eine lange Strecke hinter
feinen Landsleuten zurückgeblieben und langsam seines Wegs gegangen sein,
indem er sein Pferd, das vom Marsche ermüdet war, nachschleppte. Da wurde
er von fünfzig Sarazenen aus der Ferne mit Pfeilen angegriffen, setzte aber
nichtsdestoweniger, da er durch seinen Schild und seinen festen Harnisch ge¬
deckt war, ruhigen Gemüthes seinen Weg fort. Als aber einer von den
Feinden dreister wurde, heranritt und mit dem Schwerte auf ihn einHieb, da
schlug jener Alleinanne mit starker und heldenhafter Hand dein feindlichen
Pferde beide Vorderfüße mit einem Schlage ab. Als darauf das Pferd nieder¬
stürzte, durchhieb er dem Reiter, der noch darauf faß, den Kopf, die Brust, den
Bauch, ja selbst den Sattel des Pferdes mit einem Schwertstreich, so daß er
auch den Rücken des Thieres noch mit verwundet hatte. So steht beim
Choniaten zu lesen." Der „Choniate," auf den sich Crusius hier bezieht, ist
der byzantinische Schriftsteller Niketcis ans Chvnae, dessen Darstellung man
in der That, ehe auf die „Schwäbischen Annalen" aufmerksam gemacht worden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/298>, abgerufen am 29.09.2024.