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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Motivirung als die Quelle. Derjenigen Bedeutung, welche die vierfarbige
Kleidung des Knaben, die ohne Zweifel ein integrirender Theil der Sage ist,
von Hause aus hatte, ist sich offenbar schon Uhland's Quelle nicht mehr bewußt
gewesen. Die bunte Kleidung war, ebenso wie leibliche Geschwister einfarbiges
Gewand trugen, die Tracht für Stiefverhältnisse, Kebsehe und Verwaisung.
Hiervon weiß Uhland's Quelle nichts; sie will die vierfarbige Tracht
offenbar auf den Zufall zurückgeführt wissen, der die mildthätigen Knaben
beim Einkauf des Tuches leitete. Uhland hat außerdem das Motiv des Mit¬
leides beseitigt und die Lieferung des Tuches von Seiten der Knaben durch
die Herrschaft, die Roland über dieselben ausübt, erklärt und so den Vortheil
erreicht, daß man die Heldengrvße des Mannes schon im Knaben ahnen kann.
Endlich zeugen auch die Veränderungen am Schlüsse der Erzählung von feinem
dichterischen Takt. Dadurch, daß wir nicht die Boten begleiten, sondern der
Dichter beim Kaiser verweilt, steigert sich das Wiedersehen zwischen Karl und
seiner Schwester zu dramatischer Wirkung. Und wie viel zarter und tiefer ist
endlich vom Dichter die Versöhnung motivirt:


Steh auf, du Schwester mein!
Um diesen deinen lieben Sohn
soll dir verziehen sein.

Nicht also der Anblick des wüthenden Knaben, der seine Mutter rächen will,
sondern der frohe Gruß und die hellen Kinderaugen Roland's sind es, die den
Kaiser umstimmen.

Dem reichen Sagenschatze seiner Heimat hat Uhland begreiflicherweise
mit Vorliebe Stoffe zu dichterischer Behandlung entnommen. Berührte sich
doch hier der Dichter mit dem Patrioten, und konzentrirten sich doch später
seine Studien immer mehr ans die Erforschung der schwäbischen Sagengeschichte.
Wir greifen auch hier einige der bekanntesten Dichtungen heraus.

Die Geschichte vom "Junker Rechberger" steht schon im "Wendun-
muth", der 1563 in Frankfurt am Main erschien. Doch ist diese Sammlung
wiederum nicht Uhland's unmittelbare Quelle gewesen, sondern er hat sie aus
einer Schrift aus dem Ende des 17. Jahrhunderts kennen gelernt, aus Stock-
hausen's "Nirg, praesagia, moi'dis, d. i. Wunderliche Todes-Vorboten" (Helm-
städt, 1694), wo die Sage im Anschluß an den "Wendunmuth" folgendermaßen
erzählt wird: Junker Rechberger "ritte einmahl in eine Nacht aus, etlichen
guten Leuten ungebeten auf den Dienst zu warten, und verbarg sich biß nach
Mitternacht in einer wüsten Kirchen. Als er sich nun vor Tage aufmachet
nach dem Ort, da die ausgespähete Leute fürüber ziehen sollen und unterWegen
gewahr wird, daß er seine Streithandschn in der Kirchen auf eiuer alten
Todtcnbaar vergessen, schickt er eilends den Knecht zurück, dieselbigen zu hohlen.


Motivirung als die Quelle. Derjenigen Bedeutung, welche die vierfarbige
Kleidung des Knaben, die ohne Zweifel ein integrirender Theil der Sage ist,
von Hause aus hatte, ist sich offenbar schon Uhland's Quelle nicht mehr bewußt
gewesen. Die bunte Kleidung war, ebenso wie leibliche Geschwister einfarbiges
Gewand trugen, die Tracht für Stiefverhältnisse, Kebsehe und Verwaisung.
Hiervon weiß Uhland's Quelle nichts; sie will die vierfarbige Tracht
offenbar auf den Zufall zurückgeführt wissen, der die mildthätigen Knaben
beim Einkauf des Tuches leitete. Uhland hat außerdem das Motiv des Mit¬
leides beseitigt und die Lieferung des Tuches von Seiten der Knaben durch
die Herrschaft, die Roland über dieselben ausübt, erklärt und so den Vortheil
erreicht, daß man die Heldengrvße des Mannes schon im Knaben ahnen kann.
Endlich zeugen auch die Veränderungen am Schlüsse der Erzählung von feinem
dichterischen Takt. Dadurch, daß wir nicht die Boten begleiten, sondern der
Dichter beim Kaiser verweilt, steigert sich das Wiedersehen zwischen Karl und
seiner Schwester zu dramatischer Wirkung. Und wie viel zarter und tiefer ist
endlich vom Dichter die Versöhnung motivirt:


Steh auf, du Schwester mein!
Um diesen deinen lieben Sohn
soll dir verziehen sein.

Nicht also der Anblick des wüthenden Knaben, der seine Mutter rächen will,
sondern der frohe Gruß und die hellen Kinderaugen Roland's sind es, die den
Kaiser umstimmen.

Dem reichen Sagenschatze seiner Heimat hat Uhland begreiflicherweise
mit Vorliebe Stoffe zu dichterischer Behandlung entnommen. Berührte sich
doch hier der Dichter mit dem Patrioten, und konzentrirten sich doch später
seine Studien immer mehr ans die Erforschung der schwäbischen Sagengeschichte.
Wir greifen auch hier einige der bekanntesten Dichtungen heraus.

Die Geschichte vom „Junker Rechberger" steht schon im „Wendun-
muth", der 1563 in Frankfurt am Main erschien. Doch ist diese Sammlung
wiederum nicht Uhland's unmittelbare Quelle gewesen, sondern er hat sie aus
einer Schrift aus dem Ende des 17. Jahrhunderts kennen gelernt, aus Stock-
hausen's „Nirg, praesagia, moi'dis, d. i. Wunderliche Todes-Vorboten" (Helm-
städt, 1694), wo die Sage im Anschluß an den „Wendunmuth" folgendermaßen
erzählt wird: Junker Rechberger „ritte einmahl in eine Nacht aus, etlichen
guten Leuten ungebeten auf den Dienst zu warten, und verbarg sich biß nach
Mitternacht in einer wüsten Kirchen. Als er sich nun vor Tage aufmachet
nach dem Ort, da die ausgespähete Leute fürüber ziehen sollen und unterWegen
gewahr wird, daß er seine Streithandschn in der Kirchen auf eiuer alten
Todtcnbaar vergessen, schickt er eilends den Knecht zurück, dieselbigen zu hohlen.


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[0296] Motivirung als die Quelle. Derjenigen Bedeutung, welche die vierfarbige Kleidung des Knaben, die ohne Zweifel ein integrirender Theil der Sage ist, von Hause aus hatte, ist sich offenbar schon Uhland's Quelle nicht mehr bewußt gewesen. Die bunte Kleidung war, ebenso wie leibliche Geschwister einfarbiges Gewand trugen, die Tracht für Stiefverhältnisse, Kebsehe und Verwaisung. Hiervon weiß Uhland's Quelle nichts; sie will die vierfarbige Tracht offenbar auf den Zufall zurückgeführt wissen, der die mildthätigen Knaben beim Einkauf des Tuches leitete. Uhland hat außerdem das Motiv des Mit¬ leides beseitigt und die Lieferung des Tuches von Seiten der Knaben durch die Herrschaft, die Roland über dieselben ausübt, erklärt und so den Vortheil erreicht, daß man die Heldengrvße des Mannes schon im Knaben ahnen kann. Endlich zeugen auch die Veränderungen am Schlüsse der Erzählung von feinem dichterischen Takt. Dadurch, daß wir nicht die Boten begleiten, sondern der Dichter beim Kaiser verweilt, steigert sich das Wiedersehen zwischen Karl und seiner Schwester zu dramatischer Wirkung. Und wie viel zarter und tiefer ist endlich vom Dichter die Versöhnung motivirt: Steh auf, du Schwester mein! Um diesen deinen lieben Sohn soll dir verziehen sein. Nicht also der Anblick des wüthenden Knaben, der seine Mutter rächen will, sondern der frohe Gruß und die hellen Kinderaugen Roland's sind es, die den Kaiser umstimmen. Dem reichen Sagenschatze seiner Heimat hat Uhland begreiflicherweise mit Vorliebe Stoffe zu dichterischer Behandlung entnommen. Berührte sich doch hier der Dichter mit dem Patrioten, und konzentrirten sich doch später seine Studien immer mehr ans die Erforschung der schwäbischen Sagengeschichte. Wir greifen auch hier einige der bekanntesten Dichtungen heraus. Die Geschichte vom „Junker Rechberger" steht schon im „Wendun- muth", der 1563 in Frankfurt am Main erschien. Doch ist diese Sammlung wiederum nicht Uhland's unmittelbare Quelle gewesen, sondern er hat sie aus einer Schrift aus dem Ende des 17. Jahrhunderts kennen gelernt, aus Stock- hausen's „Nirg, praesagia, moi'dis, d. i. Wunderliche Todes-Vorboten" (Helm- städt, 1694), wo die Sage im Anschluß an den „Wendunmuth" folgendermaßen erzählt wird: Junker Rechberger „ritte einmahl in eine Nacht aus, etlichen guten Leuten ungebeten auf den Dienst zu warten, und verbarg sich biß nach Mitternacht in einer wüsten Kirchen. Als er sich nun vor Tage aufmachet nach dem Ort, da die ausgespähete Leute fürüber ziehen sollen und unterWegen gewahr wird, daß er seine Streithandschn in der Kirchen auf eiuer alten Todtcnbaar vergessen, schickt er eilends den Knecht zurück, dieselbigen zu hohlen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/296>, abgerufen am 29.09.2024.