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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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faules Fleisch vorwürfen und sie beraubten, während sie mit diesem ihren Lieb¬
lingsfraße beschäftigt wären. Mela läßt die Ameisen wachsen, bis sie den
größten Hunden gleichkommen. Solinus versieht sie noch mit Löwentatzen.
Nearch endlich beschreibt sie unter den indischen Thiergeschlechtern zwischen den
Tigern und den Papageien; er Hat selbst keines dieser goldgrabenden Ge¬
schöpfe gesehen, wohl aber Felle derselben, die man ins macedonische Lager
gebracht.

Mehr als zwei Jahrtausende ist diese Fabel unverstanden von Volk zu
Volk gewandert, nunmehr aber hat sie der Fleiß und Scharfsinn unserer Ge¬
lehrten befriedigend aufgeklärt. Die alten Jndier nannten nach Lassen das
Gold Pipilika, weil es von Ameisen, die so heißen, hcransgescharrt wurde.
Die Darada (die Darben der Alten) aber bewohnten das goldreiche Land
am oberen Indus. Die neuere Sprachforschung hat also bewiesen, daß Herodot
seine Kunde nicht unbesonnen eingesammelt hat, und daß wir der Sage auf
Grund seiner Mittheilung noch ziemlich genau ihre Heimath anweisen können.
Daß wir es hier mit keinen Ameisen zu thun haben, beweist schon der
Umstand, daß man Felle dieser Thiere in das Lager Alexanders brachte.
Nun haben neuere Reisende auf den sandigen Ebnen Tübets Murmelthiere
angetroffen, die in Gesellschaft zusammenleben und Erdhöhlen graben. Eine
größere Art von ihnen wird 24 Zoll lang, und ihr Fell zeichnet !sich durch
schwarze und rothgelbe Ringe aus. Handel mit diesem Pelzwerk wird noch
heute nach Indien wie nach China getrieben. Endlich sollen diese Thiere gleich
den Ameisen der griechischen Schriftsteller im Winter ihre Höhlen nicht ver¬
lassen. Da nur die Felle, nicht die lebendigen Thiere in die Hände der Kauf¬
leute gelangten, so konnte der eine ihnen die Größe von Hunden, der andere
die von Füchsen beilegen. Die Inder nannten sie Ameisen, weil sie Erdbauten
anlegten, und das braucht uns nicht aufzufallen, da die Alten, nicht an syste¬
matische Klassifikation der Thiere gewöhnt, auch sonst bisweilen recht naiv ver¬
schiedene Thiere wie Verwandte neben einanderstellten. Rechnet doch das rö¬
mische Recht die Bienen unter die wilden Thiere und zählt doch der arabische
Plinius, Kazwini, die Ratten und Kaninchen zu den Insekten. Leicht erklärt
sich, daß die indischen Goldjäger die ausgestoßner Erdhaufen jener Murmel¬
thiere vorzüglich im Auge behielten. Das aufgewühlte Erdreich zeigte ihnen
den Goldgehalt der tiefer liegenden Schichten, und es war durch die Arbeit
der Thiere locker geworden, sodaß es sich leicht untersuchen ließ. Fand man
in dem Hügel häufig Gold, so lag es nahe, den "Ameisen" zuzuschreiben, sie
gingen selbst auf Erbeutung von Gold aus. Die Schnelligkeit und Wildheit
derselben sind endlich offenbar sagenhafte Zusätze; denn das tübetanische
Murmelthier ist ein ebenso harmloses Geschöpf wie das der Alpen.


faules Fleisch vorwürfen und sie beraubten, während sie mit diesem ihren Lieb¬
lingsfraße beschäftigt wären. Mela läßt die Ameisen wachsen, bis sie den
größten Hunden gleichkommen. Solinus versieht sie noch mit Löwentatzen.
Nearch endlich beschreibt sie unter den indischen Thiergeschlechtern zwischen den
Tigern und den Papageien; er Hat selbst keines dieser goldgrabenden Ge¬
schöpfe gesehen, wohl aber Felle derselben, die man ins macedonische Lager
gebracht.

Mehr als zwei Jahrtausende ist diese Fabel unverstanden von Volk zu
Volk gewandert, nunmehr aber hat sie der Fleiß und Scharfsinn unserer Ge¬
lehrten befriedigend aufgeklärt. Die alten Jndier nannten nach Lassen das
Gold Pipilika, weil es von Ameisen, die so heißen, hcransgescharrt wurde.
Die Darada (die Darben der Alten) aber bewohnten das goldreiche Land
am oberen Indus. Die neuere Sprachforschung hat also bewiesen, daß Herodot
seine Kunde nicht unbesonnen eingesammelt hat, und daß wir der Sage auf
Grund seiner Mittheilung noch ziemlich genau ihre Heimath anweisen können.
Daß wir es hier mit keinen Ameisen zu thun haben, beweist schon der
Umstand, daß man Felle dieser Thiere in das Lager Alexanders brachte.
Nun haben neuere Reisende auf den sandigen Ebnen Tübets Murmelthiere
angetroffen, die in Gesellschaft zusammenleben und Erdhöhlen graben. Eine
größere Art von ihnen wird 24 Zoll lang, und ihr Fell zeichnet !sich durch
schwarze und rothgelbe Ringe aus. Handel mit diesem Pelzwerk wird noch
heute nach Indien wie nach China getrieben. Endlich sollen diese Thiere gleich
den Ameisen der griechischen Schriftsteller im Winter ihre Höhlen nicht ver¬
lassen. Da nur die Felle, nicht die lebendigen Thiere in die Hände der Kauf¬
leute gelangten, so konnte der eine ihnen die Größe von Hunden, der andere
die von Füchsen beilegen. Die Inder nannten sie Ameisen, weil sie Erdbauten
anlegten, und das braucht uns nicht aufzufallen, da die Alten, nicht an syste¬
matische Klassifikation der Thiere gewöhnt, auch sonst bisweilen recht naiv ver¬
schiedene Thiere wie Verwandte neben einanderstellten. Rechnet doch das rö¬
mische Recht die Bienen unter die wilden Thiere und zählt doch der arabische
Plinius, Kazwini, die Ratten und Kaninchen zu den Insekten. Leicht erklärt
sich, daß die indischen Goldjäger die ausgestoßner Erdhaufen jener Murmel¬
thiere vorzüglich im Auge behielten. Das aufgewühlte Erdreich zeigte ihnen
den Goldgehalt der tiefer liegenden Schichten, und es war durch die Arbeit
der Thiere locker geworden, sodaß es sich leicht untersuchen ließ. Fand man
in dem Hügel häufig Gold, so lag es nahe, den „Ameisen" zuzuschreiben, sie
gingen selbst auf Erbeutung von Gold aus. Die Schnelligkeit und Wildheit
derselben sind endlich offenbar sagenhafte Zusätze; denn das tübetanische
Murmelthier ist ein ebenso harmloses Geschöpf wie das der Alpen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/285>, abgerufen am 01.10.2024.