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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Sie lebt in Ewigkeit ,. . Vorsicht und freier Wille
Und Selbstbewußtsein sowie Tugend sind ihr eigen/'

Streng wie Milton betont auch Vorbei die Überlegenheit des Mannes
über das Weib:


"Mit Recht wird Adam wohl der Preis
Durch Adel der Gestalt und Majestät im Wesen,
Als sei zum Herrscher er der Erde ausersehn/'

aber doch verfehlt er auch nicht, uns in den: Zusammenleben der beiden und
ihrem unschuldigen Verkehre ein Bild der süßesten Harmonie und der zartesten
Wonnen zu geben, das die Seele mit um so besser berechneter Wirkung ergreift,
als seine einzelnen Züge in der glühenden Sprache des "entflammten" Apollyon
uns vermittelt werden.

Auf die Tendenz des Dramas und auf eine Untersuchung der Frage, wer
dem Dichter zu seinen Hauptfiguren gesessen, einzugehen, liegt nicht im Rahmen
dieses Aufsatzes. K. sieht, gegenüber der allgemeinen allegorischen Deu¬
tung des Dramas, auf die Erhebung der Niederlande gegen Philipp von
Spanien, im Lucifer Vorbei's Hollands mächtigen Feind, Cromwell, in Gott
und dem Erzengel Michael Karl I. und Land; und es lassen sich in der That,
Positiv wie negativ, nicht unwichtige Argumente für diese Ansicht ausstellen;
dann wäre auch in dieser Beziehung (Liebert, a. a. O. S. 335--337) die
Priorität der Allegorisierung dieses Helden seines Jahrhunderts und seines
Vaterlandes Milton ab- und Vorbei zuzusprechen.

Die Bibliothek von Trinity - College, Cambridge, besaß oder besitzt noch
zwei erste Entwürfe des " Verlornen Paradieses", welche des Dichter's Absicht
auf eine Dramatisirung seines schließlich im Epos verarbeiteten Stoffes aus¬
weisen. Merkwürdigerweise siud selbst in diesen Tagen der peinlichsten Kolla¬
tionen und alleinseligmachenden Grundtexte beide Versuche noch nicht veröffent¬
licht worden. Vielleicht hätte, lägen sie dem Publikum vor, .in der dramati-
sirten Form eine Verwandtschaft Miltons mit Vorbei in noch höherem Grade
erwiesen werden können.

Ein gründliches Studium der vorgeführten Periode in 'literarhistorischer
Beziehung, namentlich soweit die Einflüsse, die von den Niederlanden aus auf
England gewirkt haben und ihre Rückwirkung in Frage kommen, ist ein ent¬
schiedenes Bedürfniß; die beiden Staaten an den Gestaden des deutschen Meeres
verdanken einander auch in dieser Beziehung viel mehr, als man nach den bis¬
herigen Forschungen anzunehmen berechtigt war. Dann wird vielleicht auch
noch im historischen Factum und nicht nur durch Schlüsse aus den beider¬
seitigen Werken, wie es auf diesen Seiten geschehen, die Bekanntschaft Miltons
mit Voudels Werke aufgewiesen. Wie dem aber auch sei: mit Shakespeare,"


Grenzboten III. 1877. -!Z
Sie lebt in Ewigkeit ,. . Vorsicht und freier Wille
Und Selbstbewußtsein sowie Tugend sind ihr eigen/'

Streng wie Milton betont auch Vorbei die Überlegenheit des Mannes
über das Weib:


„Mit Recht wird Adam wohl der Preis
Durch Adel der Gestalt und Majestät im Wesen,
Als sei zum Herrscher er der Erde ausersehn/'

aber doch verfehlt er auch nicht, uns in den: Zusammenleben der beiden und
ihrem unschuldigen Verkehre ein Bild der süßesten Harmonie und der zartesten
Wonnen zu geben, das die Seele mit um so besser berechneter Wirkung ergreift,
als seine einzelnen Züge in der glühenden Sprache des „entflammten" Apollyon
uns vermittelt werden.

Auf die Tendenz des Dramas und auf eine Untersuchung der Frage, wer
dem Dichter zu seinen Hauptfiguren gesessen, einzugehen, liegt nicht im Rahmen
dieses Aufsatzes. K. sieht, gegenüber der allgemeinen allegorischen Deu¬
tung des Dramas, auf die Erhebung der Niederlande gegen Philipp von
Spanien, im Lucifer Vorbei's Hollands mächtigen Feind, Cromwell, in Gott
und dem Erzengel Michael Karl I. und Land; und es lassen sich in der That,
Positiv wie negativ, nicht unwichtige Argumente für diese Ansicht ausstellen;
dann wäre auch in dieser Beziehung (Liebert, a. a. O. S. 335—337) die
Priorität der Allegorisierung dieses Helden seines Jahrhunderts und seines
Vaterlandes Milton ab- und Vorbei zuzusprechen.

Die Bibliothek von Trinity - College, Cambridge, besaß oder besitzt noch
zwei erste Entwürfe des „ Verlornen Paradieses", welche des Dichter's Absicht
auf eine Dramatisirung seines schließlich im Epos verarbeiteten Stoffes aus¬
weisen. Merkwürdigerweise siud selbst in diesen Tagen der peinlichsten Kolla¬
tionen und alleinseligmachenden Grundtexte beide Versuche noch nicht veröffent¬
licht worden. Vielleicht hätte, lägen sie dem Publikum vor, .in der dramati-
sirten Form eine Verwandtschaft Miltons mit Vorbei in noch höherem Grade
erwiesen werden können.

Ein gründliches Studium der vorgeführten Periode in 'literarhistorischer
Beziehung, namentlich soweit die Einflüsse, die von den Niederlanden aus auf
England gewirkt haben und ihre Rückwirkung in Frage kommen, ist ein ent¬
schiedenes Bedürfniß; die beiden Staaten an den Gestaden des deutschen Meeres
verdanken einander auch in dieser Beziehung viel mehr, als man nach den bis¬
herigen Forschungen anzunehmen berechtigt war. Dann wird vielleicht auch
noch im historischen Factum und nicht nur durch Schlüsse aus den beider¬
seitigen Werken, wie es auf diesen Seiten geschehen, die Bekanntschaft Miltons
mit Voudels Werke aufgewiesen. Wie dem aber auch sei: mit Shakespeare,"


Grenzboten III. 1877. -!Z
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[0265] Sie lebt in Ewigkeit ,. . Vorsicht und freier Wille Und Selbstbewußtsein sowie Tugend sind ihr eigen/' Streng wie Milton betont auch Vorbei die Überlegenheit des Mannes über das Weib: „Mit Recht wird Adam wohl der Preis Durch Adel der Gestalt und Majestät im Wesen, Als sei zum Herrscher er der Erde ausersehn/' aber doch verfehlt er auch nicht, uns in den: Zusammenleben der beiden und ihrem unschuldigen Verkehre ein Bild der süßesten Harmonie und der zartesten Wonnen zu geben, das die Seele mit um so besser berechneter Wirkung ergreift, als seine einzelnen Züge in der glühenden Sprache des „entflammten" Apollyon uns vermittelt werden. Auf die Tendenz des Dramas und auf eine Untersuchung der Frage, wer dem Dichter zu seinen Hauptfiguren gesessen, einzugehen, liegt nicht im Rahmen dieses Aufsatzes. K. sieht, gegenüber der allgemeinen allegorischen Deu¬ tung des Dramas, auf die Erhebung der Niederlande gegen Philipp von Spanien, im Lucifer Vorbei's Hollands mächtigen Feind, Cromwell, in Gott und dem Erzengel Michael Karl I. und Land; und es lassen sich in der That, Positiv wie negativ, nicht unwichtige Argumente für diese Ansicht ausstellen; dann wäre auch in dieser Beziehung (Liebert, a. a. O. S. 335—337) die Priorität der Allegorisierung dieses Helden seines Jahrhunderts und seines Vaterlandes Milton ab- und Vorbei zuzusprechen. Die Bibliothek von Trinity - College, Cambridge, besaß oder besitzt noch zwei erste Entwürfe des „ Verlornen Paradieses", welche des Dichter's Absicht auf eine Dramatisirung seines schließlich im Epos verarbeiteten Stoffes aus¬ weisen. Merkwürdigerweise siud selbst in diesen Tagen der peinlichsten Kolla¬ tionen und alleinseligmachenden Grundtexte beide Versuche noch nicht veröffent¬ licht worden. Vielleicht hätte, lägen sie dem Publikum vor, .in der dramati- sirten Form eine Verwandtschaft Miltons mit Vorbei in noch höherem Grade erwiesen werden können. Ein gründliches Studium der vorgeführten Periode in 'literarhistorischer Beziehung, namentlich soweit die Einflüsse, die von den Niederlanden aus auf England gewirkt haben und ihre Rückwirkung in Frage kommen, ist ein ent¬ schiedenes Bedürfniß; die beiden Staaten an den Gestaden des deutschen Meeres verdanken einander auch in dieser Beziehung viel mehr, als man nach den bis¬ herigen Forschungen anzunehmen berechtigt war. Dann wird vielleicht auch noch im historischen Factum und nicht nur durch Schlüsse aus den beider¬ seitigen Werken, wie es auf diesen Seiten geschehen, die Bekanntschaft Miltons mit Voudels Werke aufgewiesen. Wie dem aber auch sei: mit Shakespeare," Grenzboten III. 1877. -!Z

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/265>, abgerufen am 29.09.2024.