Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

und als es die Entscheidung zur endgiltigen Meuterei gilt, appellirt Satan an
seinen Rath, der dann vielgewandt und umsichtig das pro und contra, ab¬
wägt. Aber als dann die Entscheidung gefallen, bekommt auch er die Züge
des milton'schen Belial; er führt die unheimlichen Mächte der Verleumdung,
der geheimen Wühlerei in den Kampf, er arbeitet "auf Seiteuwegen". Aehn-
liche Züge, aber nicht in gleicher Schärfe und Consequenz ausgeführt, siud von
Vorbei zum Bilde Belial's verwandt.

Den Mitgliedern des satanischen Reiches gegenüber springt zuerst Michael
in die Augen. Er ist Gottes Kämpfer, der bei beiden Dichtern den satanischen
Plänen und Empörern, bei Vorbei sogleich mit durchschlagenden Erfolge, ent¬
gegentritt; wir haben in ihm die traditionelle Zeichnung des "Gottesstreiters."
Gabriel bleibt bei Vorbei der Schlacht fern; er folgt dem Zuge Michael's
"mit Wünschen und Gebeten," und Raphael, "der fromme Raphael," treibt
gleichfalls nur Werke des Friedens und der Versöhnung.

Aus diesem kurzen Ueberblick über die einzelnen Engel und ihre dich¬
terische Ausgestaltung ergiebt sich trotz aller Verschiedenheiten im Einzelnen,
daß, was Macaulay zur Charakteristik der milton'schen Engel sagt, fast rück¬
haltslos auf diejenigen Vondels angewandt werden kann: "Milton's Geister
haben mit denen fast aller anderen Schriftsteller keine Aehnlichkeit. Namentlich
siud seine Teufel wunderbare Schöpfungen. Sie sind keine metaphysischen Ab-
stractionen....., keine häßlichen Thiere. Sie haben keine Hörner, keine
Schweife, überhaupt nichts von dem Dideldumdei bei Dante und Klopstock.
Sie haben mit der menschlichen Natur gerade so viel gemein, um menschlichen
Wesen verständlich zu sein. In ihren Charakteren drückt sich wie in ihren
Formen eine gewisse dunkle Aehnlichkeit mit dem Menschlichen ans, nur daß
alles gigantische Verhältnisse annimmt und sich in ein geheimnißvolles Düster
hüllt," , Ob Maeaulah wohl an Vorbei dachte, als er den ersten Satz dieses
Nesuim's niederschrieb?

Im l. und 5. Akt endlich, in den Berichten von Adam's und
Eva's Paradiesesglück und ihrem Fall zaubert auch Vorbei uns ein in den
weichsten Tönen gemaltes Idyll vor die entzückte Seele. Es ist wahr, so aus
der Tiefe der Seele losgerungen wie bei Milton ist dieses Bild, das wir nur
von fern erblicken dürfen, nicht; aber doch bemüht sich auch der Holländer
nicht ohne Erfolg um das Ideal kraftvoller Männlichkeit und holdseliger
Frauenschöne. Adam ist der Herr der Schöpfung, ihm huldigt Luft, Erde
und Meer mit allem, was sie bergen.


"Er herrscht gleich einem Gott, vor dem sich alles beugt;
Aus Geist, nicht Stoff, besteht die unsichtbare Seele,

und als es die Entscheidung zur endgiltigen Meuterei gilt, appellirt Satan an
seinen Rath, der dann vielgewandt und umsichtig das pro und contra, ab¬
wägt. Aber als dann die Entscheidung gefallen, bekommt auch er die Züge
des milton'schen Belial; er führt die unheimlichen Mächte der Verleumdung,
der geheimen Wühlerei in den Kampf, er arbeitet „auf Seiteuwegen". Aehn-
liche Züge, aber nicht in gleicher Schärfe und Consequenz ausgeführt, siud von
Vorbei zum Bilde Belial's verwandt.

Den Mitgliedern des satanischen Reiches gegenüber springt zuerst Michael
in die Augen. Er ist Gottes Kämpfer, der bei beiden Dichtern den satanischen
Plänen und Empörern, bei Vorbei sogleich mit durchschlagenden Erfolge, ent¬
gegentritt; wir haben in ihm die traditionelle Zeichnung des „Gottesstreiters."
Gabriel bleibt bei Vorbei der Schlacht fern; er folgt dem Zuge Michael's
„mit Wünschen und Gebeten," und Raphael, „der fromme Raphael," treibt
gleichfalls nur Werke des Friedens und der Versöhnung.

Aus diesem kurzen Ueberblick über die einzelnen Engel und ihre dich¬
terische Ausgestaltung ergiebt sich trotz aller Verschiedenheiten im Einzelnen,
daß, was Macaulay zur Charakteristik der milton'schen Engel sagt, fast rück¬
haltslos auf diejenigen Vondels angewandt werden kann: „Milton's Geister
haben mit denen fast aller anderen Schriftsteller keine Aehnlichkeit. Namentlich
siud seine Teufel wunderbare Schöpfungen. Sie sind keine metaphysischen Ab-
stractionen....., keine häßlichen Thiere. Sie haben keine Hörner, keine
Schweife, überhaupt nichts von dem Dideldumdei bei Dante und Klopstock.
Sie haben mit der menschlichen Natur gerade so viel gemein, um menschlichen
Wesen verständlich zu sein. In ihren Charakteren drückt sich wie in ihren
Formen eine gewisse dunkle Aehnlichkeit mit dem Menschlichen ans, nur daß
alles gigantische Verhältnisse annimmt und sich in ein geheimnißvolles Düster
hüllt," , Ob Maeaulah wohl an Vorbei dachte, als er den ersten Satz dieses
Nesuim's niederschrieb?

Im l. und 5. Akt endlich, in den Berichten von Adam's und
Eva's Paradiesesglück und ihrem Fall zaubert auch Vorbei uns ein in den
weichsten Tönen gemaltes Idyll vor die entzückte Seele. Es ist wahr, so aus
der Tiefe der Seele losgerungen wie bei Milton ist dieses Bild, das wir nur
von fern erblicken dürfen, nicht; aber doch bemüht sich auch der Holländer
nicht ohne Erfolg um das Ideal kraftvoller Männlichkeit und holdseliger
Frauenschöne. Adam ist der Herr der Schöpfung, ihm huldigt Luft, Erde
und Meer mit allem, was sie bergen.


„Er herrscht gleich einem Gott, vor dem sich alles beugt;
Aus Geist, nicht Stoff, besteht die unsichtbare Seele,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0264" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/138495"/>
          <p xml:id="ID_820" prev="#ID_819"> und als es die Entscheidung zur endgiltigen Meuterei gilt, appellirt Satan an<lb/>
seinen Rath, der dann vielgewandt und umsichtig das pro und contra, ab¬<lb/>
wägt. Aber als dann die Entscheidung gefallen, bekommt auch er die Züge<lb/>
des milton'schen Belial; er führt die unheimlichen Mächte der Verleumdung,<lb/>
der geheimen Wühlerei in den Kampf, er arbeitet &#x201E;auf Seiteuwegen". Aehn-<lb/>
liche Züge, aber nicht in gleicher Schärfe und Consequenz ausgeführt, siud von<lb/>
Vorbei zum Bilde Belial's verwandt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_821"> Den Mitgliedern des satanischen Reiches gegenüber springt zuerst Michael<lb/>
in die Augen. Er ist Gottes Kämpfer, der bei beiden Dichtern den satanischen<lb/>
Plänen und Empörern, bei Vorbei sogleich mit durchschlagenden Erfolge, ent¬<lb/>
gegentritt; wir haben in ihm die traditionelle Zeichnung des &#x201E;Gottesstreiters."<lb/>
Gabriel bleibt bei Vorbei der Schlacht fern; er folgt dem Zuge Michael's<lb/>
&#x201E;mit Wünschen und Gebeten," und Raphael, &#x201E;der fromme Raphael," treibt<lb/>
gleichfalls nur Werke des Friedens und der Versöhnung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_822"> Aus diesem kurzen Ueberblick über die einzelnen Engel und ihre dich¬<lb/>
terische Ausgestaltung ergiebt sich trotz aller Verschiedenheiten im Einzelnen,<lb/>
daß, was Macaulay zur Charakteristik der milton'schen Engel sagt, fast rück¬<lb/>
haltslos auf diejenigen Vondels angewandt werden kann: &#x201E;Milton's Geister<lb/>
haben mit denen fast aller anderen Schriftsteller keine Aehnlichkeit. Namentlich<lb/>
siud seine Teufel wunderbare Schöpfungen. Sie sind keine metaphysischen Ab-<lb/>
stractionen....., keine häßlichen Thiere. Sie haben keine Hörner, keine<lb/>
Schweife, überhaupt nichts von dem Dideldumdei bei Dante und Klopstock.<lb/>
Sie haben mit der menschlichen Natur gerade so viel gemein, um menschlichen<lb/>
Wesen verständlich zu sein. In ihren Charakteren drückt sich wie in ihren<lb/>
Formen eine gewisse dunkle Aehnlichkeit mit dem Menschlichen ans, nur daß<lb/>
alles gigantische Verhältnisse annimmt und sich in ein geheimnißvolles Düster<lb/>
hüllt," , Ob Maeaulah wohl an Vorbei dachte, als er den ersten Satz dieses<lb/>
Nesuim's niederschrieb?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_823"> Im l. und 5. Akt endlich, in den Berichten von Adam's und<lb/>
Eva's Paradiesesglück und ihrem Fall zaubert auch Vorbei uns ein in den<lb/>
weichsten Tönen gemaltes Idyll vor die entzückte Seele. Es ist wahr, so aus<lb/>
der Tiefe der Seele losgerungen wie bei Milton ist dieses Bild, das wir nur<lb/>
von fern erblicken dürfen, nicht; aber doch bemüht sich auch der Holländer<lb/>
nicht ohne Erfolg um das Ideal kraftvoller Männlichkeit und holdseliger<lb/>
Frauenschöne. Adam ist der Herr der Schöpfung, ihm huldigt Luft, Erde<lb/>
und Meer mit allem, was sie bergen.</p><lb/>
          <quote> &#x201E;Er herrscht gleich einem Gott, vor dem sich alles beugt;<lb/>
Aus Geist, nicht Stoff, besteht die unsichtbare Seele,</quote><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0264] und als es die Entscheidung zur endgiltigen Meuterei gilt, appellirt Satan an seinen Rath, der dann vielgewandt und umsichtig das pro und contra, ab¬ wägt. Aber als dann die Entscheidung gefallen, bekommt auch er die Züge des milton'schen Belial; er führt die unheimlichen Mächte der Verleumdung, der geheimen Wühlerei in den Kampf, er arbeitet „auf Seiteuwegen". Aehn- liche Züge, aber nicht in gleicher Schärfe und Consequenz ausgeführt, siud von Vorbei zum Bilde Belial's verwandt. Den Mitgliedern des satanischen Reiches gegenüber springt zuerst Michael in die Augen. Er ist Gottes Kämpfer, der bei beiden Dichtern den satanischen Plänen und Empörern, bei Vorbei sogleich mit durchschlagenden Erfolge, ent¬ gegentritt; wir haben in ihm die traditionelle Zeichnung des „Gottesstreiters." Gabriel bleibt bei Vorbei der Schlacht fern; er folgt dem Zuge Michael's „mit Wünschen und Gebeten," und Raphael, „der fromme Raphael," treibt gleichfalls nur Werke des Friedens und der Versöhnung. Aus diesem kurzen Ueberblick über die einzelnen Engel und ihre dich¬ terische Ausgestaltung ergiebt sich trotz aller Verschiedenheiten im Einzelnen, daß, was Macaulay zur Charakteristik der milton'schen Engel sagt, fast rück¬ haltslos auf diejenigen Vondels angewandt werden kann: „Milton's Geister haben mit denen fast aller anderen Schriftsteller keine Aehnlichkeit. Namentlich siud seine Teufel wunderbare Schöpfungen. Sie sind keine metaphysischen Ab- stractionen....., keine häßlichen Thiere. Sie haben keine Hörner, keine Schweife, überhaupt nichts von dem Dideldumdei bei Dante und Klopstock. Sie haben mit der menschlichen Natur gerade so viel gemein, um menschlichen Wesen verständlich zu sein. In ihren Charakteren drückt sich wie in ihren Formen eine gewisse dunkle Aehnlichkeit mit dem Menschlichen ans, nur daß alles gigantische Verhältnisse annimmt und sich in ein geheimnißvolles Düster hüllt," , Ob Maeaulah wohl an Vorbei dachte, als er den ersten Satz dieses Nesuim's niederschrieb? Im l. und 5. Akt endlich, in den Berichten von Adam's und Eva's Paradiesesglück und ihrem Fall zaubert auch Vorbei uns ein in den weichsten Tönen gemaltes Idyll vor die entzückte Seele. Es ist wahr, so aus der Tiefe der Seele losgerungen wie bei Milton ist dieses Bild, das wir nur von fern erblicken dürfen, nicht; aber doch bemüht sich auch der Holländer nicht ohne Erfolg um das Ideal kraftvoller Männlichkeit und holdseliger Frauenschöne. Adam ist der Herr der Schöpfung, ihm huldigt Luft, Erde und Meer mit allem, was sie bergen. „Er herrscht gleich einem Gott, vor dem sich alles beugt; Aus Geist, nicht Stoff, besteht die unsichtbare Seele,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/264
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/264>, abgerufen am 29.09.2024.