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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Copie der Erde; seine Bewohner essen ambrosische Früchte, und von dem Ver¬
langen nach dem Irdischen sind sie nicht frei. Und wenn von den guten
Engeln Miltons behauptet wird, daß "ihnen der harte, spröde Stoff der Mensch¬
heit, der ein bestimmtes Charaktergepräge annimmt, fehle", daß "sie verschiedene
Namen haben, doch keine wesentlich unterscheidenden Züge" (Liebert a. a. O.
S. 331), so gilt dasselbe, Michael ausgenommen, auch von denjenigen Vondels.

Die Abfälligen aber heben sich auch bei ihm hervor als Gestalten von
kraftvoller Haltung und markiger Individualität: sie packen den Leser; das
Böse, "das Prinzip des Unterschieds und der Vereinzelung" ist in markigen
Konturen wiedergegeben. So wird Lucifer vor alleu andern des Stückes
Hauptfigur, an der Vondels schöpferische Gestaltungskraft noch vor Milton in
meisterhafter Weise sich bewährt. Auch diesem hochmüthig-selbstsüchtigen Satan
gelingt sein rebellisches Beginnen nicht, das aus der Mißgunst geboren ist; und
wenn Vondels Lucifer auch nicht die Milton'sche Consequenz besitzt, die dessen
Satan selbst im Unterliegen noch Triumphe ob des "bleibenden Willens, des
unbesieglichen", ob "der ewgcn Gluth des Hasses und der Rache", ob des
"nie sich unterwerfenden Stolzes" feiern und selbst die Hölle zur Quelle
höchster innerer Befriedigung werden läßt^), so finden sich hier doch die An¬
sätze dazu. Nachdem er von Gottes Hand geschlagen, kann auch seine blinde
Wuth nichts mindern; er sinnt Hinterlist und Tücke weiter:


"Jetzt ist es Zeit, aus Rache
Für das, was uns geschehn, mit List und Zorneswuth

Und immer neuem Haß deu Himmel zu verfolgen.....

Ich will die Tyrannei erheben, stolz und stolzer,

Und meine Söhne, euch, als Götter.....

So viele Menschen auch, wie keine Zunge nennt,
Und was vou Adam stammt, in Ewigkeit verdammen,
Durch Grttul auf Gräul gehäuft, zum Trotz von Gottes Namen.
So theuer kostet ihn sein Sieg und meine Krone."


Zur strengen Durchführung in Milton's Art ist er freilich nicht augelegt;
er hat mehr vom Betrüger und Heuchler an sich. Gezwungen, sagt er, gehe
er in den Kampf, und wenn er gar darauf verfällt, sich auf sein armseliges
Stückchen übelverhehlter Heuchelei einen Eid schwören zu lassen, so möchte man
ihn einen "dummen Teufel" nennen. Seine rebellische Seele bewegt sich in
den verschiedensten Phasen schwankender Ungewißheit; aber es ist, wenigstens



"Sei mir gegrüßt
Du Welt des Schreckens, tiefster Höllcnranm,
Empfange deinen Herrn, den freien Geist,
Der nie die Ketten trug von Ort und Zeit."
*)

Copie der Erde; seine Bewohner essen ambrosische Früchte, und von dem Ver¬
langen nach dem Irdischen sind sie nicht frei. Und wenn von den guten
Engeln Miltons behauptet wird, daß „ihnen der harte, spröde Stoff der Mensch¬
heit, der ein bestimmtes Charaktergepräge annimmt, fehle", daß „sie verschiedene
Namen haben, doch keine wesentlich unterscheidenden Züge" (Liebert a. a. O.
S. 331), so gilt dasselbe, Michael ausgenommen, auch von denjenigen Vondels.

Die Abfälligen aber heben sich auch bei ihm hervor als Gestalten von
kraftvoller Haltung und markiger Individualität: sie packen den Leser; das
Böse, „das Prinzip des Unterschieds und der Vereinzelung" ist in markigen
Konturen wiedergegeben. So wird Lucifer vor alleu andern des Stückes
Hauptfigur, an der Vondels schöpferische Gestaltungskraft noch vor Milton in
meisterhafter Weise sich bewährt. Auch diesem hochmüthig-selbstsüchtigen Satan
gelingt sein rebellisches Beginnen nicht, das aus der Mißgunst geboren ist; und
wenn Vondels Lucifer auch nicht die Milton'sche Consequenz besitzt, die dessen
Satan selbst im Unterliegen noch Triumphe ob des „bleibenden Willens, des
unbesieglichen", ob „der ewgcn Gluth des Hasses und der Rache", ob des
„nie sich unterwerfenden Stolzes" feiern und selbst die Hölle zur Quelle
höchster innerer Befriedigung werden läßt^), so finden sich hier doch die An¬
sätze dazu. Nachdem er von Gottes Hand geschlagen, kann auch seine blinde
Wuth nichts mindern; er sinnt Hinterlist und Tücke weiter:


„Jetzt ist es Zeit, aus Rache
Für das, was uns geschehn, mit List und Zorneswuth

Und immer neuem Haß deu Himmel zu verfolgen.....

Ich will die Tyrannei erheben, stolz und stolzer,

Und meine Söhne, euch, als Götter.....

So viele Menschen auch, wie keine Zunge nennt,
Und was vou Adam stammt, in Ewigkeit verdammen,
Durch Grttul auf Gräul gehäuft, zum Trotz von Gottes Namen.
So theuer kostet ihn sein Sieg und meine Krone."


Zur strengen Durchführung in Milton's Art ist er freilich nicht augelegt;
er hat mehr vom Betrüger und Heuchler an sich. Gezwungen, sagt er, gehe
er in den Kampf, und wenn er gar darauf verfällt, sich auf sein armseliges
Stückchen übelverhehlter Heuchelei einen Eid schwören zu lassen, so möchte man
ihn einen „dummen Teufel" nennen. Seine rebellische Seele bewegt sich in
den verschiedensten Phasen schwankender Ungewißheit; aber es ist, wenigstens



„Sei mir gegrüßt
Du Welt des Schreckens, tiefster Höllcnranm,
Empfange deinen Herrn, den freien Geist,
Der nie die Ketten trug von Ort und Zeit."
*)
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[0261] Copie der Erde; seine Bewohner essen ambrosische Früchte, und von dem Ver¬ langen nach dem Irdischen sind sie nicht frei. Und wenn von den guten Engeln Miltons behauptet wird, daß „ihnen der harte, spröde Stoff der Mensch¬ heit, der ein bestimmtes Charaktergepräge annimmt, fehle", daß „sie verschiedene Namen haben, doch keine wesentlich unterscheidenden Züge" (Liebert a. a. O. S. 331), so gilt dasselbe, Michael ausgenommen, auch von denjenigen Vondels. Die Abfälligen aber heben sich auch bei ihm hervor als Gestalten von kraftvoller Haltung und markiger Individualität: sie packen den Leser; das Böse, „das Prinzip des Unterschieds und der Vereinzelung" ist in markigen Konturen wiedergegeben. So wird Lucifer vor alleu andern des Stückes Hauptfigur, an der Vondels schöpferische Gestaltungskraft noch vor Milton in meisterhafter Weise sich bewährt. Auch diesem hochmüthig-selbstsüchtigen Satan gelingt sein rebellisches Beginnen nicht, das aus der Mißgunst geboren ist; und wenn Vondels Lucifer auch nicht die Milton'sche Consequenz besitzt, die dessen Satan selbst im Unterliegen noch Triumphe ob des „bleibenden Willens, des unbesieglichen", ob „der ewgcn Gluth des Hasses und der Rache", ob des „nie sich unterwerfenden Stolzes" feiern und selbst die Hölle zur Quelle höchster innerer Befriedigung werden läßt^), so finden sich hier doch die An¬ sätze dazu. Nachdem er von Gottes Hand geschlagen, kann auch seine blinde Wuth nichts mindern; er sinnt Hinterlist und Tücke weiter: „Jetzt ist es Zeit, aus Rache Für das, was uns geschehn, mit List und Zorneswuth Und immer neuem Haß deu Himmel zu verfolgen..... Ich will die Tyrannei erheben, stolz und stolzer, Und meine Söhne, euch, als Götter..... So viele Menschen auch, wie keine Zunge nennt, Und was vou Adam stammt, in Ewigkeit verdammen, Durch Grttul auf Gräul gehäuft, zum Trotz von Gottes Namen. So theuer kostet ihn sein Sieg und meine Krone." Zur strengen Durchführung in Milton's Art ist er freilich nicht augelegt; er hat mehr vom Betrüger und Heuchler an sich. Gezwungen, sagt er, gehe er in den Kampf, und wenn er gar darauf verfällt, sich auf sein armseliges Stückchen übelverhehlter Heuchelei einen Eid schwören zu lassen, so möchte man ihn einen „dummen Teufel" nennen. Seine rebellische Seele bewegt sich in den verschiedensten Phasen schwankender Ungewißheit; aber es ist, wenigstens „Sei mir gegrüßt Du Welt des Schreckens, tiefster Höllcnranm, Empfange deinen Herrn, den freien Geist, Der nie die Ketten trug von Ort und Zeit." *)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/261>, abgerufen am 29.09.2024.