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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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folgt, und Michael schickt Uriel, der "das Recht, das heilige bewahrt und die
Ruchlosen straft", die beiden Gefallenen mit den: Flammenschwerte aus dem
Paradiese zu vertreiben. Anderen Erzengeln trägt er Lucifers und seiner
Schaaren Bestrafung auf, während eine Reihe von Engeln in einer rührenden
Apostrophe an den Erlöser das Drama beschließt.^)

Nach dieser Zusammenstellung der verwandten Stellen, ans deren zuweilen
überraschend ähnliche Einzelausführnng ich nnr vorübergehende Hindeutungen
habe werfen können, erübrigt es nur noch, einen zusammenfassenden Blick aus
die Gruudcmlcige des Ganzen und auf die Hauptcharaktere des Dramas zu thun,
um zu sehen ob auch hier eine Uebereinstimmung constatirt werden kann. Die
in der literarischen Exegese bereits als fertig und abgeschlossen geltenden Cha¬
raktere des milton'schen Gedichtes sollen dabei abermals vorausgesetzt werden.

Von vornherein ergibt sich, daß Vorbei in seinem Drama nicht wie
Milton die Darstellung des Menschen in seiner reinen Menschlichkeit als
seine Hauptaufgabe betrachtet, -- Milton hat bekanntlich die Schwierigkeiten,
diesen rein abstracten Paradiesesmenschen, den "unhistorischen" zu schildern,
nicht überwunden, -- sondern daß er sich mit Hilfe seiner kraftvoll gestaltenden
Phantasie eine vollständig neue Welt, neue Gestalten in seinen Engeln schafft
und nun von den historischen, erfahrungsmäßigen Voraussetzungen eines ge¬
gebenen Menschenthums aus "in der mannigfaltigen Bewegung der Gefühle,
Begierde", Vorsätze und Gedanken den Zusammenhang, die gemeinsamen Wur¬
zeln, aus denen jene entspringen", aufdeckt. So werdeu, wie bei Milton in
den Stücken vom Falle der Engel, anch seine himmlischen Gestaltungen zu
Personen oder Charakteren, in denen innere und äußere Entwickelung, tief und
mannigfaltig, wie sie ist, ihre eigenthümliche Einheit und Regel behaupten.
Auch die innere Entwicklung der Empörung und des Kampfes verläuft bei
beiden Dichtern in gleicher Weise. Zwar ist das Reich der Engel die Stätte
des reinen Lichts, der reinen Freiheit; aus der Freiheit aber entspringt
wie auf Erden, so auch hier die in Hochmuth und Selbstsucht wurzelnde Em¬
pörung gegen Gott, deren niedergehende Fluthen sich dort wie hier in dem
Schrecken und Grauen der Hölle verlaufen. "Der Erste der Engel wird zum
Teufel, und die Hölle ist ein Kind des Himmels." Hier wird derselbe Kampf
gekämpft, der die Menschenbrust bewegt, aber die ringenden Mächte werden
bei aller sonstigen Beschränkung zu Extremen, ihre Vertreter, die Engel, zu
Heroen der Thatkraft. Auch Voudels Himmel ist wie der milton'sche eine



Die entsprechenden Stellen zu dieser Episode finde" sich bei Milton, Gesang 9,'48-991; ZI, 261--394; 12, 684--Ende; auch hier haben die Forderungen des Epos den
concisen Ausdruck Vorbei's in behagliche Breite gezogen, aber die Grundgedanken und die
Art ihrer Ausführung sind beiden Dichtern gemeinsam.

folgt, und Michael schickt Uriel, der „das Recht, das heilige bewahrt und die
Ruchlosen straft", die beiden Gefallenen mit den: Flammenschwerte aus dem
Paradiese zu vertreiben. Anderen Erzengeln trägt er Lucifers und seiner
Schaaren Bestrafung auf, während eine Reihe von Engeln in einer rührenden
Apostrophe an den Erlöser das Drama beschließt.^)

Nach dieser Zusammenstellung der verwandten Stellen, ans deren zuweilen
überraschend ähnliche Einzelausführnng ich nnr vorübergehende Hindeutungen
habe werfen können, erübrigt es nur noch, einen zusammenfassenden Blick aus
die Gruudcmlcige des Ganzen und auf die Hauptcharaktere des Dramas zu thun,
um zu sehen ob auch hier eine Uebereinstimmung constatirt werden kann. Die
in der literarischen Exegese bereits als fertig und abgeschlossen geltenden Cha¬
raktere des milton'schen Gedichtes sollen dabei abermals vorausgesetzt werden.

Von vornherein ergibt sich, daß Vorbei in seinem Drama nicht wie
Milton die Darstellung des Menschen in seiner reinen Menschlichkeit als
seine Hauptaufgabe betrachtet, — Milton hat bekanntlich die Schwierigkeiten,
diesen rein abstracten Paradiesesmenschen, den „unhistorischen" zu schildern,
nicht überwunden, — sondern daß er sich mit Hilfe seiner kraftvoll gestaltenden
Phantasie eine vollständig neue Welt, neue Gestalten in seinen Engeln schafft
und nun von den historischen, erfahrungsmäßigen Voraussetzungen eines ge¬
gebenen Menschenthums aus „in der mannigfaltigen Bewegung der Gefühle,
Begierde», Vorsätze und Gedanken den Zusammenhang, die gemeinsamen Wur¬
zeln, aus denen jene entspringen", aufdeckt. So werdeu, wie bei Milton in
den Stücken vom Falle der Engel, anch seine himmlischen Gestaltungen zu
Personen oder Charakteren, in denen innere und äußere Entwickelung, tief und
mannigfaltig, wie sie ist, ihre eigenthümliche Einheit und Regel behaupten.
Auch die innere Entwicklung der Empörung und des Kampfes verläuft bei
beiden Dichtern in gleicher Weise. Zwar ist das Reich der Engel die Stätte
des reinen Lichts, der reinen Freiheit; aus der Freiheit aber entspringt
wie auf Erden, so auch hier die in Hochmuth und Selbstsucht wurzelnde Em¬
pörung gegen Gott, deren niedergehende Fluthen sich dort wie hier in dem
Schrecken und Grauen der Hölle verlaufen. „Der Erste der Engel wird zum
Teufel, und die Hölle ist ein Kind des Himmels." Hier wird derselbe Kampf
gekämpft, der die Menschenbrust bewegt, aber die ringenden Mächte werden
bei aller sonstigen Beschränkung zu Extremen, ihre Vertreter, die Engel, zu
Heroen der Thatkraft. Auch Voudels Himmel ist wie der milton'sche eine



Die entsprechenden Stellen zu dieser Episode finde» sich bei Milton, Gesang 9,'48-991; ZI, 261—394; 12, 684—Ende; auch hier haben die Forderungen des Epos den
concisen Ausdruck Vorbei's in behagliche Breite gezogen, aber die Grundgedanken und die
Art ihrer Ausführung sind beiden Dichtern gemeinsam.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/260>, abgerufen am 29.09.2024.