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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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über ist es nicht überflüssig, wenn der Verfasser bemerkt, daß uns das Auf¬
finden von mancherlei Gerathen derselben wohl einen Schluß auf die Lebens¬
weise dieser Menschen gestattet, aber durchaus keinen aus die geistige Ent¬
wickelung derselben. So lange uns in Betreff des sittlichen Charakters und
der religiösen Vorstellungen eines Menschenstammes nichts bekannt ist, fehlt
uns eines der wesentlichsten Hülfsmittel zur Erkenntniß des innern Lebens des¬
selben, und so müssen wir alle Aussagen und Annahmen über den Stand der
geistigen Entwickelung bei der Urbevölkerung Europas als Vermuthungen und
Erfindungen bezeichnen, die in den Thatsachen keinerlei Stütze finden und somit
lediglich Produkte der Willkür siud.




Ile Massen im DolKsmunde

Mit Gunst, und nichts für ungut! So sagen wir zu denen, welche
unsere Absicht bei dem Folgenden falsch auszulegen geneigt sein und uns be¬
schuldigen könnten, damit die Einrichtungen irgend eines christlichen Bekennt¬
nisses oder den Stand der Geistlichen dem Haß und der Verachtung preis¬
geben zu wollen. Selbstverständlich liegt uns, wie der Quelle, aus der wir
dabei schöpfen, nichts ferner als das. Es ist uns lediglich um ein Kapitel des
Volkshumors zu thun, der bekanntlich nichts schont, wenn sich einer Person
oder einer Sache eine lächerliche Seite abgewinnen läßt*) und der sich dabei
in Uebertreibungen und Verallgemeinerungen gefällt. Fühlt sich trotz dieser
Verwahrung jemand von den nachstehenden Mittheilungen getroffen und ver¬
letzt, so wird die Schuld nicht an uns, sondern an ihm selber liegen, mit an¬
dern Worten, so wird er eben das sein, was der Ausdruck "Pfaffe" heutzu¬
tage im Gegensatz zu der Bezeichnung "Geistlicher" meint, und sein Verdruß
soll uns dann nicht bekümmern. Der Fall wird aber wahrscheinlich nicht oft
vorkommen, da die Redensarten und Sprichwörter, die wir anführen, sast ohne
Ausnahme aus alter Zeit stammen, die man, wie von uns wiederholt schon
hervorgehoben worden, mit Unrecht die "alte gute" nennt. Wir Deutschen
wenigstens sind auch auf diesem Gebiete erheblich besser geworden als die Ge¬
schlechter vor uns, und zwar in einigen Stücken sogar in den Klöstern, von
denen beiläufig mauche, z. B. die der Benediktiner, im Mittelalter auch viel
Gutes geschaffen und gefördert haben.



*) Vergl. die ersten fünf Kapitel der soeben in 2. Auflage (Leipzig, Grunow) erschie¬
nenen Schrift "Deutscher Volkshumor" von Moritz Busch, die wir hiermit noch¬
mals warm empfehlen.

über ist es nicht überflüssig, wenn der Verfasser bemerkt, daß uns das Auf¬
finden von mancherlei Gerathen derselben wohl einen Schluß auf die Lebens¬
weise dieser Menschen gestattet, aber durchaus keinen aus die geistige Ent¬
wickelung derselben. So lange uns in Betreff des sittlichen Charakters und
der religiösen Vorstellungen eines Menschenstammes nichts bekannt ist, fehlt
uns eines der wesentlichsten Hülfsmittel zur Erkenntniß des innern Lebens des¬
selben, und so müssen wir alle Aussagen und Annahmen über den Stand der
geistigen Entwickelung bei der Urbevölkerung Europas als Vermuthungen und
Erfindungen bezeichnen, die in den Thatsachen keinerlei Stütze finden und somit
lediglich Produkte der Willkür siud.




Ile Massen im DolKsmunde

Mit Gunst, und nichts für ungut! So sagen wir zu denen, welche
unsere Absicht bei dem Folgenden falsch auszulegen geneigt sein und uns be¬
schuldigen könnten, damit die Einrichtungen irgend eines christlichen Bekennt¬
nisses oder den Stand der Geistlichen dem Haß und der Verachtung preis¬
geben zu wollen. Selbstverständlich liegt uns, wie der Quelle, aus der wir
dabei schöpfen, nichts ferner als das. Es ist uns lediglich um ein Kapitel des
Volkshumors zu thun, der bekanntlich nichts schont, wenn sich einer Person
oder einer Sache eine lächerliche Seite abgewinnen läßt*) und der sich dabei
in Uebertreibungen und Verallgemeinerungen gefällt. Fühlt sich trotz dieser
Verwahrung jemand von den nachstehenden Mittheilungen getroffen und ver¬
letzt, so wird die Schuld nicht an uns, sondern an ihm selber liegen, mit an¬
dern Worten, so wird er eben das sein, was der Ausdruck „Pfaffe" heutzu¬
tage im Gegensatz zu der Bezeichnung „Geistlicher" meint, und sein Verdruß
soll uns dann nicht bekümmern. Der Fall wird aber wahrscheinlich nicht oft
vorkommen, da die Redensarten und Sprichwörter, die wir anführen, sast ohne
Ausnahme aus alter Zeit stammen, die man, wie von uns wiederholt schon
hervorgehoben worden, mit Unrecht die „alte gute" nennt. Wir Deutschen
wenigstens sind auch auf diesem Gebiete erheblich besser geworden als die Ge¬
schlechter vor uns, und zwar in einigen Stücken sogar in den Klöstern, von
denen beiläufig mauche, z. B. die der Benediktiner, im Mittelalter auch viel
Gutes geschaffen und gefördert haben.



*) Vergl. die ersten fünf Kapitel der soeben in 2. Auflage (Leipzig, Grunow) erschie¬
nenen Schrift „Deutscher Volkshumor" von Moritz Busch, die wir hiermit noch¬
mals warm empfehlen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/26>, abgerufen am 28.09.2024.