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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Einer berufenen Feder sei eine derartige Rettung vorbehalten. Ich will,
nachdem Leuuep und Wilde uns Vorbei's Werke zugänglich gemacht, mich an
dieser Stelle beschränken auf eine Untersuchung des Verhältnisses zwischen dem
Dichter des "Lucifer" und dem des "Verlornen Paradieses"; diesseits wie jen¬
seits des Kanals scheinen mir die Literarhistoriker an den verwandten Zügen
beider Dichter bisher vorübergegangen zu sein, wenn man von dem kurzen
Aussatze D. 'W, S.'s im ciornnill N^a-imo (Mai 1877) absieht, der vom
Standpunkte eines patriotischen Enthusiasmus aus interessante Streiflichter auf
Milton's Epos fallen läßt.

Bekannt ist, daß auf Milton, den Dichter von "Christ-Church," Cam¬
bridge, von Ludlow - Castle und von Chalfont (Bucks), nicht nur das
klassische Vorbild von bedeutendem und nachweisbaren Einflüsse gewesen ist,
sondern daß er auch in der Schuld seiner unmittelbaren Vorgänger und Zeit¬
genossen steht. Im "Lyeidas" finden sich eine Menge Spenser'sche Züge; nach
der Vorrede zu den Dryden'schen "Fabeln" hat er selbst dem Verfasser seine
Abhängigkeit von dem Dichter der "Fairy Queen" eingestanden: "MIWn K".8
ÄcKnonlLclMÜ to ins etat Lxenser pas eilf original"; im "Conus" schlägt
der Dichter Shakespeare'sche Töne an, und mit Bezug auf Browne, Burton
und Drummond bemerkt sein Landsmann mit Recht, daß Milton sich von
diesen Waldblumen die süßesten Blüthen gesammelt; aus des jüngeren Glich
Fletcher "Llu'ist's Victor^ g.na sind nicht nur Bilder, sondern ein
ganzer Gedankengang herüber genommen, und für das "Verlorne Paradies" ist
nicht nur Cooley's "Davideis", sondern auch ein didaktisches Gedicht des Fran¬
zosen du Bartas in unmittelbare Contribution gesetzt wordeu. Wie die italie¬
nische Reise vom Jahre 1W8, so haben auch die Verbindungen mit Holland
in Milton's großen Liedern Spuren hinterlassen. Der Einfluß zwar von
Dante's "Göttlicher Comödie" auf das "Verlorne Paradies" ist ein Lieblings¬
gegenstand kritischer Untersuchungen gewesen, aber derjenige des "Adamo" von
I. B. Andreini ist noch lange nicht entsprechend erforscht worden; und nachdem
uns van Lennep nach Disraeli's "Ouriosities of I.it<ziÄwre" mitgetheilt, daß
Milton durch Roger Williams im Holländischen unterrichtet worden sei, braucht
man für seine Bekanntschaft mit dem holländischen Werke auch nicht mehr auf
so allgemeine Gründe, wie "den lebhaften Verkehr Englands mit Holland" zu
recurriren. Huyghens hatte bei seinem nach dem Friedensschlüsse zwischen
England und den Niederlanden erfolgten Besuche in London die Verbindung
zwischen beiden Ländern gepflegt, John Dorne gegenüber sogar in indiscreter
Weise, und eine Bekanntschaft Milton's mit dem ihm vielfach verwandten Hooft
kaun kaum in Zweifel gezogen werden. Noch jetzt pflegen die Holländer nicht
ohne enthusiastisches Aufwallen ihres Nationalstolzes Hugo Grotius' "^ä-raus


Einer berufenen Feder sei eine derartige Rettung vorbehalten. Ich will,
nachdem Leuuep und Wilde uns Vorbei's Werke zugänglich gemacht, mich an
dieser Stelle beschränken auf eine Untersuchung des Verhältnisses zwischen dem
Dichter des „Lucifer" und dem des „Verlornen Paradieses"; diesseits wie jen¬
seits des Kanals scheinen mir die Literarhistoriker an den verwandten Zügen
beider Dichter bisher vorübergegangen zu sein, wenn man von dem kurzen
Aussatze D. 'W, S.'s im ciornnill N^a-imo (Mai 1877) absieht, der vom
Standpunkte eines patriotischen Enthusiasmus aus interessante Streiflichter auf
Milton's Epos fallen läßt.

Bekannt ist, daß auf Milton, den Dichter von „Christ-Church," Cam¬
bridge, von Ludlow - Castle und von Chalfont (Bucks), nicht nur das
klassische Vorbild von bedeutendem und nachweisbaren Einflüsse gewesen ist,
sondern daß er auch in der Schuld seiner unmittelbaren Vorgänger und Zeit¬
genossen steht. Im „Lyeidas" finden sich eine Menge Spenser'sche Züge; nach
der Vorrede zu den Dryden'schen „Fabeln" hat er selbst dem Verfasser seine
Abhängigkeit von dem Dichter der „Fairy Queen" eingestanden: „MIWn K».8
ÄcKnonlLclMÜ to ins etat Lxenser pas eilf original"; im „Conus" schlägt
der Dichter Shakespeare'sche Töne an, und mit Bezug auf Browne, Burton
und Drummond bemerkt sein Landsmann mit Recht, daß Milton sich von
diesen Waldblumen die süßesten Blüthen gesammelt; aus des jüngeren Glich
Fletcher „Llu'ist's Victor^ g.na sind nicht nur Bilder, sondern ein
ganzer Gedankengang herüber genommen, und für das „Verlorne Paradies" ist
nicht nur Cooley's „Davideis", sondern auch ein didaktisches Gedicht des Fran¬
zosen du Bartas in unmittelbare Contribution gesetzt wordeu. Wie die italie¬
nische Reise vom Jahre 1W8, so haben auch die Verbindungen mit Holland
in Milton's großen Liedern Spuren hinterlassen. Der Einfluß zwar von
Dante's „Göttlicher Comödie" auf das „Verlorne Paradies" ist ein Lieblings¬
gegenstand kritischer Untersuchungen gewesen, aber derjenige des „Adamo" von
I. B. Andreini ist noch lange nicht entsprechend erforscht worden; und nachdem
uns van Lennep nach Disraeli's „Ouriosities of I.it<ziÄwre" mitgetheilt, daß
Milton durch Roger Williams im Holländischen unterrichtet worden sei, braucht
man für seine Bekanntschaft mit dem holländischen Werke auch nicht mehr auf
so allgemeine Gründe, wie „den lebhaften Verkehr Englands mit Holland" zu
recurriren. Huyghens hatte bei seinem nach dem Friedensschlüsse zwischen
England und den Niederlanden erfolgten Besuche in London die Verbindung
zwischen beiden Ländern gepflegt, John Dorne gegenüber sogar in indiscreter
Weise, und eine Bekanntschaft Milton's mit dem ihm vielfach verwandten Hooft
kaun kaum in Zweifel gezogen werden. Noch jetzt pflegen die Holländer nicht
ohne enthusiastisches Aufwallen ihres Nationalstolzes Hugo Grotius' „^ä-raus


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[0250] Einer berufenen Feder sei eine derartige Rettung vorbehalten. Ich will, nachdem Leuuep und Wilde uns Vorbei's Werke zugänglich gemacht, mich an dieser Stelle beschränken auf eine Untersuchung des Verhältnisses zwischen dem Dichter des „Lucifer" und dem des „Verlornen Paradieses"; diesseits wie jen¬ seits des Kanals scheinen mir die Literarhistoriker an den verwandten Zügen beider Dichter bisher vorübergegangen zu sein, wenn man von dem kurzen Aussatze D. 'W, S.'s im ciornnill N^a-imo (Mai 1877) absieht, der vom Standpunkte eines patriotischen Enthusiasmus aus interessante Streiflichter auf Milton's Epos fallen läßt. Bekannt ist, daß auf Milton, den Dichter von „Christ-Church," Cam¬ bridge, von Ludlow - Castle und von Chalfont (Bucks), nicht nur das klassische Vorbild von bedeutendem und nachweisbaren Einflüsse gewesen ist, sondern daß er auch in der Schuld seiner unmittelbaren Vorgänger und Zeit¬ genossen steht. Im „Lyeidas" finden sich eine Menge Spenser'sche Züge; nach der Vorrede zu den Dryden'schen „Fabeln" hat er selbst dem Verfasser seine Abhängigkeit von dem Dichter der „Fairy Queen" eingestanden: „MIWn K».8 ÄcKnonlLclMÜ to ins etat Lxenser pas eilf original"; im „Conus" schlägt der Dichter Shakespeare'sche Töne an, und mit Bezug auf Browne, Burton und Drummond bemerkt sein Landsmann mit Recht, daß Milton sich von diesen Waldblumen die süßesten Blüthen gesammelt; aus des jüngeren Glich Fletcher „Llu'ist's Victor^ g.na sind nicht nur Bilder, sondern ein ganzer Gedankengang herüber genommen, und für das „Verlorne Paradies" ist nicht nur Cooley's „Davideis", sondern auch ein didaktisches Gedicht des Fran¬ zosen du Bartas in unmittelbare Contribution gesetzt wordeu. Wie die italie¬ nische Reise vom Jahre 1W8, so haben auch die Verbindungen mit Holland in Milton's großen Liedern Spuren hinterlassen. Der Einfluß zwar von Dante's „Göttlicher Comödie" auf das „Verlorne Paradies" ist ein Lieblings¬ gegenstand kritischer Untersuchungen gewesen, aber derjenige des „Adamo" von I. B. Andreini ist noch lange nicht entsprechend erforscht worden; und nachdem uns van Lennep nach Disraeli's „Ouriosities of I.it<ziÄwre" mitgetheilt, daß Milton durch Roger Williams im Holländischen unterrichtet worden sei, braucht man für seine Bekanntschaft mit dem holländischen Werke auch nicht mehr auf so allgemeine Gründe, wie „den lebhaften Verkehr Englands mit Holland" zu recurriren. Huyghens hatte bei seinem nach dem Friedensschlüsse zwischen England und den Niederlanden erfolgten Besuche in London die Verbindung zwischen beiden Ländern gepflegt, John Dorne gegenüber sogar in indiscreter Weise, und eine Bekanntschaft Milton's mit dem ihm vielfach verwandten Hooft kaun kaum in Zweifel gezogen werden. Noch jetzt pflegen die Holländer nicht ohne enthusiastisches Aufwallen ihres Nationalstolzes Hugo Grotius' „^ä-raus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/250>, abgerufen am 28.09.2024.