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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Der Aass der Lngel bei John Wilton und Ioost
van den Dondet.

Im Jahre 1867 veröffentlichte G. H. de Wilde die Uebersetzung eines der
Vorbei'schen Dramen, des "Gijsbrecht van Aemstel"; ohne sein Werk durch
den Beifall weiterer Kreise anerkannt zu sehen, ließ er dem "Gijsbrecht" bereits
1869 Vorbei's Hauptwerk, den "Lucifer," in reimlosen Alexandrinern folgen,
lediglich in der Absicht, auch seinen deutschen Landsleuten Gelegenheit zu bieten,
die Leistungen des in seinem Vaterlande hochgefeierten Dichters nach ihrem
Verdienste zu würdigen.*) Außerdem besitzen wir eine von Andreas Gryphius
besorgte Uebersetzung von Vorbei's "Gebroeders"; sie ist veraltet und wird
nicht mehr gelesen; um so mehr darf Wilde für seine glatten Übersetzungen
des packenden "Gijsbrecht" und noch mehr des "Lucifer" auf unsern Dank
rechnen. Denn die großartige Anlage und die gedankenreiche Ausführung dieser
Dichtung zeugen von einem seltenen Schwunge des Geistes, der sie geschaffen,
und sichern ihr für alle Zeiten einen Platz in der von Dante bis auf Byron
herabreichenden poetischen Satansliteratnr.

Die folgenden Zeilen verfolgen dem Vorbei'schen Drama gegenüber weder
kritische noch exegetische Zwecke, obgleich ein genaueres Eingehen auf die Eigen¬
thümlichkeiten des Niederländers nach ihrer materialen wie formalen Seite
nicht ohne ausgiebigen Ertrag sein würde. Die Behandlung der nieder¬
ländischen Geistesstrvmungen seit der Erhebung gegen die Spanier ist von feiten
Deutschlands bisher mehr als stiefmütterlich gewesen; was weiß denn selbst
der wohlunterrichtete, gebildete Deutsche von holländischer Literatur? Und so
hat auch eine über 200 Jahr alte Satansdichtung sich in die Schatten unver¬
dienter Verborgenheit gedrängt gesehen, welche in ganzen Partien als eine
Prophetin Byron'schen Geistes- und Gedankenfluges angesehen werden kann.



*) In demselben Jahre kam auch die Prachtausgabe der Werke Vorbei's, die van
Lennep veranstaltet, zum Abschluß (1W5-U9) in 12 Banden.
Grenzboten III. 1877. 31
Der Aass der Lngel bei John Wilton und Ioost
van den Dondet.

Im Jahre 1867 veröffentlichte G. H. de Wilde die Uebersetzung eines der
Vorbei'schen Dramen, des „Gijsbrecht van Aemstel"; ohne sein Werk durch
den Beifall weiterer Kreise anerkannt zu sehen, ließ er dem „Gijsbrecht" bereits
1869 Vorbei's Hauptwerk, den „Lucifer," in reimlosen Alexandrinern folgen,
lediglich in der Absicht, auch seinen deutschen Landsleuten Gelegenheit zu bieten,
die Leistungen des in seinem Vaterlande hochgefeierten Dichters nach ihrem
Verdienste zu würdigen.*) Außerdem besitzen wir eine von Andreas Gryphius
besorgte Uebersetzung von Vorbei's „Gebroeders"; sie ist veraltet und wird
nicht mehr gelesen; um so mehr darf Wilde für seine glatten Übersetzungen
des packenden „Gijsbrecht" und noch mehr des „Lucifer" auf unsern Dank
rechnen. Denn die großartige Anlage und die gedankenreiche Ausführung dieser
Dichtung zeugen von einem seltenen Schwunge des Geistes, der sie geschaffen,
und sichern ihr für alle Zeiten einen Platz in der von Dante bis auf Byron
herabreichenden poetischen Satansliteratnr.

Die folgenden Zeilen verfolgen dem Vorbei'schen Drama gegenüber weder
kritische noch exegetische Zwecke, obgleich ein genaueres Eingehen auf die Eigen¬
thümlichkeiten des Niederländers nach ihrer materialen wie formalen Seite
nicht ohne ausgiebigen Ertrag sein würde. Die Behandlung der nieder¬
ländischen Geistesstrvmungen seit der Erhebung gegen die Spanier ist von feiten
Deutschlands bisher mehr als stiefmütterlich gewesen; was weiß denn selbst
der wohlunterrichtete, gebildete Deutsche von holländischer Literatur? Und so
hat auch eine über 200 Jahr alte Satansdichtung sich in die Schatten unver¬
dienter Verborgenheit gedrängt gesehen, welche in ganzen Partien als eine
Prophetin Byron'schen Geistes- und Gedankenfluges angesehen werden kann.



*) In demselben Jahre kam auch die Prachtausgabe der Werke Vorbei's, die van
Lennep veranstaltet, zum Abschluß (1W5-U9) in 12 Banden.
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[0249] Der Aass der Lngel bei John Wilton und Ioost van den Dondet. Im Jahre 1867 veröffentlichte G. H. de Wilde die Uebersetzung eines der Vorbei'schen Dramen, des „Gijsbrecht van Aemstel"; ohne sein Werk durch den Beifall weiterer Kreise anerkannt zu sehen, ließ er dem „Gijsbrecht" bereits 1869 Vorbei's Hauptwerk, den „Lucifer," in reimlosen Alexandrinern folgen, lediglich in der Absicht, auch seinen deutschen Landsleuten Gelegenheit zu bieten, die Leistungen des in seinem Vaterlande hochgefeierten Dichters nach ihrem Verdienste zu würdigen.*) Außerdem besitzen wir eine von Andreas Gryphius besorgte Uebersetzung von Vorbei's „Gebroeders"; sie ist veraltet und wird nicht mehr gelesen; um so mehr darf Wilde für seine glatten Übersetzungen des packenden „Gijsbrecht" und noch mehr des „Lucifer" auf unsern Dank rechnen. Denn die großartige Anlage und die gedankenreiche Ausführung dieser Dichtung zeugen von einem seltenen Schwunge des Geistes, der sie geschaffen, und sichern ihr für alle Zeiten einen Platz in der von Dante bis auf Byron herabreichenden poetischen Satansliteratnr. Die folgenden Zeilen verfolgen dem Vorbei'schen Drama gegenüber weder kritische noch exegetische Zwecke, obgleich ein genaueres Eingehen auf die Eigen¬ thümlichkeiten des Niederländers nach ihrer materialen wie formalen Seite nicht ohne ausgiebigen Ertrag sein würde. Die Behandlung der nieder¬ ländischen Geistesstrvmungen seit der Erhebung gegen die Spanier ist von feiten Deutschlands bisher mehr als stiefmütterlich gewesen; was weiß denn selbst der wohlunterrichtete, gebildete Deutsche von holländischer Literatur? Und so hat auch eine über 200 Jahr alte Satansdichtung sich in die Schatten unver¬ dienter Verborgenheit gedrängt gesehen, welche in ganzen Partien als eine Prophetin Byron'schen Geistes- und Gedankenfluges angesehen werden kann. *) In demselben Jahre kam auch die Prachtausgabe der Werke Vorbei's, die van Lennep veranstaltet, zum Abschluß (1W5-U9) in 12 Banden. Grenzboten III. 1877. 31

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/249>, abgerufen am 28.09.2024.