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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Sand lief, der viel schädlicher ist als das Wasser des Meeres." Daß der
Magnet scheint und flammt, darf nicht befremden; denn es ist hier nicht von
einem eigentlichen Magneten, sondern von einem Diamanten die Rede, dem
das Mittelalter ebenfalls die Eigenschaft zuschrieb, Eisen an sich zu ziehen, ja
der dieselbe in höherem Grade besitzen sollte als der Magnet.

Bei dieser Bedrohung der Schifffahrt leisteten die mittelalterlichen Geogra¬
phen dem Seehandel einen großen Dienst, wenn sie den gefährlichen Berg zu
lokalisiren verstanden, und in dieser Beziehung sollte mau meinen, derselbe
müßte, da unsere Magnetnadeln nach Norden weisen, in den arktischen Gegen¬
den gesucht worden fein. Aber im Mittelalter fixirte man ihn vielmehr im
tiefen Süden. Albertus Magnus erklärt den Umstand, daß aus den unter
dem Aequator liegenden Ländern deswegen nie ein lebendes Wesen in die
andere Welt gekommen sei, damit, daß vielleicht "eine magnetische Kraft" sie
zurückhalte, wobei daran zu erinnern ist, daß es im Mittelalter fabelhafte
Magneten gab, die Gold, Silber und -- Fleisch anzogen. Die Araber aber
versetzen den gefährlichen Felsen an die Ostküste Afrikas. Abulfeda sagt:
"Oestlich von Melinda liegt der Alkherany, ein Berg, der den Reisenden
wohl bekannt ist. Er tritt in einer Entfernung von hundert Meilen in das
Meer hinaus und erstreckt sich landeinwärts gegen Süden fünfzig Meilen.
Unter andern Merkwürdigkeiten findet sich auf seinem Rücken am Lande ein
Eiseubergwerk und auf dein Vorgebirge in der See eine Maguetgrnbe." Edrisi
serner nennt den Berg Murukein und berichtet, daß kein Schiff mit eisernen
Nägeln an ihm vorüberfahren könne, ohne von ihm angezogen zu werden und
hängen zu bleiben. Die Fabel von dem Magnetberge ist aber älter als die
genannten arabischen Geographen. Salladios, ein griechischer Schriftsteller des
vierten Jahrhunderts, gedenkt seiner bereits und versetzt ihn auf eine der
"tausend Juseln" des indischen Oeeans, und Ptolemäos weist ihm seine Stelle
in der Nähe der Sathriuseln, also auf der Straße zwischen Indien und seinem
unbekannten Welttheile an und berichtet, daß die Jndienfahrer seiner Zeit aus
Furcht vor ihm an ihren Schiffen kein Eisen litten. Endlich hat sich die Sage
vom Magnetberge auch in China gefunden. Svsung, ein Autor, der in der
ersten Hälfte des elften Jahrhunderts unsrer Zeitrechnung schrieb, beruft sich
auf ein älteres einheimisches Werk, in welchem es heißt: "An den Vorgebirgen
und Landzungen des Tschaughai (des südlichen Meeres bei Tonkin und Cochin-
china) gibt es Untiefen und Magnetsteine in solcher Menge, daß, wenn die
großen fremden Schiffe, die mit Eisenplatten beschlagen sind, sich nähern, sie
davon angezogen werden und niemals über diese Stellen hinweg kommen."
Ist die Sage ursprünglich in China heimisch gewesen und dann von Hafen zu
Hafen weiter gewandert, bis sie nach Alexandrien kam, fragt Peschel, oder ist


Sand lief, der viel schädlicher ist als das Wasser des Meeres." Daß der
Magnet scheint und flammt, darf nicht befremden; denn es ist hier nicht von
einem eigentlichen Magneten, sondern von einem Diamanten die Rede, dem
das Mittelalter ebenfalls die Eigenschaft zuschrieb, Eisen an sich zu ziehen, ja
der dieselbe in höherem Grade besitzen sollte als der Magnet.

Bei dieser Bedrohung der Schifffahrt leisteten die mittelalterlichen Geogra¬
phen dem Seehandel einen großen Dienst, wenn sie den gefährlichen Berg zu
lokalisiren verstanden, und in dieser Beziehung sollte mau meinen, derselbe
müßte, da unsere Magnetnadeln nach Norden weisen, in den arktischen Gegen¬
den gesucht worden fein. Aber im Mittelalter fixirte man ihn vielmehr im
tiefen Süden. Albertus Magnus erklärt den Umstand, daß aus den unter
dem Aequator liegenden Ländern deswegen nie ein lebendes Wesen in die
andere Welt gekommen sei, damit, daß vielleicht „eine magnetische Kraft" sie
zurückhalte, wobei daran zu erinnern ist, daß es im Mittelalter fabelhafte
Magneten gab, die Gold, Silber und — Fleisch anzogen. Die Araber aber
versetzen den gefährlichen Felsen an die Ostküste Afrikas. Abulfeda sagt:
„Oestlich von Melinda liegt der Alkherany, ein Berg, der den Reisenden
wohl bekannt ist. Er tritt in einer Entfernung von hundert Meilen in das
Meer hinaus und erstreckt sich landeinwärts gegen Süden fünfzig Meilen.
Unter andern Merkwürdigkeiten findet sich auf seinem Rücken am Lande ein
Eiseubergwerk und auf dein Vorgebirge in der See eine Maguetgrnbe." Edrisi
serner nennt den Berg Murukein und berichtet, daß kein Schiff mit eisernen
Nägeln an ihm vorüberfahren könne, ohne von ihm angezogen zu werden und
hängen zu bleiben. Die Fabel von dem Magnetberge ist aber älter als die
genannten arabischen Geographen. Salladios, ein griechischer Schriftsteller des
vierten Jahrhunderts, gedenkt seiner bereits und versetzt ihn auf eine der
„tausend Juseln" des indischen Oeeans, und Ptolemäos weist ihm seine Stelle
in der Nähe der Sathriuseln, also auf der Straße zwischen Indien und seinem
unbekannten Welttheile an und berichtet, daß die Jndienfahrer seiner Zeit aus
Furcht vor ihm an ihren Schiffen kein Eisen litten. Endlich hat sich die Sage
vom Magnetberge auch in China gefunden. Svsung, ein Autor, der in der
ersten Hälfte des elften Jahrhunderts unsrer Zeitrechnung schrieb, beruft sich
auf ein älteres einheimisches Werk, in welchem es heißt: „An den Vorgebirgen
und Landzungen des Tschaughai (des südlichen Meeres bei Tonkin und Cochin-
china) gibt es Untiefen und Magnetsteine in solcher Menge, daß, wenn die
großen fremden Schiffe, die mit Eisenplatten beschlagen sind, sich nähern, sie
davon angezogen werden und niemals über diese Stellen hinweg kommen."
Ist die Sage ursprünglich in China heimisch gewesen und dann von Hafen zu
Hafen weiter gewandert, bis sie nach Alexandrien kam, fragt Peschel, oder ist


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/240>, abgerufen am 28.09.2024.