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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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über alle Beschreibung gräßlich. Es ist, wie wenn man sich nnter Kanibalen
befände.

In der letzten Zeit hat sich der Geschmack am Reisen unter den Weißen
stark entwickelt. Vor dem Kriege war dieser nicht so vorherrschend oder
wenigstens nicht so auffällig. Es gibt verschiedene Badeorte und Mineral¬
quellen in Südcarolina, die sich jeden Sommer zahlreichen Besuchs erfreuen.
Auch die Sitte, nach dem Norden zu reisen, lebt, so weit es die Mittel ge¬
statten, wieder auf, und sie kommt auch unter den niedern Klassen in Auf¬
nahme, die früher selten ihre Heimath verließen. Die Ursache scheint in den
Kämpfen des großen Bürgerkriegs zu liegen, die Viele weit wegführten und
ihnen Gefallen am Besuch fremder Gegenden einflößten. Das Beispiel der
Aristokratie kann es nicht gewesen sein; denn diese reiste, selbst genügsam, wie
sie war, wenn sie nicht eine fremde Schule oder Universität besuchte, selten
über die Grenzen des Staates hinaus.

Das gesellschaftliche Leben der höheren Kreise in Charleston ist sehr eigen¬
thümlicher Art. Die Wohnhäuser derselben sind gewöhnlich groß und zwar
altmodisch, aber behaglich eingerichtet. Sie haben zahlreiche, mit Gitterwerk
versehene Balkone und sind von geräumigen Höfen umgeben, welche von hohen
Mauern eingeschlossen werden, und in denen Orangenbäume, andere schöne
Pflanzen und Beete mit seltnen Blumen duften und glänzen. Diese still behag¬
lichen Häuser gehören vorzüglich reichen Pflanzern von der Seeküste und den
Inseln, die abwechselnd hier und auf ihren Plantagen leben. Hier halten
die Reispflanzer so viel als möglich ihre alten Gewohnheiten aufrecht und
bilden einen Kern, um welchen die südliche Aristokratie sich wieder sammeln kann.

Jedes Jahr halten die Freimaurer, die Oddfellows, die Grangers und
andere geheime Gesellschaften Generalversammlungen in Charleston oder
Columbia ab, wobei es öffentliche Aufzüge mit allerlei buntem Schnickschnack
und Hokuspokus gibt. Ferner gibt es am letztgenannten Orte alle Jahre einen
großen Jahrmarkt. Bei diesen Gelegenheiten setzen die Eisenbahnen ihre
Fahrpreise auf die Hälfte herab, und Tausende drängen sich durch die Städte.
Lustbarkeiten dieser Art waren mehrere Jahre nach dem Kriege nicht üblich,
jetzt leben sie rasch wieder auf. Auch zahlreiche Konzerte, Bälle, Ausflüge aufs
Land, Kegelgesellschaften und Clubs für Ballspieler, die seit zwei Jahren
entstanden sind, zeigen, daß die Wunden des Krieges langsam zu heilen be¬
gonnen haben.

Alles das wird von den Negern selbstverständlich nachgeahmt. Sie sind
namentlich ganz versessen aufs Reisen. Fortwährend werden die Eisenbahn¬
beamten von ihnen mit dem Verlangen nach Extrazügen behelligt, die sie zu


über alle Beschreibung gräßlich. Es ist, wie wenn man sich nnter Kanibalen
befände.

In der letzten Zeit hat sich der Geschmack am Reisen unter den Weißen
stark entwickelt. Vor dem Kriege war dieser nicht so vorherrschend oder
wenigstens nicht so auffällig. Es gibt verschiedene Badeorte und Mineral¬
quellen in Südcarolina, die sich jeden Sommer zahlreichen Besuchs erfreuen.
Auch die Sitte, nach dem Norden zu reisen, lebt, so weit es die Mittel ge¬
statten, wieder auf, und sie kommt auch unter den niedern Klassen in Auf¬
nahme, die früher selten ihre Heimath verließen. Die Ursache scheint in den
Kämpfen des großen Bürgerkriegs zu liegen, die Viele weit wegführten und
ihnen Gefallen am Besuch fremder Gegenden einflößten. Das Beispiel der
Aristokratie kann es nicht gewesen sein; denn diese reiste, selbst genügsam, wie
sie war, wenn sie nicht eine fremde Schule oder Universität besuchte, selten
über die Grenzen des Staates hinaus.

Das gesellschaftliche Leben der höheren Kreise in Charleston ist sehr eigen¬
thümlicher Art. Die Wohnhäuser derselben sind gewöhnlich groß und zwar
altmodisch, aber behaglich eingerichtet. Sie haben zahlreiche, mit Gitterwerk
versehene Balkone und sind von geräumigen Höfen umgeben, welche von hohen
Mauern eingeschlossen werden, und in denen Orangenbäume, andere schöne
Pflanzen und Beete mit seltnen Blumen duften und glänzen. Diese still behag¬
lichen Häuser gehören vorzüglich reichen Pflanzern von der Seeküste und den
Inseln, die abwechselnd hier und auf ihren Plantagen leben. Hier halten
die Reispflanzer so viel als möglich ihre alten Gewohnheiten aufrecht und
bilden einen Kern, um welchen die südliche Aristokratie sich wieder sammeln kann.

Jedes Jahr halten die Freimaurer, die Oddfellows, die Grangers und
andere geheime Gesellschaften Generalversammlungen in Charleston oder
Columbia ab, wobei es öffentliche Aufzüge mit allerlei buntem Schnickschnack
und Hokuspokus gibt. Ferner gibt es am letztgenannten Orte alle Jahre einen
großen Jahrmarkt. Bei diesen Gelegenheiten setzen die Eisenbahnen ihre
Fahrpreise auf die Hälfte herab, und Tausende drängen sich durch die Städte.
Lustbarkeiten dieser Art waren mehrere Jahre nach dem Kriege nicht üblich,
jetzt leben sie rasch wieder auf. Auch zahlreiche Konzerte, Bälle, Ausflüge aufs
Land, Kegelgesellschaften und Clubs für Ballspieler, die seit zwei Jahren
entstanden sind, zeigen, daß die Wunden des Krieges langsam zu heilen be¬
gonnen haben.

Alles das wird von den Negern selbstverständlich nachgeahmt. Sie sind
namentlich ganz versessen aufs Reisen. Fortwährend werden die Eisenbahn¬
beamten von ihnen mit dem Verlangen nach Extrazügen behelligt, die sie zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/203>, abgerufen am 28.09.2024.