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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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(Kurz- und Langschädel) unterschieden. Um dieses Verhältniß übersichtlich zu
machen, hat man den Längendurchmesser zu 100 angenommen und bezeichnet
man als "Breitenindex" die Zahl, welche ergibt, wie viel Prozent von der
Länge des Schädels die Breite beträgt. Bei den jetzt lebenden Völkern
schwankt der Breitenindex zwischen 62 und 97. Man bezeichnet nach Thurnau
und Huxly drei Stufen mit besonderen Namen; es gibt darnach dolychoeephale,
vrthocephale und brachycephale Schädel, von denen die ersten einen Breiten¬
index von 70--73, die zweiten einen solchen von 74--77 und die dritten einen
solchen von 80 und darüber haben. Nach statistischen Erhebungen haben die
Bewohner eiuer Gegend und die Angehörigen eines Stammes, soweit sie nicht
mit Andern gemischt sind, im Milet eine bestimmte Schädelform, doch zeigen
sich an einer und derselben Völkerfamilie die Mittelzahlen des Breitenindex
ziemlich schwankend, so daß man auf dieselben als Rassenmerkmale kein zu
großes Gewicht legen darf. Weniger schwankend ist der Höhenindex, der in
der Regel zunimmt, wenn der Breitenindex sich vermindert, so daß dadurch
eine größere Gleichmäßigkeit des Volumens der verschiedenen Schädel erzeugt
wird. Ebenso hat man häufig noch den Umfang des Schädels bestimmt, d. h.
die Länge der Linien quer und der Länge nach über den Schädel, sowie den
Kubikinhalt der Schädelhöhle, weil uns dieser das Volumen des Gehirns er¬
kennen läßt. Aber zahlreiche Untersuchungen haben dargethan, daß die Schlüsse,
die man lediglich aus der Größe oder Kleinheit der Schädelhöhle auf die
höhere oder geringere geistige Begabung gezogen hat, sehr wenig sicher sind,
und so ist es mißlich, die Völker nach den hierbei gefundenen Zahlen zu
klassisiziren. Das Mittel für französische Schädel steht z. B. fast an der
untersten Stelle unter allen europäischen Stämmen, ja selbst noch unter dem
der australischen Papuas und Alfurus, die bekanntlich zu den niedrigsten
Menschenrassen gehören.

Gehen wir nun mit diesen bei Betrachtung der jetzigen Bevölkerung der
Erde gewonnen Ergebnissen an die Prüfung der ältesten Schädel, so ergibt
sich Folgendes. Die ältesten Menschen, die wir näher kennen, und die ihre
Todten in kauernder Stellung in Höhlen oder in langen, niedrigen, aus
Steinen errichteten Kammern begruben, gehörten zu deu Dvlychocephalen oder
Langröpfen. Aber zu ihnen gesellen sich allmählich mehr und mehr vrthocephale
Schädel, und, wie es scheint, kommt zu dieser dvlychoeephaleu Nasse eine
brachycephale, die sich mit ihr vermischt, häusiger aber noch sie verdrängt. Die
letztere führte, während jene nnr Geräthe ans Stein und Knochen kannte,
Gefäße und Werkzeuge aus Bronze mit sich und bestattete ihre Todten in
runden Hügeln. Die Mischung beider Raffen, der Lang- und der Kurz¬
köpfe, ist besonders in Frankreich stark bemerklich , so daß man oft in einer


(Kurz- und Langschädel) unterschieden. Um dieses Verhältniß übersichtlich zu
machen, hat man den Längendurchmesser zu 100 angenommen und bezeichnet
man als „Breitenindex" die Zahl, welche ergibt, wie viel Prozent von der
Länge des Schädels die Breite beträgt. Bei den jetzt lebenden Völkern
schwankt der Breitenindex zwischen 62 und 97. Man bezeichnet nach Thurnau
und Huxly drei Stufen mit besonderen Namen; es gibt darnach dolychoeephale,
vrthocephale und brachycephale Schädel, von denen die ersten einen Breiten¬
index von 70—73, die zweiten einen solchen von 74—77 und die dritten einen
solchen von 80 und darüber haben. Nach statistischen Erhebungen haben die
Bewohner eiuer Gegend und die Angehörigen eines Stammes, soweit sie nicht
mit Andern gemischt sind, im Milet eine bestimmte Schädelform, doch zeigen
sich an einer und derselben Völkerfamilie die Mittelzahlen des Breitenindex
ziemlich schwankend, so daß man auf dieselben als Rassenmerkmale kein zu
großes Gewicht legen darf. Weniger schwankend ist der Höhenindex, der in
der Regel zunimmt, wenn der Breitenindex sich vermindert, so daß dadurch
eine größere Gleichmäßigkeit des Volumens der verschiedenen Schädel erzeugt
wird. Ebenso hat man häufig noch den Umfang des Schädels bestimmt, d. h.
die Länge der Linien quer und der Länge nach über den Schädel, sowie den
Kubikinhalt der Schädelhöhle, weil uns dieser das Volumen des Gehirns er¬
kennen läßt. Aber zahlreiche Untersuchungen haben dargethan, daß die Schlüsse,
die man lediglich aus der Größe oder Kleinheit der Schädelhöhle auf die
höhere oder geringere geistige Begabung gezogen hat, sehr wenig sicher sind,
und so ist es mißlich, die Völker nach den hierbei gefundenen Zahlen zu
klassisiziren. Das Mittel für französische Schädel steht z. B. fast an der
untersten Stelle unter allen europäischen Stämmen, ja selbst noch unter dem
der australischen Papuas und Alfurus, die bekanntlich zu den niedrigsten
Menschenrassen gehören.

Gehen wir nun mit diesen bei Betrachtung der jetzigen Bevölkerung der
Erde gewonnen Ergebnissen an die Prüfung der ältesten Schädel, so ergibt
sich Folgendes. Die ältesten Menschen, die wir näher kennen, und die ihre
Todten in kauernder Stellung in Höhlen oder in langen, niedrigen, aus
Steinen errichteten Kammern begruben, gehörten zu deu Dvlychocephalen oder
Langröpfen. Aber zu ihnen gesellen sich allmählich mehr und mehr vrthocephale
Schädel, und, wie es scheint, kommt zu dieser dvlychoeephaleu Nasse eine
brachycephale, die sich mit ihr vermischt, häusiger aber noch sie verdrängt. Die
letztere führte, während jene nnr Geräthe ans Stein und Knochen kannte,
Gefäße und Werkzeuge aus Bronze mit sich und bestattete ihre Todten in
runden Hügeln. Die Mischung beider Raffen, der Lang- und der Kurz¬
köpfe, ist besonders in Frankreich stark bemerklich , so daß man oft in einer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/20>, abgerufen am 28.09.2024.