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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Volckamer, Mitglied des OolleZiuni aculeum daselbst, und Joh. von Muralt,
cnirui^iÄe et in<zcliemg,ö clociwr in Zürich.

Die meisten deutschen Wundärzte schrieben in ihrer Muttersprache; Fabri-
cius jedoch gab seine Werke, mit Ausnahme des Buches vom Blasenstein und
vom Brande, lateinisch heraus. Lateinisch zu schreiben galt für vornehmer,
und war dabei auch nur der eine Uebelstand, daß die wenigsten Wundärzte
solche Werke verstanden. Mochten alle Bessern die Kenntniß der lateinischen
Sprache für noch so nothwendig halten, die große Masse hatte weder Lust
noch Gelegenheit, sie zu erlernen. Die natürliche Folge war, daß alle in
fremder Sprache geschriebenen Werke in das Deutsche übertragen werden
mußten, um sie den Wundärzten zugänglich zu machen. Gelehrte Medici hielten
es für unter ihrer Würde, deutsch zu schreiben, eine Manie, welche übrigens
der Chirurgie keinen großen Abbruch that.

Als Raymund Minderer seine NväieiuÄ militsiris, ein etwa im Bock'schen
Sinne populär wissenschaftlich gehaltenes Buch, in deutscher Sprache schrieb,
erachtete er es für nothwendig, sich deshalb in der Vorrede zu entschuldigen.
Dieses Verfahren erregte aber das Mißfallen des spätern Herausgebers und
Vermehrers des beliebten Werkes, Cardilueius, der es für seine Pflicht hielt,
es Minderer nicht ungeahndet hingehen zu lassen, "daß er das teutsche Schreiben
verächtlich hält und vermeinet, es sei ihm weit rühmlicher, daß er vorher
lateinisch geschrieben." Cardilueius benutzt nun diese Gelegenheit, sich über
solche, die da meinen, gut deutsch sei geringer als lateinisch, in einer Weise
auszusprechen, die an Klarheit nichts zu wünschen übrig läßt, und die gleich¬
zeitig kulturhistorisch merkwürdig ist. Viele -- so heißt es -- sind in ihrer
Muttersprache so ungelehrte Büffel, daß sie fast keine Zeile ohne Fehler
schreiben können, und , hergegen, wenn sie lateinisch schreiben, wohl in vier
Bogen nicht ein vitium gemerket wird. Was mangelt unserer deutschen Sprache
und welche andere sollte was Besseres aufweisen, das nicht so gut in unserer
Sprache möchte geschrieben sein! Darum ihr begabte Landsmänuer, lasset
Euch dnrch solche ungeschliffene Schulfüchse nicht irre machen, Euer Talent in
die deutsche Wechselbank aufzuthun, nämlich deutsch zu schreiben! Und wem
unter andern Nationen daran gelegen ist, der mag deutsch lernen! er hat eben
die Ursache, die der Deutsche haben sollte, andere Sprachen zu lernen.


Woltzendorff.


Volckamer, Mitglied des OolleZiuni aculeum daselbst, und Joh. von Muralt,
cnirui^iÄe et in<zcliemg,ö clociwr in Zürich.

Die meisten deutschen Wundärzte schrieben in ihrer Muttersprache; Fabri-
cius jedoch gab seine Werke, mit Ausnahme des Buches vom Blasenstein und
vom Brande, lateinisch heraus. Lateinisch zu schreiben galt für vornehmer,
und war dabei auch nur der eine Uebelstand, daß die wenigsten Wundärzte
solche Werke verstanden. Mochten alle Bessern die Kenntniß der lateinischen
Sprache für noch so nothwendig halten, die große Masse hatte weder Lust
noch Gelegenheit, sie zu erlernen. Die natürliche Folge war, daß alle in
fremder Sprache geschriebenen Werke in das Deutsche übertragen werden
mußten, um sie den Wundärzten zugänglich zu machen. Gelehrte Medici hielten
es für unter ihrer Würde, deutsch zu schreiben, eine Manie, welche übrigens
der Chirurgie keinen großen Abbruch that.

Als Raymund Minderer seine NväieiuÄ militsiris, ein etwa im Bock'schen
Sinne populär wissenschaftlich gehaltenes Buch, in deutscher Sprache schrieb,
erachtete er es für nothwendig, sich deshalb in der Vorrede zu entschuldigen.
Dieses Verfahren erregte aber das Mißfallen des spätern Herausgebers und
Vermehrers des beliebten Werkes, Cardilueius, der es für seine Pflicht hielt,
es Minderer nicht ungeahndet hingehen zu lassen, „daß er das teutsche Schreiben
verächtlich hält und vermeinet, es sei ihm weit rühmlicher, daß er vorher
lateinisch geschrieben." Cardilueius benutzt nun diese Gelegenheit, sich über
solche, die da meinen, gut deutsch sei geringer als lateinisch, in einer Weise
auszusprechen, die an Klarheit nichts zu wünschen übrig läßt, und die gleich¬
zeitig kulturhistorisch merkwürdig ist. Viele — so heißt es — sind in ihrer
Muttersprache so ungelehrte Büffel, daß sie fast keine Zeile ohne Fehler
schreiben können, und , hergegen, wenn sie lateinisch schreiben, wohl in vier
Bogen nicht ein vitium gemerket wird. Was mangelt unserer deutschen Sprache
und welche andere sollte was Besseres aufweisen, das nicht so gut in unserer
Sprache möchte geschrieben sein! Darum ihr begabte Landsmänuer, lasset
Euch dnrch solche ungeschliffene Schulfüchse nicht irre machen, Euer Talent in
die deutsche Wechselbank aufzuthun, nämlich deutsch zu schreiben! Und wem
unter andern Nationen daran gelegen ist, der mag deutsch lernen! er hat eben
die Ursache, die der Deutsche haben sollte, andere Sprachen zu lernen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/180>, abgerufen am 28.09.2024.