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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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daß unsre bisherigen Beobachtungen nicht hinreichen, in allen Fällen genau die
Grenze zwischen ähnlichen Arten zu bestimmen. Der Schluß, daß es deßhalb
überhaupt falsch sei, scharf unterschiedene Arten anzunehmen, ist ebenso berech¬
tigt wie der, weil in der Dämmerung der Eine ferne Gegenstände für Bäume
erklärt, der Andere Menschen in ihnen zu erkennen meint, so gebe es keinen
scharfen Unterschied zwischen Bäumen und Meuschen. Noch weniger erlaubt
aber ist der Schluß, dieser Mangel um scharfen Grenzen beweise, eine Art sei
aus der andern hervorgegangen; denn wir haben genau dieselbe Unsicherheit
in der Abgrenzung vieler Mineralienarten gegen einander, finden genau die¬
selbe Verschiedenheit der Ansichten verschiedener Mineralogen darüber, was zu
einer Art zu vereinigen sei, aber gewiß würde man an dem gesunden Menschen¬
verstande dessen zweifeln, der daraus schließen wollte, eine Mineralienart sei
aus der andern entstanden. Schon der Umstand, daß jene Unsicherheit nur
bei einer verhältnißmäßig geringen Anzahl von Arten obwaltet, während nach
Darwin "die Natur täglich und stündlich mit der Veränderung jeder Art be¬
schäftigt ist," zeigt, daß wir es hier nur mit Eigenthümlichkeiten einzelner
Arten, nicht mit einem Gesetze zu thun haben, welches die gesammte Arten¬
bildung beherrscht.

Das führt den Verfasser zu näherer Betrachtung der scheinbar mit der
Beständigkeit der Arten unverträglichen Veränderlichkeit derselben. Die Er¬
fahrung lehrt, daß Nachkommen eines und desselben Paares nicht durchaus
mit ihren Eltern übereinstimmen, sondern bald in diesem, bald in jenem
Merkmal von ihm abweichen, und daß diese individuellen Verschiedenheiten
häufig sich vererben. Darwin behauptet, diese Abweichungen summirten sich
allmählich, steigerten sich immer mehr, da die Veränderlichkeit der Arten unbe¬
grenzt sei, und würden so Ursache, daß aus einer Art neue Arten, ja ganz
neue Gattungen, Ordnungen und Klassen entständen. Fragen wir dem gegen¬
über , ob die Veränderlichkeit der Arten wirklich unbegrenzt oder in gewisse
Schranken eingeschlossen ist, so ist zunächst zu konstatiren, daß wir im Ganzen
für unsere Antwort nur ein spärliches Material zur Verfügung haben, d. h.
genau genommen nur die bis jetzt planmäßig gehegten Thiere und Pflanzen,
deren Veränderlichkeit benutzt wird, um zufällig an einzelnen Individuen ent¬
standene, dem Menschen vortheilhafte Umwandelungen, z. B. der Größe, der
Farbe, der Wolle bei Thieren, der Blumen und Früchte bei Pflanzen dauernd
zu erhalten. Wo letzteres der Fall ist, spricht man von einer Rasse. Fragen
wir nun die Thierzüchter und Gärtner, welche auf solche Rassenbildung und
Steigerung zufällig an einzelnen Individuen auftretender Eigenschaften aus¬
gehen, ob die Veränderung unbegrenzt sei, so erfahren wir mit Bestimmtheit,
daß dies nicht der Fall, ja daß es schon große Mühe koste, die erreichte


Grenzboten III. 1877. 2

daß unsre bisherigen Beobachtungen nicht hinreichen, in allen Fällen genau die
Grenze zwischen ähnlichen Arten zu bestimmen. Der Schluß, daß es deßhalb
überhaupt falsch sei, scharf unterschiedene Arten anzunehmen, ist ebenso berech¬
tigt wie der, weil in der Dämmerung der Eine ferne Gegenstände für Bäume
erklärt, der Andere Menschen in ihnen zu erkennen meint, so gebe es keinen
scharfen Unterschied zwischen Bäumen und Meuschen. Noch weniger erlaubt
aber ist der Schluß, dieser Mangel um scharfen Grenzen beweise, eine Art sei
aus der andern hervorgegangen; denn wir haben genau dieselbe Unsicherheit
in der Abgrenzung vieler Mineralienarten gegen einander, finden genau die¬
selbe Verschiedenheit der Ansichten verschiedener Mineralogen darüber, was zu
einer Art zu vereinigen sei, aber gewiß würde man an dem gesunden Menschen¬
verstande dessen zweifeln, der daraus schließen wollte, eine Mineralienart sei
aus der andern entstanden. Schon der Umstand, daß jene Unsicherheit nur
bei einer verhältnißmäßig geringen Anzahl von Arten obwaltet, während nach
Darwin „die Natur täglich und stündlich mit der Veränderung jeder Art be¬
schäftigt ist," zeigt, daß wir es hier nur mit Eigenthümlichkeiten einzelner
Arten, nicht mit einem Gesetze zu thun haben, welches die gesammte Arten¬
bildung beherrscht.

Das führt den Verfasser zu näherer Betrachtung der scheinbar mit der
Beständigkeit der Arten unverträglichen Veränderlichkeit derselben. Die Er¬
fahrung lehrt, daß Nachkommen eines und desselben Paares nicht durchaus
mit ihren Eltern übereinstimmen, sondern bald in diesem, bald in jenem
Merkmal von ihm abweichen, und daß diese individuellen Verschiedenheiten
häufig sich vererben. Darwin behauptet, diese Abweichungen summirten sich
allmählich, steigerten sich immer mehr, da die Veränderlichkeit der Arten unbe¬
grenzt sei, und würden so Ursache, daß aus einer Art neue Arten, ja ganz
neue Gattungen, Ordnungen und Klassen entständen. Fragen wir dem gegen¬
über , ob die Veränderlichkeit der Arten wirklich unbegrenzt oder in gewisse
Schranken eingeschlossen ist, so ist zunächst zu konstatiren, daß wir im Ganzen
für unsere Antwort nur ein spärliches Material zur Verfügung haben, d. h.
genau genommen nur die bis jetzt planmäßig gehegten Thiere und Pflanzen,
deren Veränderlichkeit benutzt wird, um zufällig an einzelnen Individuen ent¬
standene, dem Menschen vortheilhafte Umwandelungen, z. B. der Größe, der
Farbe, der Wolle bei Thieren, der Blumen und Früchte bei Pflanzen dauernd
zu erhalten. Wo letzteres der Fall ist, spricht man von einer Rasse. Fragen
wir nun die Thierzüchter und Gärtner, welche auf solche Rassenbildung und
Steigerung zufällig an einzelnen Individuen auftretender Eigenschaften aus¬
gehen, ob die Veränderung unbegrenzt sei, so erfahren wir mit Bestimmtheit,
daß dies nicht der Fall, ja daß es schon große Mühe koste, die erreichte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/17>, abgerufen am 28.09.2024.