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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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den wir in den durch Beobachtung ermittelten Thatsachen besitzen, so zeigt sich
ihnen gegenüber eine Fülle von Thier- und Pflanzenformen, die -- soweit
unsre Erfahrung reicht -- ihre Eigenschaften und Merkmale unverändert durch
alle Generationen beibehalten haben, so daß die Verschiedenheiten, welche wir
unter den jetzt lebenden Individuen, die sich in allen ihren Eigenschaften am
Nächsten stehen, und die wir deßhalb zu einer Art zusammenfassen, nicht
größer sind, als zwischen den ältesten uns zu einem Vergleich zur Verfügung
stehenden Individuen derselben Art und einem Individuum der Gegenwart.
Diese Erfahrung erstreckt sich über sehr beträchtliche Zeiten; denn es liegen uns
wohlerhaltene Reste von Pflanzen und Thieren vor, die uns genau dieselbe
UnVeränderlichkeit der Arten von den Zeiten vor der Eisperiode bis auf die
unsrigen verbürgen. Unsere Waldbäume, andere Gewächse, Raubthiere, Rehe,
Rennthiere u. a. finden sich gerade so, wie sie jetzt leben, in den ältesten
Ablagerungen, die vor der Eiszeit sich bildeten. Ob die letzteren zwanzig
oder zweihundert Jahrtausende vor unsern Tagen entstanden sind, ist ziemlich
einerlei, jedenfalls geht aus ihnen hervor, daß von einer unaufhörlichen,
stetigen Veränderung der betreffenden Arten nicht die Rede sein kann.

Diesem die Darwinsche Theorie verurteilenden Schlüsse gegenüber hat
man sich auf die noch zu kurze Beobachtungszeit berufen und, um diesen Ein¬
wand plausibel zu machen, für die Dauer der Perioden oder Formationen
der Erdgeschichte Milliarden von Jahren, ja von Jahrtausenden erfunden,
ohne zu bedenken, daß der Theorie damit der allerschlechteste Dienst geleistet
wurde. Denn man erklärte damit, daß ohne solche unendliche Zeiträume die
Umwandlung der Arten im Sinne der Theorie nicht möglich sei, und da
solche Zeiträume wiederum nach dem, was wir bis jetzt durch Berechnung über
sie erfahren können, nicht angenommen werden dürfen, so widerspricht anch mit
dieser Behauptung die Theorie den geologischen Thatsachen.

Ebenso wendet man oft ein, es finde doch in der That eine solche Ver¬
änderung statt, und sie zeige sich deutlich in dem, was man Varietät oder,
wenn diese sich in vielen Individuen fortpflanzt, als Nasse bezeichne; diese
Raffen seien eben schon beginnende Arten und würden sich im Laufe der
Zeiten noch mehr entwickeln, bis ihre Verwandtschaft mit andern Varietäten
derselben Art nicht mehr zu erkennen sei. Die, welche sich mit der Feststellung
der Arten beschäftigen, könnten in vielen Fällen nicht mit Bestimmtheit sagen,
was zu einer Art zu vereinigen und was als eine besondere anzusehen sei.
Darum wichen die Angaben der verschiedenen Botaniker und Zoologen in
dieser Beziehung weit von einander ab, und das sei ein deutlicher Beweis
dasür, daß es eigentlich keine Arten gebe. Für jeden Unbefangnen geht aus
dieser Thatsache nur hervor, daß wir bis jetzt nicht im Stande sind, d. h.


den wir in den durch Beobachtung ermittelten Thatsachen besitzen, so zeigt sich
ihnen gegenüber eine Fülle von Thier- und Pflanzenformen, die — soweit
unsre Erfahrung reicht — ihre Eigenschaften und Merkmale unverändert durch
alle Generationen beibehalten haben, so daß die Verschiedenheiten, welche wir
unter den jetzt lebenden Individuen, die sich in allen ihren Eigenschaften am
Nächsten stehen, und die wir deßhalb zu einer Art zusammenfassen, nicht
größer sind, als zwischen den ältesten uns zu einem Vergleich zur Verfügung
stehenden Individuen derselben Art und einem Individuum der Gegenwart.
Diese Erfahrung erstreckt sich über sehr beträchtliche Zeiten; denn es liegen uns
wohlerhaltene Reste von Pflanzen und Thieren vor, die uns genau dieselbe
UnVeränderlichkeit der Arten von den Zeiten vor der Eisperiode bis auf die
unsrigen verbürgen. Unsere Waldbäume, andere Gewächse, Raubthiere, Rehe,
Rennthiere u. a. finden sich gerade so, wie sie jetzt leben, in den ältesten
Ablagerungen, die vor der Eiszeit sich bildeten. Ob die letzteren zwanzig
oder zweihundert Jahrtausende vor unsern Tagen entstanden sind, ist ziemlich
einerlei, jedenfalls geht aus ihnen hervor, daß von einer unaufhörlichen,
stetigen Veränderung der betreffenden Arten nicht die Rede sein kann.

Diesem die Darwinsche Theorie verurteilenden Schlüsse gegenüber hat
man sich auf die noch zu kurze Beobachtungszeit berufen und, um diesen Ein¬
wand plausibel zu machen, für die Dauer der Perioden oder Formationen
der Erdgeschichte Milliarden von Jahren, ja von Jahrtausenden erfunden,
ohne zu bedenken, daß der Theorie damit der allerschlechteste Dienst geleistet
wurde. Denn man erklärte damit, daß ohne solche unendliche Zeiträume die
Umwandlung der Arten im Sinne der Theorie nicht möglich sei, und da
solche Zeiträume wiederum nach dem, was wir bis jetzt durch Berechnung über
sie erfahren können, nicht angenommen werden dürfen, so widerspricht anch mit
dieser Behauptung die Theorie den geologischen Thatsachen.

Ebenso wendet man oft ein, es finde doch in der That eine solche Ver¬
änderung statt, und sie zeige sich deutlich in dem, was man Varietät oder,
wenn diese sich in vielen Individuen fortpflanzt, als Nasse bezeichne; diese
Raffen seien eben schon beginnende Arten und würden sich im Laufe der
Zeiten noch mehr entwickeln, bis ihre Verwandtschaft mit andern Varietäten
derselben Art nicht mehr zu erkennen sei. Die, welche sich mit der Feststellung
der Arten beschäftigen, könnten in vielen Fällen nicht mit Bestimmtheit sagen,
was zu einer Art zu vereinigen und was als eine besondere anzusehen sei.
Darum wichen die Angaben der verschiedenen Botaniker und Zoologen in
dieser Beziehung weit von einander ab, und das sei ein deutlicher Beweis
dasür, daß es eigentlich keine Arten gebe. Für jeden Unbefangnen geht aus
dieser Thatsache nur hervor, daß wir bis jetzt nicht im Stande sind, d. h.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/16>, abgerufen am 28.09.2024.