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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Wenn wir nun unter Dachs Gedichten eine so überwiegende Fülle von
Sterbeliedern finden, so dürfen wir nicht alle aus inneren Motiven ableiten,
obwohl Dachs Kränklichkeit ein ausreichender Erklärungsgrund sein könnte.
Wir haben hier den wundesten Punkt in seiner dichterischen Thätigkeit zu be¬
rühren. Simon Dach war ein armer Mann, der immer mit Nahrungssorgen
zu kämpfen hatte. Die Besoldung, die sein Beruf ihm gewährte, reichte nicht
aus, den Lebensunterhalt zu erwerben. So mußte ihm die Poesie helfen. Er
wurde ein sehr beliebter Gelegenheitsdichter, der Aufträge von weit her em¬
pfing. Ja noch mehr, daß er überhaupt deutsche, nicht lateinische Gedichte ver¬
faßte, ist ihm durch den Druck der pekuniären Verhältnisse abgerungen. So
bekennt er klagend:


"Und die Wahrheit recht zu sagen,
War dies einig schon mein Sinn,
Daß ich mich nicht mehr forthin
Wollte so mit Reimen plagen,
Sondern darauf einig geh'n,
Was du, edles Rom, geschrieben,
Und von dir uns hinten blieben,
Du verständiges Athen.
Aber seht, was will ich machen?

Noch deutlicher spricht er die Geringschätzung der deutschen Poesie aus,
wenn er seinen definitiven Entschluß, derselben treu zu bleiben, so motivirt:


Nunmehr kann ich doch nicht wenden
Meiner Satzung festen Schluß,
Bei den deutschen Reimen muß
Ich mein Leben nunmehr enden;
Mir sind Reim Jxions Pein,
Tantals Strom und Sisiphs Stein.
Dieses tröstet mich daneben,
Daß sie mir dennoch zur Noth
Bis ander mein Stückchen Brod
Still mit Gott und Ehren geben,
Sammt dem Zeugniß, daß dabei
Auch kein Schilling Unrecht sei.
Nachmals, daß sie mir gewahren,
Was ich meinen Freunden kann,
Seh' ich ihre Gutthat an,
Für die Liebe wiederkehren,
'Anzuzeigen meinen Sinn,
Daß ich feind dem Undank bin.

Sein Amt als Lehrer der Domschttle war nnn ein besonderer Anlaß, bei


Wenn wir nun unter Dachs Gedichten eine so überwiegende Fülle von
Sterbeliedern finden, so dürfen wir nicht alle aus inneren Motiven ableiten,
obwohl Dachs Kränklichkeit ein ausreichender Erklärungsgrund sein könnte.
Wir haben hier den wundesten Punkt in seiner dichterischen Thätigkeit zu be¬
rühren. Simon Dach war ein armer Mann, der immer mit Nahrungssorgen
zu kämpfen hatte. Die Besoldung, die sein Beruf ihm gewährte, reichte nicht
aus, den Lebensunterhalt zu erwerben. So mußte ihm die Poesie helfen. Er
wurde ein sehr beliebter Gelegenheitsdichter, der Aufträge von weit her em¬
pfing. Ja noch mehr, daß er überhaupt deutsche, nicht lateinische Gedichte ver¬
faßte, ist ihm durch den Druck der pekuniären Verhältnisse abgerungen. So
bekennt er klagend:


„Und die Wahrheit recht zu sagen,
War dies einig schon mein Sinn,
Daß ich mich nicht mehr forthin
Wollte so mit Reimen plagen,
Sondern darauf einig geh'n,
Was du, edles Rom, geschrieben,
Und von dir uns hinten blieben,
Du verständiges Athen.
Aber seht, was will ich machen?

Noch deutlicher spricht er die Geringschätzung der deutschen Poesie aus,
wenn er seinen definitiven Entschluß, derselben treu zu bleiben, so motivirt:


Nunmehr kann ich doch nicht wenden
Meiner Satzung festen Schluß,
Bei den deutschen Reimen muß
Ich mein Leben nunmehr enden;
Mir sind Reim Jxions Pein,
Tantals Strom und Sisiphs Stein.
Dieses tröstet mich daneben,
Daß sie mir dennoch zur Noth
Bis ander mein Stückchen Brod
Still mit Gott und Ehren geben,
Sammt dem Zeugniß, daß dabei
Auch kein Schilling Unrecht sei.
Nachmals, daß sie mir gewahren,
Was ich meinen Freunden kann,
Seh' ich ihre Gutthat an,
Für die Liebe wiederkehren,
'Anzuzeigen meinen Sinn,
Daß ich feind dem Undank bin.

Sein Amt als Lehrer der Domschttle war nnn ein besonderer Anlaß, bei


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[0146] Wenn wir nun unter Dachs Gedichten eine so überwiegende Fülle von Sterbeliedern finden, so dürfen wir nicht alle aus inneren Motiven ableiten, obwohl Dachs Kränklichkeit ein ausreichender Erklärungsgrund sein könnte. Wir haben hier den wundesten Punkt in seiner dichterischen Thätigkeit zu be¬ rühren. Simon Dach war ein armer Mann, der immer mit Nahrungssorgen zu kämpfen hatte. Die Besoldung, die sein Beruf ihm gewährte, reichte nicht aus, den Lebensunterhalt zu erwerben. So mußte ihm die Poesie helfen. Er wurde ein sehr beliebter Gelegenheitsdichter, der Aufträge von weit her em¬ pfing. Ja noch mehr, daß er überhaupt deutsche, nicht lateinische Gedichte ver¬ faßte, ist ihm durch den Druck der pekuniären Verhältnisse abgerungen. So bekennt er klagend: „Und die Wahrheit recht zu sagen, War dies einig schon mein Sinn, Daß ich mich nicht mehr forthin Wollte so mit Reimen plagen, Sondern darauf einig geh'n, Was du, edles Rom, geschrieben, Und von dir uns hinten blieben, Du verständiges Athen. Aber seht, was will ich machen? Noch deutlicher spricht er die Geringschätzung der deutschen Poesie aus, wenn er seinen definitiven Entschluß, derselben treu zu bleiben, so motivirt: Nunmehr kann ich doch nicht wenden Meiner Satzung festen Schluß, Bei den deutschen Reimen muß Ich mein Leben nunmehr enden; Mir sind Reim Jxions Pein, Tantals Strom und Sisiphs Stein. Dieses tröstet mich daneben, Daß sie mir dennoch zur Noth Bis ander mein Stückchen Brod Still mit Gott und Ehren geben, Sammt dem Zeugniß, daß dabei Auch kein Schilling Unrecht sei. Nachmals, daß sie mir gewahren, Was ich meinen Freunden kann, Seh' ich ihre Gutthat an, Für die Liebe wiederkehren, 'Anzuzeigen meinen Sinn, Daß ich feind dem Undank bin. Sein Amt als Lehrer der Domschttle war nnn ein besonderer Anlaß, bei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/146>, abgerufen am 28.09.2024.