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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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18000 und 15000 Todesfälle registrirt, über das Maß der Wirklichkeit hinaus¬
gegangen sein. Vergegenwärtigen wir uns, daß außerdem 1649 eine Epidemie
in akademischen Kreisen, unter Professoren und Studenten, um sich griff, die
im akademischen Konvikt ausgebrochen war und zu mehreren medizinischen
Dissertationen über den morbus aeMewieus Anlaß gab, so werden wir leicht
zu der Ueberzeugung gelangen, daß die glückliche Situation, in der sich Königs¬
berg damals befand, eben nur auf der dunkeln Folie der Schrecken, die über
Deutschland sich gelagert hatten, als eine glückliche empfunden werden, als
Lichtbild sich abheben konnte. Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, waren
aber in der That die Verhältnisse Königsbergs sehr günstige, und wir können
es begreifen, daß Königsberg in der ersten Hälfte des 17ten Jahrhunderts wie
keine andere Stadt Deutschlands als eine Stätte angesehen wurde, an welcher
unter dem Schatten des Friedens Kunst und Wissenschaft sich ungestört ent¬
wickelten, daß in Folge dessen in großen Schaaren die deutsche Jugend nach
der Albertina zog, und diese 3000 akademische Bürger zählen durfte. Wohl¬
feilheit der Lebensmittel und viele auch Fremden zugängliche Benefizien mußten
die Anziehungskraft der Universität steigern.

Unter der Gunst dieser Verhältnisse gewann auch die äußere Gestalt
Königsbergs. Bis dahin nur mangelhaft befestigt, wurde es 1626 mit einem
Wall umgeben; 1657 wurde die Festung Friedrichsburg angelegt*) zur
Sicherung der durch den Frieden von Wehlau erlangten vollen Souverä¬
nität des Churfürsten über Ostpreußen, welcher die Königsberger, vom Schöppen-
meister Hieronymus Rhode geleitet, die Anerkennung verweigerten. Auch der
Bau mehrerer Kirchen fällt in die erste Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts.

Der Grundstein zur deutschen reformirten Kirche wurde erst am Schluß
des Jahrhunderts gelegt, aber in der ersten Hülste desselben wurden die Be¬
dingungen geschaffen, welche die Errichtung eines eignen gottesdienstlichen
Gebäudes für die Reformirten ermöglichten. Schritt für Schritt sehen wir sie
in Preußen Platz greifen, geschützt vom Hause Hohenzollern, gehindert vom
König von Polen, den Landständen und der Geistlichkeit Preußens. Nur den
Lutheranern und Katholiken war der Erwerb von Grundbesitz, die Bekleidung
eines öffentlichen Amtes, die Ausübung des Gottesdienstes gestattet. Den
Reformirten waren diese Rechte versagt. Nur das Zugeständniß war gemacht
worden, daß, wenn der Churfürst in den Mauern Königsbergs weile, in einem
Saal des Schlosses Gottesdienst nach reformirten Brauch gehalten werden dürfe.
Dies geschah am 20ten Oktober 1616; ein starkes Gewitter beim Beginn der
Predigt bezeugte den Zorn Gottes über die Zulassung der Ketzer. Am 26ten



") Im Westen der Stadt.

18000 und 15000 Todesfälle registrirt, über das Maß der Wirklichkeit hinaus¬
gegangen sein. Vergegenwärtigen wir uns, daß außerdem 1649 eine Epidemie
in akademischen Kreisen, unter Professoren und Studenten, um sich griff, die
im akademischen Konvikt ausgebrochen war und zu mehreren medizinischen
Dissertationen über den morbus aeMewieus Anlaß gab, so werden wir leicht
zu der Ueberzeugung gelangen, daß die glückliche Situation, in der sich Königs¬
berg damals befand, eben nur auf der dunkeln Folie der Schrecken, die über
Deutschland sich gelagert hatten, als eine glückliche empfunden werden, als
Lichtbild sich abheben konnte. Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, waren
aber in der That die Verhältnisse Königsbergs sehr günstige, und wir können
es begreifen, daß Königsberg in der ersten Hälfte des 17ten Jahrhunderts wie
keine andere Stadt Deutschlands als eine Stätte angesehen wurde, an welcher
unter dem Schatten des Friedens Kunst und Wissenschaft sich ungestört ent¬
wickelten, daß in Folge dessen in großen Schaaren die deutsche Jugend nach
der Albertina zog, und diese 3000 akademische Bürger zählen durfte. Wohl¬
feilheit der Lebensmittel und viele auch Fremden zugängliche Benefizien mußten
die Anziehungskraft der Universität steigern.

Unter der Gunst dieser Verhältnisse gewann auch die äußere Gestalt
Königsbergs. Bis dahin nur mangelhaft befestigt, wurde es 1626 mit einem
Wall umgeben; 1657 wurde die Festung Friedrichsburg angelegt*) zur
Sicherung der durch den Frieden von Wehlau erlangten vollen Souverä¬
nität des Churfürsten über Ostpreußen, welcher die Königsberger, vom Schöppen-
meister Hieronymus Rhode geleitet, die Anerkennung verweigerten. Auch der
Bau mehrerer Kirchen fällt in die erste Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts.

Der Grundstein zur deutschen reformirten Kirche wurde erst am Schluß
des Jahrhunderts gelegt, aber in der ersten Hülste desselben wurden die Be¬
dingungen geschaffen, welche die Errichtung eines eignen gottesdienstlichen
Gebäudes für die Reformirten ermöglichten. Schritt für Schritt sehen wir sie
in Preußen Platz greifen, geschützt vom Hause Hohenzollern, gehindert vom
König von Polen, den Landständen und der Geistlichkeit Preußens. Nur den
Lutheranern und Katholiken war der Erwerb von Grundbesitz, die Bekleidung
eines öffentlichen Amtes, die Ausübung des Gottesdienstes gestattet. Den
Reformirten waren diese Rechte versagt. Nur das Zugeständniß war gemacht
worden, daß, wenn der Churfürst in den Mauern Königsbergs weile, in einem
Saal des Schlosses Gottesdienst nach reformirten Brauch gehalten werden dürfe.
Dies geschah am 20ten Oktober 1616; ein starkes Gewitter beim Beginn der
Predigt bezeugte den Zorn Gottes über die Zulassung der Ketzer. Am 26ten



") Im Westen der Stadt.
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[0130] 18000 und 15000 Todesfälle registrirt, über das Maß der Wirklichkeit hinaus¬ gegangen sein. Vergegenwärtigen wir uns, daß außerdem 1649 eine Epidemie in akademischen Kreisen, unter Professoren und Studenten, um sich griff, die im akademischen Konvikt ausgebrochen war und zu mehreren medizinischen Dissertationen über den morbus aeMewieus Anlaß gab, so werden wir leicht zu der Ueberzeugung gelangen, daß die glückliche Situation, in der sich Königs¬ berg damals befand, eben nur auf der dunkeln Folie der Schrecken, die über Deutschland sich gelagert hatten, als eine glückliche empfunden werden, als Lichtbild sich abheben konnte. Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, waren aber in der That die Verhältnisse Königsbergs sehr günstige, und wir können es begreifen, daß Königsberg in der ersten Hälfte des 17ten Jahrhunderts wie keine andere Stadt Deutschlands als eine Stätte angesehen wurde, an welcher unter dem Schatten des Friedens Kunst und Wissenschaft sich ungestört ent¬ wickelten, daß in Folge dessen in großen Schaaren die deutsche Jugend nach der Albertina zog, und diese 3000 akademische Bürger zählen durfte. Wohl¬ feilheit der Lebensmittel und viele auch Fremden zugängliche Benefizien mußten die Anziehungskraft der Universität steigern. Unter der Gunst dieser Verhältnisse gewann auch die äußere Gestalt Königsbergs. Bis dahin nur mangelhaft befestigt, wurde es 1626 mit einem Wall umgeben; 1657 wurde die Festung Friedrichsburg angelegt*) zur Sicherung der durch den Frieden von Wehlau erlangten vollen Souverä¬ nität des Churfürsten über Ostpreußen, welcher die Königsberger, vom Schöppen- meister Hieronymus Rhode geleitet, die Anerkennung verweigerten. Auch der Bau mehrerer Kirchen fällt in die erste Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts. Der Grundstein zur deutschen reformirten Kirche wurde erst am Schluß des Jahrhunderts gelegt, aber in der ersten Hülste desselben wurden die Be¬ dingungen geschaffen, welche die Errichtung eines eignen gottesdienstlichen Gebäudes für die Reformirten ermöglichten. Schritt für Schritt sehen wir sie in Preußen Platz greifen, geschützt vom Hause Hohenzollern, gehindert vom König von Polen, den Landständen und der Geistlichkeit Preußens. Nur den Lutheranern und Katholiken war der Erwerb von Grundbesitz, die Bekleidung eines öffentlichen Amtes, die Ausübung des Gottesdienstes gestattet. Den Reformirten waren diese Rechte versagt. Nur das Zugeständniß war gemacht worden, daß, wenn der Churfürst in den Mauern Königsbergs weile, in einem Saal des Schlosses Gottesdienst nach reformirten Brauch gehalten werden dürfe. Dies geschah am 20ten Oktober 1616; ein starkes Gewitter beim Beginn der Predigt bezeugte den Zorn Gottes über die Zulassung der Ketzer. Am 26ten ") Im Westen der Stadt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/130>, abgerufen am 28.09.2024.