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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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für meinen Theil sehr gern glauben will -- gesagt und geglaubt, namentlich
unter den preußischen Truppen geglaubt wurde, möglicher Weise geschehen, dies
und nichts Anderes ist in zweifelndem Tone und als etwas Nebensächliches von mir
ausgesprochen worden, und ich kann diesen zweifelnden Ton in solchen Fällen
Herrn Kanngießer und Seinesgleichen nicht dringend genug zur Nachahmung
empfehlen. Er seinerseits erzählt S. 312 ganz gemüthlich, "die.guten Kölner
-- nicht etwa einzelne Niederträchtige, dergleichen es überall gibt -- "die guten
Kölner würden anch ohne die dazwischen getretenen Hindernisse um ihr schönes
Projekt eines Vergnügungszugs nach dem gezüchtigten Frank¬
furt gekommen sein" -- gleich als wenn dies Projekt der "guten Kölner"
eine notorische Thatsache wäre. Ich habe während jener Zeit in Köln gelebt:
mir ist von einem solchen Projekte nicht das Mindeste bekannt geworden, ob
irgend ein Wirthshausgespräch in dieser Richtung geführt worden ist "mag
dahingestellt bleiben".

Rücksichtlich eines dritten Punktes, der wahrscheinlich das Lager des Herrn
Kanngießer am meisten geärgert hat, weil er eine nicht wegzuleugnende und uicht
wegzuschimpfende Thatsache anführt -- die Thatsache grimmigen Preußenhasses
nämlich und die Art wie er in Frankfurt jahrelang geäußert worden: rücksichtlich
dieses Punktes spare ich mir die Antwort. Denn daß sie wahr ist, das weiß
Herr Kanngießer so gut wie ich und irgend ein anderer, der bis zum verhäug-
nißvollen Frühling 1866 Frankfurt besucht und die Sperlinge auf den Dächern
zwitschern gehört hat: ja sein eigenes Buch ist einzig und allein auf dem Boden
dieses widerlichen Hasses gewachsen.

Dieser Haß, denken wir, ist im Aussterben begriffen, und es wird auch
diesem Buche nicht gelingen ihn wieder zu einer dauernden Flamme anzufachen.
Auch wir hoffen, daß Niemand seinem Verfasser den Gefallen thun wird, nach
seinem Vorgang um auch die Materialien zu einer Geschichte der Roheiten und
Bosheiten zu sammeln, welche die Brutalitäten, die er registrirt, zwar nicht
rechtfertigen, aber erklären: mögen die Todten ihre Todten begraben. Wir
respektiren jeden gesunden Lokalpatrioiismus, er ist die nothwendige Ergänzung zum
Nationalpatriotismus. Dieses Buch aber ist keinem gesunden Lokalpatriotismus
entsprungen. Es ist jener Psendopatriotismus der Territorialsouveränetät, den
wir in seinen gemäßigten Aeußerungen mit dem Namen Particularismus bezeichnen,
welcher dieses Buch diktirt hat, das 1867 etwa noch am Platze gewesen wäre,
jetzt aber gänzlich überflüssig ist.

Diese Sorte von Patriotismus braucht nicht dieses oder jenes Buch über
die Geschichte von 1815--1871 erst geflissentlich und tendenziös in einem
schlechten Lichte zu zeigen, damit er in seinem wahren Lichte erscheine. Sein
letztes beschämendes vernichtendes Gericht hat derselbe im Jahre 1866


für meinen Theil sehr gern glauben will — gesagt und geglaubt, namentlich
unter den preußischen Truppen geglaubt wurde, möglicher Weise geschehen, dies
und nichts Anderes ist in zweifelndem Tone und als etwas Nebensächliches von mir
ausgesprochen worden, und ich kann diesen zweifelnden Ton in solchen Fällen
Herrn Kanngießer und Seinesgleichen nicht dringend genug zur Nachahmung
empfehlen. Er seinerseits erzählt S. 312 ganz gemüthlich, „die.guten Kölner
— nicht etwa einzelne Niederträchtige, dergleichen es überall gibt — „die guten
Kölner würden anch ohne die dazwischen getretenen Hindernisse um ihr schönes
Projekt eines Vergnügungszugs nach dem gezüchtigten Frank¬
furt gekommen sein" — gleich als wenn dies Projekt der „guten Kölner"
eine notorische Thatsache wäre. Ich habe während jener Zeit in Köln gelebt:
mir ist von einem solchen Projekte nicht das Mindeste bekannt geworden, ob
irgend ein Wirthshausgespräch in dieser Richtung geführt worden ist „mag
dahingestellt bleiben".

Rücksichtlich eines dritten Punktes, der wahrscheinlich das Lager des Herrn
Kanngießer am meisten geärgert hat, weil er eine nicht wegzuleugnende und uicht
wegzuschimpfende Thatsache anführt — die Thatsache grimmigen Preußenhasses
nämlich und die Art wie er in Frankfurt jahrelang geäußert worden: rücksichtlich
dieses Punktes spare ich mir die Antwort. Denn daß sie wahr ist, das weiß
Herr Kanngießer so gut wie ich und irgend ein anderer, der bis zum verhäug-
nißvollen Frühling 1866 Frankfurt besucht und die Sperlinge auf den Dächern
zwitschern gehört hat: ja sein eigenes Buch ist einzig und allein auf dem Boden
dieses widerlichen Hasses gewachsen.

Dieser Haß, denken wir, ist im Aussterben begriffen, und es wird auch
diesem Buche nicht gelingen ihn wieder zu einer dauernden Flamme anzufachen.
Auch wir hoffen, daß Niemand seinem Verfasser den Gefallen thun wird, nach
seinem Vorgang um auch die Materialien zu einer Geschichte der Roheiten und
Bosheiten zu sammeln, welche die Brutalitäten, die er registrirt, zwar nicht
rechtfertigen, aber erklären: mögen die Todten ihre Todten begraben. Wir
respektiren jeden gesunden Lokalpatrioiismus, er ist die nothwendige Ergänzung zum
Nationalpatriotismus. Dieses Buch aber ist keinem gesunden Lokalpatriotismus
entsprungen. Es ist jener Psendopatriotismus der Territorialsouveränetät, den
wir in seinen gemäßigten Aeußerungen mit dem Namen Particularismus bezeichnen,
welcher dieses Buch diktirt hat, das 1867 etwa noch am Platze gewesen wäre,
jetzt aber gänzlich überflüssig ist.

Diese Sorte von Patriotismus braucht nicht dieses oder jenes Buch über
die Geschichte von 1815—1871 erst geflissentlich und tendenziös in einem
schlechten Lichte zu zeigen, damit er in seinem wahren Lichte erscheine. Sein
letztes beschämendes vernichtendes Gericht hat derselbe im Jahre 1866


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/122>, abgerufen am 28.09.2024.