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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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ausgebrochene Pest kamen Wäsche und Pelze für 2000 Mann erst im Dezember
aus Ahiolv (an der Bucht von Burgas) in Adrianopel an. Die Kranken erstarrten
schon bei 4 Grad Wärme. In: Lager wurde das niedrige Erdreich durch fort¬
währenden Regen zu einem Morast aufgeweicht, in welchen man bis an die Knie
einsank, und die Heu- und Schilfunterlage in den Zelten schützte nur wenig gegen die
Nässe des Bodens. Die Entbehrung der warmen Schlafstellen und der Badestuben
der Heimath (bekanntlich badet der gemeine Russe viel warm, auch schläft er gern
an oder auf dem Ofen) war unsern Soldaten das Empfindlichste, was sie hier
noch treffen konnte. Tag und Nacht behielten sie die Stiefeln an, weil sie
heftige Schmerzen in den Zehen und Knöcheln empfanden. Wie erstaunten
wir, als wir am 16. Oktober nach Entblößung ihrer Füße Brand, vollkommenen
Brand der Zehen vor uns sahen und zwar nicht etwa bei dem Einen oder
dem Andern, sondern bei zwanzig, dreißig täglich. Auch unter den Kranken
des Hospitals stellte sich dieser Brand ein."

Inzwischen war im Norden des Balkan die Pest ausgebrochen. Davon
erschreckt hatte v. Seydlitz schon seit dem September Kranke, welche nach
Fiebern Parotiden-Geschwülste oder überhaupt Beulen oder Geschwüre bekommen
hatten, in ein besonderes mit einer Wache versehenes Zimmer gelegt und ihre
Behandlung einem von seinen Kollegen anvertraut. Derselbe fand nichts
Pestartiges zu melden. Ebenso wenig Spuren der furchtbaren Seuche vermochte
ein anderer Arzt zu entdecken, der um die Mitte des Oktober fünf Tage im
Hospitale wohnte, und der im Jahre vorher walachische Pestlazarethe dirigirt
hatte. Aber schon hatte die Krankheit in Altos, Ahivlo, Missivria und Burgas
ihren Einzug gehalten, und es war keine Aussicht vorhanden, das Spital in
Adrianopel fernerhin vor ihr zu schützen. Da die Unordnung im ökonomischen
Theile der Verwaltung desselben überdies einen unerträglichen Grad erreicht
hatte, und unser Doctor sich vor Erschöpfung kaum noch aufrecht erhielt, so
bat er um Enthebung von der Stelle als Oberarzt, und der Marschall Die-
bitsch gab ihn dem nach Konstantinopel gehenden außerordentlichen Gesandten
als Begleiter mit. Der Friede mit der Türkei kam endlich zu Stande, und
die Armee sollte ihre Winterquartiere in und bei Burgas beziehen. Aber der
Transport der Kranken war bei den aufgeweichten und zerfahrenen Wegen
eine Unmöglichkeit. 4700 Kranke mit 400 Wärtern blieben uuter Bedeckung
eines Jägerbataillons in den verpesteten Kasernen zurück, um erst im Frühjahr
nach Burgas abzuziehen, wenn sie gesund geworden. Das war aber verhält¬
nißmäßig wenigen von ihnen beschieden. Im Dezember wurden etwa drei¬
hundert als genesen zu ihren Regimentern geschickt, und am 6. Mui des
folgenden Jahres langten andere 400 Gesunde mit 170 Kranken in Burgas an.
870 Gerettete von 4700 Erkrankten, die Uebrigen hatte man begraben! So


ausgebrochene Pest kamen Wäsche und Pelze für 2000 Mann erst im Dezember
aus Ahiolv (an der Bucht von Burgas) in Adrianopel an. Die Kranken erstarrten
schon bei 4 Grad Wärme. In: Lager wurde das niedrige Erdreich durch fort¬
währenden Regen zu einem Morast aufgeweicht, in welchen man bis an die Knie
einsank, und die Heu- und Schilfunterlage in den Zelten schützte nur wenig gegen die
Nässe des Bodens. Die Entbehrung der warmen Schlafstellen und der Badestuben
der Heimath (bekanntlich badet der gemeine Russe viel warm, auch schläft er gern
an oder auf dem Ofen) war unsern Soldaten das Empfindlichste, was sie hier
noch treffen konnte. Tag und Nacht behielten sie die Stiefeln an, weil sie
heftige Schmerzen in den Zehen und Knöcheln empfanden. Wie erstaunten
wir, als wir am 16. Oktober nach Entblößung ihrer Füße Brand, vollkommenen
Brand der Zehen vor uns sahen und zwar nicht etwa bei dem Einen oder
dem Andern, sondern bei zwanzig, dreißig täglich. Auch unter den Kranken
des Hospitals stellte sich dieser Brand ein."

Inzwischen war im Norden des Balkan die Pest ausgebrochen. Davon
erschreckt hatte v. Seydlitz schon seit dem September Kranke, welche nach
Fiebern Parotiden-Geschwülste oder überhaupt Beulen oder Geschwüre bekommen
hatten, in ein besonderes mit einer Wache versehenes Zimmer gelegt und ihre
Behandlung einem von seinen Kollegen anvertraut. Derselbe fand nichts
Pestartiges zu melden. Ebenso wenig Spuren der furchtbaren Seuche vermochte
ein anderer Arzt zu entdecken, der um die Mitte des Oktober fünf Tage im
Hospitale wohnte, und der im Jahre vorher walachische Pestlazarethe dirigirt
hatte. Aber schon hatte die Krankheit in Altos, Ahivlo, Missivria und Burgas
ihren Einzug gehalten, und es war keine Aussicht vorhanden, das Spital in
Adrianopel fernerhin vor ihr zu schützen. Da die Unordnung im ökonomischen
Theile der Verwaltung desselben überdies einen unerträglichen Grad erreicht
hatte, und unser Doctor sich vor Erschöpfung kaum noch aufrecht erhielt, so
bat er um Enthebung von der Stelle als Oberarzt, und der Marschall Die-
bitsch gab ihn dem nach Konstantinopel gehenden außerordentlichen Gesandten
als Begleiter mit. Der Friede mit der Türkei kam endlich zu Stande, und
die Armee sollte ihre Winterquartiere in und bei Burgas beziehen. Aber der
Transport der Kranken war bei den aufgeweichten und zerfahrenen Wegen
eine Unmöglichkeit. 4700 Kranke mit 400 Wärtern blieben uuter Bedeckung
eines Jägerbataillons in den verpesteten Kasernen zurück, um erst im Frühjahr
nach Burgas abzuziehen, wenn sie gesund geworden. Das war aber verhält¬
nißmäßig wenigen von ihnen beschieden. Im Dezember wurden etwa drei¬
hundert als genesen zu ihren Regimentern geschickt, und am 6. Mui des
folgenden Jahres langten andere 400 Gesunde mit 170 Kranken in Burgas an.
870 Gerettete von 4700 Erkrankten, die Uebrigen hatte man begraben! So


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/117>, abgerufen am 28.09.2024.