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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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stand zu seiner ewigen Schande das Recht unter den Nationalhaf?, und sprach
die Raubmörder frei, da sie nur "Spione" -- darunter drei Kinder unter
zehn Jahren -- getödtet hätten. Dergleichen brave Männer schienen den
Kommunards eine ebenso erhebliche als achtbare Verstärkung, und sie siud in
einer Masse herbeigeströmt, welche den Beweis lieferte, in welchem Grade
die letzten Schlachten der deutschen Heere den moralischen Halt in den eilig
formirter französischen Volksheeren vernichtet hatten. -- Als nun am Abend
des 17. März die Regierung endlich zur That schreiten wollte, zeigten sich die
schlimmen Folgen des langen Zanderns in einer so fnrchtbbren Niederlage,
daß die Befürchtungen der Guten wie die Hoffnungen der Bösen gleichermaßen
übertroffen wurden. Die seit Monaten aufgesetzte Linieugarnison von
Paris versagte den Dienst, fraternisirte offen mit den heimlichen alten
Freunden, und wurde eidbrüchig. Die Generale Element und Thomas
wurden ermordet, weil sie versucht hatten, im Verlaufe der Belagerung den
Bestrebungen des Central - Conn6 entgegen zu wirken. Gleichzeitig entfloh
die ganze Armee der Friedensverwaltung aus Paris nach Versailles. Die guten
und ordnungsliebenden Elemente der Bevölkerung waren wehrlos der organi-
sirten Diebesbande Preis gegeben.

Es liegt außerhalb dieser Zeilen, eine Darstellung der oft und eingehend
beschriebenen Kämpfe der uun folgenden Tage zu geben, nnr einige weniger
bekannte Vorfälle wollen wir mittheilen, um den Geist zu zeigen, in welchem
die Kommunards den Kampf begannen. Sie werden vollkommen erkläre",
weshalb die Regierungstruppen selten Pardon gaben, und kurzen Prozeß mit
denjenigen Gefangenen machten, welche fechtend in ihre Hand fielen. Am 19.
März hatte sich eine Anzahl Nationalgardisten, vermuthlich begeisterte Anhänger
der "milden Maßregeln" zusammengefunden, um eine "Demonstration zu
Gunsten der Ordnung und des Rechts" zu machen. Man kann nicht genug
staunen über die Verblendung, mit welcher hier eine Anzahl ehrenwerther und
tapferer Männer nnter der Herrschaft der Phrase in den sicheren Tod rannte.
Unbewaffnet, mit einer dreifarbigen Fahne, durchzogen sie einige Straßen, mit dem
Rufe: Es lebe der Friede! Es lebe die Ordnung! Es lebe die Nationalversamm¬
lung!" Endlich geriethen sie auf dem Vendomeplatz vor eine starke Barrikade, deren
Besatzung von einem "General" Du Buisson kommandirt wurde. Ihre versöhnlichen
Rufe wurden ohne Weiteres mit einer Gewehrsalve aus nächster Nähe beant¬
wortet, und als einer dieser muthigen, aber sonderbaren Schwärmer sogar jetzt
noch die Macht der Rede an den feigen Bestien versuchen wollte, wurde ein
Schnellfeuer eröffnet, das noch einen Theil der wehrlosen Männer niederstreckte,
bis der Rest sich durch die Flucht rettete. Als ferner am 2. April am
Thor von Nenilly der erste große Entscheidungskampf begann, erlaubte leider


stand zu seiner ewigen Schande das Recht unter den Nationalhaf?, und sprach
die Raubmörder frei, da sie nur „Spione" — darunter drei Kinder unter
zehn Jahren — getödtet hätten. Dergleichen brave Männer schienen den
Kommunards eine ebenso erhebliche als achtbare Verstärkung, und sie siud in
einer Masse herbeigeströmt, welche den Beweis lieferte, in welchem Grade
die letzten Schlachten der deutschen Heere den moralischen Halt in den eilig
formirter französischen Volksheeren vernichtet hatten. — Als nun am Abend
des 17. März die Regierung endlich zur That schreiten wollte, zeigten sich die
schlimmen Folgen des langen Zanderns in einer so fnrchtbbren Niederlage,
daß die Befürchtungen der Guten wie die Hoffnungen der Bösen gleichermaßen
übertroffen wurden. Die seit Monaten aufgesetzte Linieugarnison von
Paris versagte den Dienst, fraternisirte offen mit den heimlichen alten
Freunden, und wurde eidbrüchig. Die Generale Element und Thomas
wurden ermordet, weil sie versucht hatten, im Verlaufe der Belagerung den
Bestrebungen des Central - Conn6 entgegen zu wirken. Gleichzeitig entfloh
die ganze Armee der Friedensverwaltung aus Paris nach Versailles. Die guten
und ordnungsliebenden Elemente der Bevölkerung waren wehrlos der organi-
sirten Diebesbande Preis gegeben.

Es liegt außerhalb dieser Zeilen, eine Darstellung der oft und eingehend
beschriebenen Kämpfe der uun folgenden Tage zu geben, nnr einige weniger
bekannte Vorfälle wollen wir mittheilen, um den Geist zu zeigen, in welchem
die Kommunards den Kampf begannen. Sie werden vollkommen erkläre»,
weshalb die Regierungstruppen selten Pardon gaben, und kurzen Prozeß mit
denjenigen Gefangenen machten, welche fechtend in ihre Hand fielen. Am 19.
März hatte sich eine Anzahl Nationalgardisten, vermuthlich begeisterte Anhänger
der „milden Maßregeln" zusammengefunden, um eine „Demonstration zu
Gunsten der Ordnung und des Rechts" zu machen. Man kann nicht genug
staunen über die Verblendung, mit welcher hier eine Anzahl ehrenwerther und
tapferer Männer nnter der Herrschaft der Phrase in den sicheren Tod rannte.
Unbewaffnet, mit einer dreifarbigen Fahne, durchzogen sie einige Straßen, mit dem
Rufe: Es lebe der Friede! Es lebe die Ordnung! Es lebe die Nationalversamm¬
lung!" Endlich geriethen sie auf dem Vendomeplatz vor eine starke Barrikade, deren
Besatzung von einem „General" Du Buisson kommandirt wurde. Ihre versöhnlichen
Rufe wurden ohne Weiteres mit einer Gewehrsalve aus nächster Nähe beant¬
wortet, und als einer dieser muthigen, aber sonderbaren Schwärmer sogar jetzt
noch die Macht der Rede an den feigen Bestien versuchen wollte, wurde ein
Schnellfeuer eröffnet, das noch einen Theil der wehrlosen Männer niederstreckte,
bis der Rest sich durch die Flucht rettete. Als ferner am 2. April am
Thor von Nenilly der erste große Entscheidungskampf begann, erlaubte leider


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/99>, abgerufen am 27.09.2024.