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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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besser die oben ausgesprochene Ansicht, daß nnr die gemeinsten Triebfedern
niederer Leidenschaft die Führer beseelten, als der Umstand, daß von keiner
Seite der verschiedenen Schattirungen der Kommune auch nur der Versuch
gemacht worden ist, von der versailler Regierung die Bewilligung jener Forderungen
zu erhalten, welche der Masse als die reinen und erhabenen Ziele zur Beglückung
und Befreiung des Volkes, hingestellt waren. Man wollte eben nur deu Kampf,
weil am Ende und im Verlauf desselben Diebsgelüst, Mordsucht und Wollust
ihre Befriedigung finden würden. Die Viertel von Belleville, Montmartre
waren in Festungen verwandelt worden, und mit Hülfe von Barrikaden und
Geschützen verwandelten einzelne, bis dahin häufig ganz obskure Menschen, die
nnr in den niederen Kneipen ihres Stadtviertels ein gewisses Ansehen genossen,
plötzlich eben diese Stadtviertel in einzelne geschlossene Festungen, innerhalb
deren sie im Namen des Centraleomite's eine Schreckensherrschaft über die
besitzenden Klassen ausübten, deren Details zu greulich sind, um näher beleuchtet
zu werden. Man denke sich die Kanaille, herrenlos, bewaffnet, weinberauscht!
-- Die versailler Negierung, der es noch nicht gelungen war, eine genügende
militärische Macht zu entfalten, heuchelte eine harmlose Unbefangenheit, die an
die äußerste Beschränktheit streifen würde, wenn sie eben nicht erheuchelt
gewesen wäre. Ein gemüthlicher Ministerial-Sekretär versuchte ängstliche Ge¬
müther damit zu beruhigen, die Kanonen seien ja ungefährlich, die Weisheit
der Verwaltung habe rechtzeitig die Schlagröhren aus den Schlössern entfernt.
Als man ihm bemerklich machte, daß ein paar hundert Schlofsergesellen diesem
Mangel binnen wenigen Stunden abhelfen könnten, antwortete der vertrauens¬
selige Bureaumensch: "Oh, daran denken sie gar nicht!" Nun! die von den
Granaten und Mitrcnlleusen zerrissenen Körper der regulären Soldaten bewiesen
später, daß die Aufständischen wohl daran gedacht hatten! --

Je weniger die Versailler thaten oder vielleicht thun konnten, desto thätiger
war das Central-Comite. Es zog aus den Provinzen jene zahlreichen
Marodeurs an sich, welche fahnenflüchtig die Armeen Gambettas verlassen
und halb plündernd, halb fechtend das platte Land in großer Anzahl durch¬
zogen hatten. Alle diese unsaubern Elemente wurden magnetisch von dem
unreinen Ding in Paris angezogen, den man die Kommune nannte. Zahllose
Schandthaten haben diese Elenden in den waldigen Gegenden Elsaß Lothringens
und Burgunds an den eigenen Landsleuten verübt. Die französische National¬
eitelkeit verschweigt sie und leugnet sie ab, und in den einzelnen Fällen, welche
später, meist auf Andrängen der deutschen Behörden, von den französischen
Gerichten abgeurtheilt werden mußten ^ wir erinnern an die Ermordung
und Beraubung einer ganzen elsaßer Judenfamilie, an den Mord der an dem
elsaßer Forstaufseher begangen wurde, -- da beugte der französische Richter-


besser die oben ausgesprochene Ansicht, daß nnr die gemeinsten Triebfedern
niederer Leidenschaft die Führer beseelten, als der Umstand, daß von keiner
Seite der verschiedenen Schattirungen der Kommune auch nur der Versuch
gemacht worden ist, von der versailler Regierung die Bewilligung jener Forderungen
zu erhalten, welche der Masse als die reinen und erhabenen Ziele zur Beglückung
und Befreiung des Volkes, hingestellt waren. Man wollte eben nur deu Kampf,
weil am Ende und im Verlauf desselben Diebsgelüst, Mordsucht und Wollust
ihre Befriedigung finden würden. Die Viertel von Belleville, Montmartre
waren in Festungen verwandelt worden, und mit Hülfe von Barrikaden und
Geschützen verwandelten einzelne, bis dahin häufig ganz obskure Menschen, die
nnr in den niederen Kneipen ihres Stadtviertels ein gewisses Ansehen genossen,
plötzlich eben diese Stadtviertel in einzelne geschlossene Festungen, innerhalb
deren sie im Namen des Centraleomite's eine Schreckensherrschaft über die
besitzenden Klassen ausübten, deren Details zu greulich sind, um näher beleuchtet
zu werden. Man denke sich die Kanaille, herrenlos, bewaffnet, weinberauscht!
— Die versailler Negierung, der es noch nicht gelungen war, eine genügende
militärische Macht zu entfalten, heuchelte eine harmlose Unbefangenheit, die an
die äußerste Beschränktheit streifen würde, wenn sie eben nicht erheuchelt
gewesen wäre. Ein gemüthlicher Ministerial-Sekretär versuchte ängstliche Ge¬
müther damit zu beruhigen, die Kanonen seien ja ungefährlich, die Weisheit
der Verwaltung habe rechtzeitig die Schlagröhren aus den Schlössern entfernt.
Als man ihm bemerklich machte, daß ein paar hundert Schlofsergesellen diesem
Mangel binnen wenigen Stunden abhelfen könnten, antwortete der vertrauens¬
selige Bureaumensch: „Oh, daran denken sie gar nicht!" Nun! die von den
Granaten und Mitrcnlleusen zerrissenen Körper der regulären Soldaten bewiesen
später, daß die Aufständischen wohl daran gedacht hatten! —

Je weniger die Versailler thaten oder vielleicht thun konnten, desto thätiger
war das Central-Comite. Es zog aus den Provinzen jene zahlreichen
Marodeurs an sich, welche fahnenflüchtig die Armeen Gambettas verlassen
und halb plündernd, halb fechtend das platte Land in großer Anzahl durch¬
zogen hatten. Alle diese unsaubern Elemente wurden magnetisch von dem
unreinen Ding in Paris angezogen, den man die Kommune nannte. Zahllose
Schandthaten haben diese Elenden in den waldigen Gegenden Elsaß Lothringens
und Burgunds an den eigenen Landsleuten verübt. Die französische National¬
eitelkeit verschweigt sie und leugnet sie ab, und in den einzelnen Fällen, welche
später, meist auf Andrängen der deutschen Behörden, von den französischen
Gerichten abgeurtheilt werden mußten ^ wir erinnern an die Ermordung
und Beraubung einer ganzen elsaßer Judenfamilie, an den Mord der an dem
elsaßer Forstaufseher begangen wurde, — da beugte der französische Richter-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/98>, abgerufen am 27.09.2024.