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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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ebenso oft den Sold zahlen. Alle waren scheinbar verheirathet, und hatten
fast immer mehr als ein Kind. Es gab Kommandeurs welche für 1500 Mann
Sold quittirten bei einer Effektivstärke von kaum 800 Mann. Es find Ver¬
mögen auf diese Weise erworben worden, und mehr als einer dieser Burschen
hat später vor Zeugen geäußert: "Ach das war doch noch eine schöne Zeit!"
Wer wirklich Noth gelitten, wer wahrhaft mit Heldenmuth den Entbehrungen
getrotzt, bis oft der Tod dem stillen Dulder die müden Augen schloß, das sind
ganz andere Leute gewesen: In den Kreisen der kleinen Bürger, bei den nie¬
deren Beamten, bei den mit Körpergebrechen Behafteten oder zu alten Arbeitern,
unter den alten entlassenen Invaliden und Dienstboten, unter den Lehrerinnen und
anderen ehrbaren Frauen und Mädchen ohne Beschäftigung, da sind die Helden
der Armuth und Entbehrung zu suchen. Wenn hier die kleinen Ersparnisse zu
Ende waren, da gab es keinen Sold, keine Bons für Rationen, da blieb nnr
die Wahl zwischen Schande und Tod!" Dies Zeugniß, ans dem die über¬
wältigende Macht der Wahrheit spricht, klingt anders, als die Tiraden verlogener
Zeitungsschreiber aus jener Zeit, in denen sie schmeichlerisch dem herrschenden
Pöbel mit plumper Hand Weihrauch streuten. -- Der amerikanische Gesandte
Burnside soll in Bezug auf jene Zeit geäußert haben: "Paris ist ein Narren¬
haus, von Affen bevölkert!" Damit scheint er treffend das Leben und Treiben
gewisser Kreise auf den Boulevards, den Plätzen der Stadt, ihren Gasthäusern
und Kcife's gezeichnet zu haben. Immerhin aber entzog sich ihm, dem Fremden,
das Leben und Dulden der besseren Elemente; ihr Schmerz um das Vater¬
land, ihr Kampf mit der Noth des Lebens barg sich im Inneren ihres Hauses.
Wie breit aber "die Narren und Affen" in jener Zeit sich machten, das schildert
mit bittern Worten ein Mann, der ebenfalls während der ganzen Belagerung
seine Pflicht mit der Flinte in der Hand gethan und bei Bonrget, Chcnnpigny
und Buzenval wacker mit gekämpft hat. Der jetzt, man kann wohl sagen, be¬
rühmte Schriftsteller Alphonse Daudet sagt: "Ist es nicht ein bitterer Schmerz,
wenn man sagen muß, daß .es Menschen gab, für welche die fünf Monate
eine Zeit ununterbrochener Feste und Amüsements bildeten! Vom Straßenfeger
°n, der mühelos seine 45 Sons täglich einstrich, bis zu dem Bürgerwehrmajor
Mit seinen 3 Streifen an der Mütze, dem Lenker der Schlachten in der Kneipe,
Waren sie alle dick und rund gegessen ans Staatskosten; waffenrasselnd und säbel¬
klirrend trampelten sie auf der Straße herum; den Kellner im Gasthaus riefen
sie nur noch mit ihrer Signalpfeife. Mit ihren Frauenzimmern vermehrten
sie die Wohnungen abwesender anständiger Leute. Diese ganze Bande, die
Hunde- und Katzendiebe, die Händler mit Pferdefleisch und nachgemachter
Butter, die Milchpächter, Federviehhändler und Trockenwohner, die ganze Ge¬
sellschaft lebte herrlich und in Freuden auf Kosten des geplünderten Vater-


Grenzboten III. 1877. 12

ebenso oft den Sold zahlen. Alle waren scheinbar verheirathet, und hatten
fast immer mehr als ein Kind. Es gab Kommandeurs welche für 1500 Mann
Sold quittirten bei einer Effektivstärke von kaum 800 Mann. Es find Ver¬
mögen auf diese Weise erworben worden, und mehr als einer dieser Burschen
hat später vor Zeugen geäußert: „Ach das war doch noch eine schöne Zeit!"
Wer wirklich Noth gelitten, wer wahrhaft mit Heldenmuth den Entbehrungen
getrotzt, bis oft der Tod dem stillen Dulder die müden Augen schloß, das sind
ganz andere Leute gewesen: In den Kreisen der kleinen Bürger, bei den nie¬
deren Beamten, bei den mit Körpergebrechen Behafteten oder zu alten Arbeitern,
unter den alten entlassenen Invaliden und Dienstboten, unter den Lehrerinnen und
anderen ehrbaren Frauen und Mädchen ohne Beschäftigung, da sind die Helden
der Armuth und Entbehrung zu suchen. Wenn hier die kleinen Ersparnisse zu
Ende waren, da gab es keinen Sold, keine Bons für Rationen, da blieb nnr
die Wahl zwischen Schande und Tod!" Dies Zeugniß, ans dem die über¬
wältigende Macht der Wahrheit spricht, klingt anders, als die Tiraden verlogener
Zeitungsschreiber aus jener Zeit, in denen sie schmeichlerisch dem herrschenden
Pöbel mit plumper Hand Weihrauch streuten. — Der amerikanische Gesandte
Burnside soll in Bezug auf jene Zeit geäußert haben: „Paris ist ein Narren¬
haus, von Affen bevölkert!" Damit scheint er treffend das Leben und Treiben
gewisser Kreise auf den Boulevards, den Plätzen der Stadt, ihren Gasthäusern
und Kcife's gezeichnet zu haben. Immerhin aber entzog sich ihm, dem Fremden,
das Leben und Dulden der besseren Elemente; ihr Schmerz um das Vater¬
land, ihr Kampf mit der Noth des Lebens barg sich im Inneren ihres Hauses.
Wie breit aber „die Narren und Affen" in jener Zeit sich machten, das schildert
mit bittern Worten ein Mann, der ebenfalls während der ganzen Belagerung
seine Pflicht mit der Flinte in der Hand gethan und bei Bonrget, Chcnnpigny
und Buzenval wacker mit gekämpft hat. Der jetzt, man kann wohl sagen, be¬
rühmte Schriftsteller Alphonse Daudet sagt: „Ist es nicht ein bitterer Schmerz,
wenn man sagen muß, daß .es Menschen gab, für welche die fünf Monate
eine Zeit ununterbrochener Feste und Amüsements bildeten! Vom Straßenfeger
°n, der mühelos seine 45 Sons täglich einstrich, bis zu dem Bürgerwehrmajor
Mit seinen 3 Streifen an der Mütze, dem Lenker der Schlachten in der Kneipe,
Waren sie alle dick und rund gegessen ans Staatskosten; waffenrasselnd und säbel¬
klirrend trampelten sie auf der Straße herum; den Kellner im Gasthaus riefen
sie nur noch mit ihrer Signalpfeife. Mit ihren Frauenzimmern vermehrten
sie die Wohnungen abwesender anständiger Leute. Diese ganze Bande, die
Hunde- und Katzendiebe, die Händler mit Pferdefleisch und nachgemachter
Butter, die Milchpächter, Federviehhändler und Trockenwohner, die ganze Ge¬
sellschaft lebte herrlich und in Freuden auf Kosten des geplünderten Vater-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/93>, abgerufen am 27.09.2024.