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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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mandeur, Jean Baptiste Serizier wurde von den Regularen gefangen, und
sollte standrechtlich erschossen werden. Ein Mitglied der Regierung, durch Gott
weiß welche unsauberen Geschäfte mit diesem Menschen befreundet, bewirkte
seine Begnadigung. Nie war Milde schlechter angewendet, denn der Schurke
ermordete später die wehrlosen Dominikanermönche von Arcueil! -- Bei Ab¬
schluß des Waffenstillstandes zählte die pariser Nationcilgarde allerdings noch
gegen 28,000 Offziere, und man kann annehmen, daß die überwältigende
Majorität derselben aus Männern bestand, welche der späteren Kommune und
ihren Verbrechen abhold gesinnt waren. Binnen 48 Stunden aber änderte sich
dieses Verhältniß gewaltig zu Ungunsten der Regierung, die wie gewöhnlich
nichts that. Wer irgend konnte, floh aus Paris, das ein für jeden anständigen
Menschen widerwärtiger Aufenthalt geworden war. Auf diese Weise büßte die
Nationalgarde gerade ihre besten und der Sache der Ordnung am Meisten
ergebenen Elemente ein. Nach der Angabe des Oberst Montaigu beziffert sich
die Zahl dieser zeitweise Emigrirten auf 100,000 Mann, welche später in der
Stunde der Gefahr der Regierung fehlten. Es unterliegt keinem Zweifel, daß
es dieser Regierung bei einiger Umsicht und Thatkraft leicht geworden wäre,
einen großen Theil dieser ihrer Anhänger sowohl in Paris zurückzuhalten, als
auch eine Organisation zu schaffen, vermöge deren sie bei dem ersten Alarmruf
auf vorher bestimmten Sammelpunkten zusammenströmen, und so den Empörern
gleich in kompakten Massen hätten entgegentreten können. Von alledem geschah
Nichts. Man zahlte dem Gesindel, das zu entwaffnen man nicht den Muth hatte,
vorläufig den Sold weiter und wies in lächerlicher Eitelkeit selbst die wohlge¬
meinten Vorschläge des Fürsten Bismarck zurück. Wenn nämlich der Bericht
des Herrn Du Camp*) richtig ist, so hatte der Fürst, als Jules Favre ihm
seine Noth klagte, den Vorschlag gemacht, die Entwaffnung der Nationalgarten
einfach durch den Hunger zu bewirken. Nur gegen Abgabe der Gewehre und
Geschütze sollten ferner noch Anweisungen auf Rationen ertheilt werden. Jules
Favre aber mit jener vollkommenen Unkenntniß der wahren Sachlage, die er
im Laufe der ganzen Unterhandlungen zur Heiterkeit feiner Gegner so oft
dokumentirt hatte, verwarf diesen klugen Vorschlag mit der ganzen Entrüstung
eines beleidigten Volksmannes, und verbürgte sich "Kauwmsnt", wie unsere
Quelle sagt, daß der Patriotismus seiner Landsleute eine so demüthigende
Maßregel unnöthig machen würde. Der Reichskanzler, viel besser über die
wahre Stimmung in Paris orientirt, ließ ihn ruhig in seinem Wahn, den die
nächsten Ereignisse so blutig zerstören sollten.

Am 25. Januar hatte General Trochu von neuem erklärt, daß es die



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mandeur, Jean Baptiste Serizier wurde von den Regularen gefangen, und
sollte standrechtlich erschossen werden. Ein Mitglied der Regierung, durch Gott
weiß welche unsauberen Geschäfte mit diesem Menschen befreundet, bewirkte
seine Begnadigung. Nie war Milde schlechter angewendet, denn der Schurke
ermordete später die wehrlosen Dominikanermönche von Arcueil! — Bei Ab¬
schluß des Waffenstillstandes zählte die pariser Nationcilgarde allerdings noch
gegen 28,000 Offziere, und man kann annehmen, daß die überwältigende
Majorität derselben aus Männern bestand, welche der späteren Kommune und
ihren Verbrechen abhold gesinnt waren. Binnen 48 Stunden aber änderte sich
dieses Verhältniß gewaltig zu Ungunsten der Regierung, die wie gewöhnlich
nichts that. Wer irgend konnte, floh aus Paris, das ein für jeden anständigen
Menschen widerwärtiger Aufenthalt geworden war. Auf diese Weise büßte die
Nationalgarde gerade ihre besten und der Sache der Ordnung am Meisten
ergebenen Elemente ein. Nach der Angabe des Oberst Montaigu beziffert sich
die Zahl dieser zeitweise Emigrirten auf 100,000 Mann, welche später in der
Stunde der Gefahr der Regierung fehlten. Es unterliegt keinem Zweifel, daß
es dieser Regierung bei einiger Umsicht und Thatkraft leicht geworden wäre,
einen großen Theil dieser ihrer Anhänger sowohl in Paris zurückzuhalten, als
auch eine Organisation zu schaffen, vermöge deren sie bei dem ersten Alarmruf
auf vorher bestimmten Sammelpunkten zusammenströmen, und so den Empörern
gleich in kompakten Massen hätten entgegentreten können. Von alledem geschah
Nichts. Man zahlte dem Gesindel, das zu entwaffnen man nicht den Muth hatte,
vorläufig den Sold weiter und wies in lächerlicher Eitelkeit selbst die wohlge¬
meinten Vorschläge des Fürsten Bismarck zurück. Wenn nämlich der Bericht
des Herrn Du Camp*) richtig ist, so hatte der Fürst, als Jules Favre ihm
seine Noth klagte, den Vorschlag gemacht, die Entwaffnung der Nationalgarten
einfach durch den Hunger zu bewirken. Nur gegen Abgabe der Gewehre und
Geschütze sollten ferner noch Anweisungen auf Rationen ertheilt werden. Jules
Favre aber mit jener vollkommenen Unkenntniß der wahren Sachlage, die er
im Laufe der ganzen Unterhandlungen zur Heiterkeit feiner Gegner so oft
dokumentirt hatte, verwarf diesen klugen Vorschlag mit der ganzen Entrüstung
eines beleidigten Volksmannes, und verbürgte sich „Kauwmsnt", wie unsere
Quelle sagt, daß der Patriotismus seiner Landsleute eine so demüthigende
Maßregel unnöthig machen würde. Der Reichskanzler, viel besser über die
wahre Stimmung in Paris orientirt, ließ ihn ruhig in seinem Wahn, den die
nächsten Ereignisse so blutig zerstören sollten.

Am 25. Januar hatte General Trochu von neuem erklärt, daß es die



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/91>, abgerufen am 27.09.2024.