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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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dachte sie daran, die gutgesinnten Bataillone, in feste Truppenkörper gesammelt,
an geeigneten Plätzen zu isoliren. Aller Wahrscheinlichkeit nach wußte die
Regierung selbst nicht, was sie wollte. Noch gab es gegen Hunderttausend
ehrenwerthe Männer in der Nationalgarde, die ebenso entschlossen waren, gegen
den innern Feind, wie gegen den äußeren zu kämpfen. Hätte man sie nur
durch geeignete Führung, allmächtige Uebung in den kleinen Vorfällen des
Vorpostenkrieges hierzu geeignet gemacht. Es fehlte aber sowohl an Führern,
als an dem richtigen Entschluß.

Die Generale der Linie traten der ganzen Nationalgarde ohne Unterschied
mit tiefem Mißtrauen gegenüber. Der größte Theil der Nationalgarde dagegen
war, wie die Mehrzahl des Volkes, von Zorn und Unwillen gegen die höheren
Offiziere erfüllt, denen man die Schuld an dem verlorenen Feldzuge, an dem
Verlust an Land, Leuten und Nationalehre zuschob. Daß von den heimlichen
Kommnnistenführern diese Stimmung ausgebeutet und immer mehr vergiftet
wurde, kann man sich denken. Die Offiziere der regulären Armee hielten sich
aber nicht allein für ihre Person möglichst fern von den Offizieren der Natio¬
nalgarde, fondern sie thaten auch alles Mögliche, um ihre Mannschaften vor
dem Kontakt mit deuen der Nationalgarde zu bewahren, und gewiß mit vollstem
Recht. Hätte die schlaffe Negierung rechtzeitig auf eine Sonderung der 100,000
Maun zuverlässiger Bataillone, von den 400,000 Mann, welche die ganze
Nationalgarde bildeten, hingearbeitet, so würden die Befehlshaber der regulären
Armee gewiß darauf gesehen haben, eine Vereinigung dieser tüchtigen Bataillone
mit ihren Truppen anzubahnen. Der schwere Vorwurf, dies unterlasse" zu
zu haben, trifft besonders diejenigen Militärs, welche damals in Paris befeh¬
ligten. Wie aber die Sachen standen, sahen die regulären Offiziere mit Ver¬
achtung auf die undiseipliuirten Haufen der bewaffneten Bürger, und tränken
ihnen nicht die geringste Leistungsfähigkeit zu. Daß dieser Tadel vollkommen,
berechtigt ist, beweist die Aussage eines dieser Offiziere vor der späteren Unter-
suchungskommission. Es heißt da wörtlich: "Oft habe ich sagen hören: Hätte
man sich doch jener Bataillone, welche später als Kommunisten mit so ver¬
zweifelter Tapferkeit fochten, gegen den auswärtigen Feind bedient! Dies ist
ein gewaltiger Irrthum; jene Bataillone würden gegen die Preußen sich nicht
geschlagen haben, denn von Patriotismus war keine Spur in ihnen. Sie
haben sich später geschlagen, weil sie hofften, Herren von Paris zu bleiben,
und ihr faules Lvdderleben bis ins Unendliche fortzuführen, aber, was das
Fechten aus Patriotismus anbetrifft, so waren sie dazu vollkommen unfähig!"
Wenn auch dies Urtheil bezüglich der Vorstadt-Bataillone richtig und zutreffend
ist, so ist es nach anderer Seite, in Bezug auf die ganze Nationalgarde, schief
und einseitig. Sowohl Nationalgarde als einzelne Freikorps, die doch ans


dachte sie daran, die gutgesinnten Bataillone, in feste Truppenkörper gesammelt,
an geeigneten Plätzen zu isoliren. Aller Wahrscheinlichkeit nach wußte die
Regierung selbst nicht, was sie wollte. Noch gab es gegen Hunderttausend
ehrenwerthe Männer in der Nationalgarde, die ebenso entschlossen waren, gegen
den innern Feind, wie gegen den äußeren zu kämpfen. Hätte man sie nur
durch geeignete Führung, allmächtige Uebung in den kleinen Vorfällen des
Vorpostenkrieges hierzu geeignet gemacht. Es fehlte aber sowohl an Führern,
als an dem richtigen Entschluß.

Die Generale der Linie traten der ganzen Nationalgarde ohne Unterschied
mit tiefem Mißtrauen gegenüber. Der größte Theil der Nationalgarde dagegen
war, wie die Mehrzahl des Volkes, von Zorn und Unwillen gegen die höheren
Offiziere erfüllt, denen man die Schuld an dem verlorenen Feldzuge, an dem
Verlust an Land, Leuten und Nationalehre zuschob. Daß von den heimlichen
Kommnnistenführern diese Stimmung ausgebeutet und immer mehr vergiftet
wurde, kann man sich denken. Die Offiziere der regulären Armee hielten sich
aber nicht allein für ihre Person möglichst fern von den Offizieren der Natio¬
nalgarde, fondern sie thaten auch alles Mögliche, um ihre Mannschaften vor
dem Kontakt mit deuen der Nationalgarde zu bewahren, und gewiß mit vollstem
Recht. Hätte die schlaffe Negierung rechtzeitig auf eine Sonderung der 100,000
Maun zuverlässiger Bataillone, von den 400,000 Mann, welche die ganze
Nationalgarde bildeten, hingearbeitet, so würden die Befehlshaber der regulären
Armee gewiß darauf gesehen haben, eine Vereinigung dieser tüchtigen Bataillone
mit ihren Truppen anzubahnen. Der schwere Vorwurf, dies unterlasse» zu
zu haben, trifft besonders diejenigen Militärs, welche damals in Paris befeh¬
ligten. Wie aber die Sachen standen, sahen die regulären Offiziere mit Ver¬
achtung auf die undiseipliuirten Haufen der bewaffneten Bürger, und tränken
ihnen nicht die geringste Leistungsfähigkeit zu. Daß dieser Tadel vollkommen,
berechtigt ist, beweist die Aussage eines dieser Offiziere vor der späteren Unter-
suchungskommission. Es heißt da wörtlich: „Oft habe ich sagen hören: Hätte
man sich doch jener Bataillone, welche später als Kommunisten mit so ver¬
zweifelter Tapferkeit fochten, gegen den auswärtigen Feind bedient! Dies ist
ein gewaltiger Irrthum; jene Bataillone würden gegen die Preußen sich nicht
geschlagen haben, denn von Patriotismus war keine Spur in ihnen. Sie
haben sich später geschlagen, weil sie hofften, Herren von Paris zu bleiben,
und ihr faules Lvdderleben bis ins Unendliche fortzuführen, aber, was das
Fechten aus Patriotismus anbetrifft, so waren sie dazu vollkommen unfähig!"
Wenn auch dies Urtheil bezüglich der Vorstadt-Bataillone richtig und zutreffend
ist, so ist es nach anderer Seite, in Bezug auf die ganze Nationalgarde, schief
und einseitig. Sowohl Nationalgarde als einzelne Freikorps, die doch ans


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/88>, abgerufen am 27.09.2024.