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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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der Via del Corso geboren wurde und, wie man aus Foleos Testament weiß,
um das Jahr 1287 sich mit Simon ti Bardi vermählte. In der "Komödie"
ist sie fast ganz zur göttlichen Gestalt geworden, und kaum erkennen wir dort
noch durch den Schleier des Symbols den Schatten des schönen jungen Weibes,
das der Dichter auf Erden so heiß geliebt hat. Auch in der "Virg, Uuova"
begegnen wir schon den Anfängen dieser Apotheose, aber hier überwiegt, wie
dort der symbolische, der physische Charakter. Anders dagegen verhält sichs
mit einer zweiten "edlen Dame", die vom Kapitel 36 unserer Schrift an auf¬
tritt. Auch ihr liegt die Begegnung mit einer schönen Florentinerin zu Grunde,
deren Mitleid den Dichter derart rührte, daß in ihm vorübergehend eine neue
Liebe entstand. Aber sehr bald wird ihre Gestalt zu reiner Allegorie und Ab¬
straktion, zum Abbilde einer Frau, vom Dichter hingestellt, um es mit Eigen¬
schaften zu bekleiden, die keinem weiblichen Wesen angehören können -- zur
Philosophie, die ihn über den Tod Beatricens tröstet.

In unserer kleinen, theils in Prosa verfaßten, theils aus Dichtungen in
gebundener Rede bestehenden Schrift treten wir also dem Dichter als Menschen
nahe. Wir vergessen einmal, ihn in dem Lichte jener "oft abschreckenden Gro߬
heit" zu sehen, das Goethes Ausspruch auf ihn fallen läßt. In anmuthigen,
fast genrehaften Zügen lernen wir ihn und seine Umgebung kennen, zugleich
aber finden wir in ihm eine der zartsinnigsten, reinsten und erhabensten Seelen,
die je in einer Menschenbrust gewohnt haben. Sein tiefer Wahrheitssinn tritt
allenthalben hervor, und bereitwillig glauben wir ihm das Seltsamste; denn
diese ernsten Lippen lügen nicht. Mag auch hin und wieder seine Liebe zu
Beatrice uns Neueren unverständlich sein -- sie erscheint so namentlich in der
"Komödie", wo sie mit theologischen und astrologischen Elementen durchdrungen
und verbrämt ist -- das rein Menschliche darin bleibt ewig wahr und schön.
Die ersten Gedichte, sast der sentimentalen Weise eines Schülers vergleichbar,
die tiefe leidenschaftliche Gluth im siebenten, achten und neunten Sonett, die
dem Lobe der Herrlichen geweihten Strophen, die erschütternden Klagen über
ihren Tod, die Läuterung zur heiligen Flamme geistiger Anbetung, die im
Schlußsonett schon an die "göttliche Komödie" anklingt -- das alles ist die
Offenbarung eines edlen Menschenherzens, die auch jetzt noch auf Verstanden¬
werden und nachempfinden zu rechnen hat.


Unser Standpunkt im Weltall. Autorisirtc deutsche Ausgabe von Richard
A. Proktors "0ur Vlauo amanZ Intmities." Herausgegeben und mit Anmerkungen
versehen von Dr. Wilhelm Schur. Heilbronn, Verlag von Gebrüder Henninger. 1877.

Der Titel des Buches paßt eigentlich nur auf die ersten drei Abhandlungen,
ans denen es besteht, und welche sich mit der Vergangenheit und Zukunft der


der Via del Corso geboren wurde und, wie man aus Foleos Testament weiß,
um das Jahr 1287 sich mit Simon ti Bardi vermählte. In der „Komödie"
ist sie fast ganz zur göttlichen Gestalt geworden, und kaum erkennen wir dort
noch durch den Schleier des Symbols den Schatten des schönen jungen Weibes,
das der Dichter auf Erden so heiß geliebt hat. Auch in der „Virg, Uuova"
begegnen wir schon den Anfängen dieser Apotheose, aber hier überwiegt, wie
dort der symbolische, der physische Charakter. Anders dagegen verhält sichs
mit einer zweiten „edlen Dame", die vom Kapitel 36 unserer Schrift an auf¬
tritt. Auch ihr liegt die Begegnung mit einer schönen Florentinerin zu Grunde,
deren Mitleid den Dichter derart rührte, daß in ihm vorübergehend eine neue
Liebe entstand. Aber sehr bald wird ihre Gestalt zu reiner Allegorie und Ab¬
straktion, zum Abbilde einer Frau, vom Dichter hingestellt, um es mit Eigen¬
schaften zu bekleiden, die keinem weiblichen Wesen angehören können — zur
Philosophie, die ihn über den Tod Beatricens tröstet.

In unserer kleinen, theils in Prosa verfaßten, theils aus Dichtungen in
gebundener Rede bestehenden Schrift treten wir also dem Dichter als Menschen
nahe. Wir vergessen einmal, ihn in dem Lichte jener „oft abschreckenden Gro߬
heit" zu sehen, das Goethes Ausspruch auf ihn fallen läßt. In anmuthigen,
fast genrehaften Zügen lernen wir ihn und seine Umgebung kennen, zugleich
aber finden wir in ihm eine der zartsinnigsten, reinsten und erhabensten Seelen,
die je in einer Menschenbrust gewohnt haben. Sein tiefer Wahrheitssinn tritt
allenthalben hervor, und bereitwillig glauben wir ihm das Seltsamste; denn
diese ernsten Lippen lügen nicht. Mag auch hin und wieder seine Liebe zu
Beatrice uns Neueren unverständlich sein — sie erscheint so namentlich in der
„Komödie", wo sie mit theologischen und astrologischen Elementen durchdrungen
und verbrämt ist — das rein Menschliche darin bleibt ewig wahr und schön.
Die ersten Gedichte, sast der sentimentalen Weise eines Schülers vergleichbar,
die tiefe leidenschaftliche Gluth im siebenten, achten und neunten Sonett, die
dem Lobe der Herrlichen geweihten Strophen, die erschütternden Klagen über
ihren Tod, die Läuterung zur heiligen Flamme geistiger Anbetung, die im
Schlußsonett schon an die „göttliche Komödie" anklingt — das alles ist die
Offenbarung eines edlen Menschenherzens, die auch jetzt noch auf Verstanden¬
werden und nachempfinden zu rechnen hat.


Unser Standpunkt im Weltall. Autorisirtc deutsche Ausgabe von Richard
A. Proktors „0ur Vlauo amanZ Intmities." Herausgegeben und mit Anmerkungen
versehen von Dr. Wilhelm Schur. Heilbronn, Verlag von Gebrüder Henninger. 1877.

Der Titel des Buches paßt eigentlich nur auf die ersten drei Abhandlungen,
ans denen es besteht, und welche sich mit der Vergangenheit und Zukunft der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/82>, abgerufen am 22.07.2024.