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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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nicht beflecken lassen werden, und alle Kosaken schniören, daß sie sie nicht el"
büßen werden. Bis jetzt haben die Nekrcissvwer ihren Schwur treu gehalten,
denn uoch haben sie keine Feldzeichen verloren. Wie hoch sie aber ihre Fahne
schätzen, beweist folgender Fall:

Im Jahre 1810 wollten die Russen bei Matschin eine Brücke schlagen.
Der Atmnan der Tscharnomorer Kosaken, Tschernilt, kam mit seiner Truppen-
abtheilung ans Ufer der Donau und' vertrieb sowohl die Türken, als anch
die Nekrassower, welche den Uebergang vertheidigten. Im Augenblicke, als die
letzteren ihre Position verließen, kamen tausend Nekrassower Reiter unter dem
Kommando ihres Marschatamans Hohol an die steile Anhöhe. Da Hohol
sah, daß er weder die Flehenden aufzuhalten, noch auch den Berg mit Reitern
Zu stürmen vermochte, ergriff er erst eine, dann die zweite und dritte kleine
Fahne, warf sie unter die Feinde und rief: "Wer ist bereit, freiwillig und zu
Fuß die Feldzeichen vom Feinde zu holen!" Sogleich stürzten sich fünfzig bis
sechzig Mann auf den Feind. Hohol sah jedoch, daß diese Anzahl nicht hin¬
reiche, um die Position zurück , zu erobern, und deßhalb warf er die große
Fahne in die Reihe der Russen, indem er rief: "Wer ein Alt-Kubanjec ist,
herab vom Pferde und mir nach zu den Fahnen!" Sogleich stiegen alle Ne¬
krassower von ihren Pferden, stürzten sich mit ihrem Führer auf die Tschar¬
nomorer Kosaken, von denen die Hälfte fiel, die andere Hälfte die Flucht ergriff.
Hohol hieb mit eigener Hand ihren Führer Tschernik nieder. Die Fahnen
waren gerettet.

Nachdem die Abtheilung ihre Fahnen erhalten und alle den Eid, wie oben
geschildert, geleistet haben, werden sie von den einzelnen Unterkommandeuren
geordnet, die Rittmeister stellen sich an die Spitze ihrer Sotnien, der Alanen
kommandirt "Marsch!" und die Abtheilung verläßt unter Gesang ihr Heimathdorf.

Unter den Nekrafsower Kosaken ist der Glaube an Zauber, Feiuug und
Besprechung gang und gäbe. So waren sie überzeugt, daß ihr Alanen Iwan
sollen (1827 und 28), dessen Ansehen und Einfluß unbegrenzt waren, gegen
Kugel und Eisen gefeit sei. Während der Schlacht schonte er sich durchaus
uicht, sondern befand sich im heißesten Gedränge; nach der Schlacht aber, wenn
die Aerzte die Wunden seiner Krieger verbanden, schnallte er feinen Gurt ab,
und schüttete aus ihm Kugeln auf den Boden. Die Kosaken glaubten, es seien
dies feindliche Kugeln, welche Soltau im Gurte aufgefangen hat, hielten ihn
sür einen Zauberer, den sie fürchteten, achteten und dem sie blindlings vertrauten.

Von frühester Jugend auf wird der Nekrassower Kosak an den Kriegsdienst
gewöhnt; er lernt als Kind Fechten, Reiten, Schießen, fo wie auch den Nacht¬
dienst, das Patrouilliren n. s. w. Deßhalb ist er auch in späteren Jahren
ungemein geschickt, und versteht sich' überall zu orientiren. Es gibt keinen


Grenzboten IV. 1877. ZU

nicht beflecken lassen werden, und alle Kosaken schniören, daß sie sie nicht el»
büßen werden. Bis jetzt haben die Nekrcissvwer ihren Schwur treu gehalten,
denn uoch haben sie keine Feldzeichen verloren. Wie hoch sie aber ihre Fahne
schätzen, beweist folgender Fall:

Im Jahre 1810 wollten die Russen bei Matschin eine Brücke schlagen.
Der Atmnan der Tscharnomorer Kosaken, Tschernilt, kam mit seiner Truppen-
abtheilung ans Ufer der Donau und' vertrieb sowohl die Türken, als anch
die Nekrassower, welche den Uebergang vertheidigten. Im Augenblicke, als die
letzteren ihre Position verließen, kamen tausend Nekrassower Reiter unter dem
Kommando ihres Marschatamans Hohol an die steile Anhöhe. Da Hohol
sah, daß er weder die Flehenden aufzuhalten, noch auch den Berg mit Reitern
Zu stürmen vermochte, ergriff er erst eine, dann die zweite und dritte kleine
Fahne, warf sie unter die Feinde und rief: „Wer ist bereit, freiwillig und zu
Fuß die Feldzeichen vom Feinde zu holen!" Sogleich stürzten sich fünfzig bis
sechzig Mann auf den Feind. Hohol sah jedoch, daß diese Anzahl nicht hin¬
reiche, um die Position zurück , zu erobern, und deßhalb warf er die große
Fahne in die Reihe der Russen, indem er rief: „Wer ein Alt-Kubanjec ist,
herab vom Pferde und mir nach zu den Fahnen!" Sogleich stiegen alle Ne¬
krassower von ihren Pferden, stürzten sich mit ihrem Führer auf die Tschar¬
nomorer Kosaken, von denen die Hälfte fiel, die andere Hälfte die Flucht ergriff.
Hohol hieb mit eigener Hand ihren Führer Tschernik nieder. Die Fahnen
waren gerettet.

Nachdem die Abtheilung ihre Fahnen erhalten und alle den Eid, wie oben
geschildert, geleistet haben, werden sie von den einzelnen Unterkommandeuren
geordnet, die Rittmeister stellen sich an die Spitze ihrer Sotnien, der Alanen
kommandirt „Marsch!" und die Abtheilung verläßt unter Gesang ihr Heimathdorf.

Unter den Nekrafsower Kosaken ist der Glaube an Zauber, Feiuug und
Besprechung gang und gäbe. So waren sie überzeugt, daß ihr Alanen Iwan
sollen (1827 und 28), dessen Ansehen und Einfluß unbegrenzt waren, gegen
Kugel und Eisen gefeit sei. Während der Schlacht schonte er sich durchaus
uicht, sondern befand sich im heißesten Gedränge; nach der Schlacht aber, wenn
die Aerzte die Wunden seiner Krieger verbanden, schnallte er feinen Gurt ab,
und schüttete aus ihm Kugeln auf den Boden. Die Kosaken glaubten, es seien
dies feindliche Kugeln, welche Soltau im Gurte aufgefangen hat, hielten ihn
sür einen Zauberer, den sie fürchteten, achteten und dem sie blindlings vertrauten.

Von frühester Jugend auf wird der Nekrassower Kosak an den Kriegsdienst
gewöhnt; er lernt als Kind Fechten, Reiten, Schießen, fo wie auch den Nacht¬
dienst, das Patrouilliren n. s. w. Deßhalb ist er auch in späteren Jahren
ungemein geschickt, und versteht sich' überall zu orientiren. Es gibt keinen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/77>, abgerufen am 19.10.2024.